Die Glaubwürdigkeit der Zukunft

Ausschnitt aus dem Trailer zu "The Expanse", YouTube

Science Fiction und die Genauigkeit in gesellschaftlichen Fragen: Fortschreibung von zeitgenössischer Propaganda oder kritisches Potential? "The Expanse" und "Star Trek: Discovery" im Vergleich

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Die Science Fiction erfreut sich seit einiger Zeit wieder gesteigerter Aufmerksamkeit. Während neue Akteure neue Akzente setzen wollen, verlassen sich altbekannte Franchises auf die bewährten Rezepte.

Genre-Unterhaltung ändert sich im Kern nicht, weil sie sich schon allein im Dienst der nötigen Erkennbarkeit auf einen bestimmten Fundus an Ideen, Charakteren und Plots konzentrieren muss. Gunslinger, Astronauten und romantische Helden definieren Genres, und selbst minimale Abweichungen erfordern eine bewusste Anstrengung.

Allerdings hat die Phantastik in den letzten Jahrzehnten doch einen Zuwachs an Möglichkeiten erlebt - Urban Fantasy, New Weird und Steampunk seien nur als Beispiele für diese Entwicklungen genannt.

Verblüffen kann aber der technologisch orientierte Zweig der Phantastik nicht nur durch Hybridisierung mit anderen Genres, sondern durch eine Befruchtung aus anderen Medien. "The Expanse", eine Buchserie, die seit 2011 von einem Autorenduo unter dem Namen James S. A. Corey vorangetrieben wird, sollte eigentlich zuerst ein Science-Fiction-Strategiespiel werden.

Die Machtzentren Erde, Mars und "OPA"

Das mag wie eine Nebensache klingen, ist es aber nicht. Denn offensichtlich war das Spiel nicht nur als Idee vorhanden, sondern inhaltlich schon in einer Tiefe recherchiert und konstruiert, die für den klassischen Science-Fiction-Roman unüblich ist, und den beiden Autoren gelang es, diese Schärfentiefe in ihren Romanzyklus mitzunehmen. Aber natürlich macht es die Recherche nicht allein.

Klar analysierte und dargestelte soziale und politische Konflikte, mit denen sich die Machtzentren Erde, Mars und "OPA" ("Outer Planets Alliance") beschäftigen; die oft physikalisch richtige Darstellung von Lebensbedingungen im All; sprühende, aber gut gebändigte Phantasie; eine immer wieder verblüffende Griffigkeit der dargestellten Zukunft: All das macht den Reiz von "The Expanse" aus.

Weil die beiden Autoren auch die Drehbücher für die Fernsehserie geschrieben haben, und weil eine Menge Geld und gute Schauspieler zur Verfügung standen, kann die Verfilmung trotz aller notwendigen Verkürzungen mithalten. Wenn man die Bücher gelesen hat, macht das Anschauen der Serie umso mehr Spaß; das eine Medium sabotiert nicht das andere.

Während ich nicht einmal den Trailer zu "Annihilation" anschauen mag, um einen unfassbar guten Roman nicht durch seine Verfilmung zu beschädigen, waren die beiden bisher existierenden Expanse-Staffeln - von kaum vermeidbaren Schwächen hier und da abgesehen - ein großes Vergnügen.

Die Stärken von "The Expanse" werden nur noch deutlicher, wenn man sie mit dem lange erwarteten und publizistisch gut vorbereiteten neuesten Spin-Off-Produkt aus dem Star-Trek-Universum vergleicht: "Star Trek: Discovery". Die Enttäuschung setzt schnell ein.

Die erdbeherrschende UN und die Sternen-UN

Unmotiviertes Gehampel auf den Brücken verschiedener Sternenflotten-Schiffe, grottenschlechte Dialoge, der scheiternde Versuch, den Charakteren durch Rückblicke Tiefe anzudichten. Dass die Klingonen jetzt noch klingonischer knarzen und knötern, macht sie nicht interessanter als vor fünfzig Jahren.

Auch andere extraterrestrische Lebewesen sollen durch die Macht der Latexmaske herbeigezaubert werden. Wenn man ihnen Dialoge gegönnt hat, äußern sie so blühenden Unsinn wie "Lt. Saru", ein "Kelpien", der den Tod kommen spürt, weil seine Spezies auf ihrem Heimatplaneten schon so lange gejagt wird. Da seine Plattitüden auch später noch gebraucht werden, spürt er den Tod nicht nur kommen, sondern überlebt natürlich auch.

Was die Genauigkeit in gesellschaftlichen Fragen angeht, muss man sich nur einmal anschauen, wie "The Expanse" die erdbeherrschende UN darstellt und "Star Trek: Discovery" die Föderation, also die Sternen-UN: hier eine klare, sarkastische Analyse sehr real wirkender Machtspiele, dort die fade Fortschreibung von zeitgenössischer Propaganda und Gegenpropaganda ohne irgendein kritisches Potenzial.

Irgendwie "auf der Quanten-Ebene" ist zu wenig

Science Fiction, die weiß, wie Politik funktioniert, statt nur irgendwelche Kostümträger große Reden schwingen zu lassen, ist ziemlich selten. Nicht nur an diesem Maßstab scheitert die ganze Sternenflotte. Ihre Wissenschaftler sind genau solche Pappkameraden wie ihre Politiker und ihre Militärs.

Bei "The Expanse" sehen wir Paolo Cortázar und Praxidike Meng, bei "Discovery" den Pilzexperten Lt. Paul Stamets, der kurz vor dem Betreten eines möglicherweise verseuchten Schiffs von der Einheit von Physik und Biologie "auf der Quanten-Ebene" herumfaselt; dies abermals während eines Dialogs, der künstlich Konflikte und Drama markieren soll.

"Star Trek: Discovery" leidet durchgängig an einer Krankheit, die bei der Science Fiction immer leicht zum Ausbruch kommt, die man aber besser oder schlechter in Schach halten kann: Einfach irgendwas an den Haaren herbeiziehen, damit die Story weitergeht. Was bleibt, ist eine in Teilen unfreiwillig komische Weltraumschmonzette mit ordentlicher Tricktechnik. Das ist im Jahr 2017 eindeutig zu wenig.