EZB-Geldpolitik kann Deutschland viele Milliarden kosten

EZB, Frankfurt. Bild: DXR / CC BY-SA 4.0

Während die Kritik an der Geldschwemme wächst, beziffert sogar die Europäische Zentralbank mögliche Kosten auf bis zu 95 Milliarden Euro

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mehrere Klagen gegen die umstrittenen Anleihekäufe der europäischen Notenbank sind vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Das höchste deutsche Gericht hat der Europäischen Zentralbank (EZB) 43 Fragen gestellt, um Aufklärung über die Risiken für Deutschland zu bekommen. Der Tagesspiegel hat die Antworten nach eigenen Angaben "einsehen". Dort beziffert die EZB mögliche Kosten auf bis zu 95 Milliarden Euro.

Zu glauben braucht man diese Zahlenangabe angesichts des Umfangs der Ankäufe von mehr als zwei Billionen Euro(!) allerdings nicht. Die Kosten werden über eine sogenannte "Risikoteilung" klein gerechnet. Das Kalkül ist klar: Das Bundesverfassungsgericht soll erneut nicht gegen das einschreiten, was auch als "verbotene Staatsfinanzierung" kritisiert wird.

Ausgerechnet bei der EZB nach Risiken fragen

Schon der Vorgang mag irritieren, dass die Verfassungsrichter ausgerechnet bei der EZB anfragen, welche Risiken auf Deutschland im Zusammenhang des umstrittenen Anleihekaufprogramms zukommen könnten. Eigentlich sollte ein Gericht nicht die Institution mit der Risikobewertung beauftragen, die für diese Geldpolitik und die daraus folgenden Risiken verantwortlich ist. Will man sich ein reales Bild verschaffen, muss man - wie in Verfahren üblich - auf möglichst unabhängige Gutachter und Experten zurückgreifen. Sonst gerät man schnell in den Verdacht, den Bock zum Gärtner zu machen.

Das sei vorausgeschickt, bevor die EZB-Angaben näher betrachtet werden, die die Notenbank laut Tagesspiegel gegenüber dem Verfassungsgericht gemacht hat. So schreibt die Zeitung am Dienstag: "Rechnet man die Risiken auf, könnte die Euro-Rettung Deutschland bis zu 95 Milliarden Euro kosten."

So steht es in dem Artikel, in dem aber schon zu Beginn zur allgemeinen Beruhigung angefügt wurde: "Fällig würde dieser Betrag, wenn sämtliche Anleihen ausfallen sollten". Und umgehend wird als "sehr unwahrscheinlich" eingestuft, "dass gleich alle diese Papiere wertlos werden".

Dass die möglichen Kosten klein gerechnet wurden, wird schon aus einer offensichtlichen Tatsache klar. So rechnen die Frankfurter Notenbanker nicht mit der Gesamtsumme von knapp 2,3 Billionen Euro, für die bis zum Jahresende auch nach eigenen Angaben der EZB an Anleihen aufgekauft werden sollen.

Beschönigende Darstellung

Die EZB rechnet nur mit rund 1,9 Billionen, also der Anleihesumme, die schon gekauft worden ist. Man tut also so, als wären diese Anleihekäufe eingestellt worden, dabei wurden sie bloß wieder von 80 auf 60 Milliarden im Monat reduziert, also auf die Summe zurückgefahren, mit der man diese umstrittene Geldpolitik begonnen hat. Somit steigen Monat für Monat die Risiken für Deutschland weiter.

Angemerkt werden sollte auch, dass eigentlich ja nur Staatsanleihen im Umfang von 1,14 Billionen, also "nur" die Hälfte der Summe, die bis zum Ende 2017 angepeilt wird, angekauft werden. Es ist der übliche Vorgang, bei dem Krisenmaßnahmen oft schnell zum Normalzustand mutieren. Deshalb wurde auch die Geldschwemme über die Notenpresse immer wieder verlängert. Schon deshalb ist es zweifelhaft - auch angesichts der allgemeinen Lage in der Eurozone -, dass das sogenannte "quantitative easing" (QE) zum Jahresende auch tatsächlich eingestellt wird. Passiert das erneut nicht, würde die Haftungssumme immer weiter ansteigen.

Doch zurück zu den Rechenübungen der EZB. Die Banker meinen offiziell in ihren Antworten an die Verfassungsrichter auch, dass die Mitgliedstaaten nur für die Staatsanleihen haften, die die EZB selbst kauft (10%). Dazu kommen weitere 10%, die für die für mögliche gemeinsame Verluste aus Anleihen von internationalen Organisationen oder Entwicklungsbanken eingestanden werden müssen, welche die EZB oder Mitgliedstaaten erwerben.

"Beide Gruppen von Papieren stehen für 20 Prozent aller Anleihekäufe aus dem öffentlichen Sektor - und damit für Papiere im Wert von 380 Milliarden Euro", schreibt der Tagesspiegel. Da die Bundesbank mit 25% der größte Anteilseigner der EZB ist, trägt die Bundesrepublik demnach mit 95 Milliarden das größte Risiko.

Seriös ist schon diese Rechnung wie gesagt nicht: Denn nimmt man die Summe von 2,3 Billionen Euro, die eigens von der EZB bis zum Jahresende veranschlagt werden, dann würde sich Haftungssumme schon nach diesen Rechenkünsten auf 114 Milliarden erhöhen.

Risiko nicht nur über Staatsanleihen

Interessant ist auch, wie die Zentralbank auf die wundersame Verringerung der Haftungssumme auf nur 20% der Gesamtsumme der angekauften Anleihen kommt. Das begründet man in Frankfurt damit, dass die EZB nur einen kleinen Teil der Anleihen selbst kaufe, wobei der Tagesspiegel fälschlicherweise nur von "Staatsanleihen" spricht. Bekannt ist aber, dass längst auch Unternehmensanleihen gekauft werden, auch von zweifelhafter Bonität.

Damit nicht genug, kauft die Zentralbank auch gefährliche Asset Backed Securities (ABS) an. Diese "strukturierten Anleihen" gelten als ein Auslöser der Finanzkrise. In sie wurden nicht nur faule Kredite gebündelt und als Anleihen am Kapitalmarkt zu Geld gemacht, sondern auch Bilanzen geschönt. Der Trick zur Verringerung der angeblichen Haftungssumme um 80% besteht darin, dass es vor allem die nationalen Notenbanken der Eurozone sind, die Anleihen kaufen. Allerdings sind sie integraler Bestandteil im System des Euros. Darin sind nationalen Notenbanken nur formal unabhängig von der EZB.

Real führen sie mit dem Kaufprogramm die Weisungen der Zentrale in Frankfurt aus. Die nationalen Notenbanken, bei uns die Bundesbank, kaufen meist Staatsanleihen der eigenen Länder und nehmen damit einen Teil der Staatsschulden in die Zentralbankbücher. Arbeitsrechtlich wäre eine solche Abhängigkeit eine klare Scheinselbständigkeit, weil nicht selbständig, sondern auf Weisung gearbeitet wird. Und auf Weisung einer Zentrale handeln die Notenbanken beim Anleihekauf.

Haftung für andere Länder

Diese Scheinselbständigkeit dient der EZB in der Beantwortung der Fragen der Verfassungsrichter dazu, so zu tun, als könne Deutschland nicht zur Haftung von Anleihen aus Krisenländern wie das große Italien oder Spanien herangezogen werden. Schließlich befänden die sich ja vor allem in den Büchern der Notenbanken in Rom und Madrid. Das nennt die EZB in ihrer Antwort dann eine "Risikoteilung unter den nationalen Zentralbanken für 20 Prozent des Gesamtvolumens".

Nach EZB-Angabe blieben also Verluste, die beim Ausfall von Anleihen entstehen, letztlich am Mitgliedsstaat hängen, dessen Zentralbank den übergroßen Anteil der Anleihen gekauft hat. Für die EZB gibt findet dafür "keine Risikoteilung statt". Doch glauben muss man das natürlich nicht. Es gibt auch noch den gesunden Menschenverstand und die Erfahrungen der gesamten Krisenjahre. Hat man nicht längst Staaten wieder über Rettungsfonds "retten" müssen, die schon die Rettung ihrer Bankenprobleme nicht alleine stemmen konnten?

Ohnehin hat die EZB bereits in ihrer Beantwortung der Fragen ein Scheunentor an der Hinterseite aufgestoßen: So sei in der EZB-Satzung vorgesehen, dass die Eurozonen-Mitgliedsstaaten "für spezifische Verluste" aus "währungspolitischen Operationen" doch entschädigt werden könnten. Es ist der EZB-Rat, der nach der Satzung nach Gutdünken darüber zu entscheiden hat…

Von Haftungsbegrenzung kann also keine Rede sein. Es wird zwar in Frankfurt im Ernstfall entschieden, was "alternativlos" umverteilt wird, um den Euro zu retten. Es ist keine souveräne Entscheidung der Bundesrepublik, die Parlamente werden völlig ausgeschaltet.