Österreich: Kurz nimmt Koalitionsgespräche mit FPÖ auf

FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache. Foto: Franz Johann Morgenbesser. Lizenz: CC BY-SA 2.0

"Ähnliche Ansätze" in der Steuer- und Migrationspolitik

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der österreichische Wahlsieger Sebastian Kurz sprach heute öffentlich eine Koalitionsverhandlungseinladung an Heinz-Christian Strache aus, die der Vorsitzende der freiheitlichen am Nachmittag annahm. Die Verhandlungen, über deren Stand Kurz nicht nur den österreichischen Bundespräsidenten, sondern die Öffentlichkeit regelmäßig informieren will, sollen bereits morgen beginnen und seinem Willen nach spätestens bis Weihnachten beendet sein. Strache hat es weniger eilig und warnt davor, etwas zu "überstürzen".

Vorher hatte der vom Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragte Wahlsieger nicht nur Sondierungsgespräche mit der FPÖ, sondern auch mit Vertretern der drei anderen im Parlament vertretenen Parteien geführt. Eine Zweierkoalition wäre jedoch nur mit der SPÖ möglich gewesen, bei der Kurz nach eigenen Angaben nicht den Eindruck hatte, dass ihr Vorsitzender, der noch amtierende Bundeskanzler Christian Kern, in eine erneute Große Koalition mit verteilten Rollen eintreten will. Dessen Partei sieht das ähnlich, will aber eine Duldung eines Kurz-Minderheitenkabinetts nicht ausschließen, weshalb die ÖVP in ihren Verhandlungen mit der FPÖ nicht ganz ohne Druckmittel dasteht.

EU: Strache will "Weg der Subsidiarität unterstützen"

Bei der FPÖ sieht Kurz dagegen neben "ähnlichen Ansätzen" in der Steuer- und Migrationspolitik, wo beide Parteien niedrigere Einkommen entlasten und Einwanderung in die Sozialsysteme verringern wollen, auch einen "Willen zur Veränderung Österreichs", den er teilt. Als seine Grundforderungen an die Freiheitlichen nannte er einen "respektvollen" Umgangston und eine "klare proeuropäische Ausrichtung" für eine "aktive Mitgestaltung" der EU, in der der ÖVP-Politiker während der österreichischen Ratspräsidentschaft eine Konzentration auf "zentralen Fragen" wie die Grenzsicherung durchsetzen will (vgl. EU-Reform: Juncker vs. Kurz). Strache meinte dazu, er wolle "den Weg der Subsidiarität unterstützen".

Die FPÖ nannte in den vergangenen Wochen lediglich den Ausbau der Direkten Demokratie als unverhandelbare inhaltliche Forderung. Darüber hinaus möchte sie das Amt des Innenministers haben, an dem Heinz-Christian Strache selbst Interesse signalisiert hat (vgl. Kanzler Kurz, Außenminister Hofer und Innenminister Strache?). Der alte ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka, ein enger Gefolgsmann von Kurz, will jedoch auf diesem Posten bleiben. Probleme könnte es möglicherweise auch mit dem grünen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen geben, der in der Vergangenheit durchblicken ließ, dass er die Angelobung von Ministern, die ihm nicht genehm sind, verweigern könnte. Kurz zufolge gab er ihm bei einem Gespräch aber lediglich "Anregungen" und stellte keine "Bedingungen".

Schwierigere Regierungsbildung in Tschechien

Im benachbarten Tschechien, wo am Freitag und Samstag gewählt wurde (vgl. Merkel-Gegner Babiš gewinnt Wahl in Tschechien), wird die Regierungsbildung womöglich länger dauern: Die siegreiche ANO von Andrej Babiš hat im insgesamt 200 Sitze zählenden Unterhaus 78 Mandate und benötigt für stabile Mehrheiten mindestens 23 weitere.

Die könnte sie von der liberalkonservativen und moderat EU-kritischen Občanská Demokratická Strana (ODS) des langjährigen Staats- und Ministerpräsidenten Václav Klaus bekommen, die dort 25 Sitze einnimmt. Die ODS will Babiš nicht als Ministerpräsidenten akzeptieren, so lange gegen ihn wegen möglicherweise unberechtigt bezogener EU-Subventionen ermittelt wird.

Die vom japanischstämmigen Tschechen Tomio Okamura gegründete Volksabstimmungspartei SPD, die auf europäischer Ebene mit der österreichischen FPÖ, dem französischen Front National und der italienischen Lega Nord kooperiert (vgl. ENF-Parteien verlangen EU-Exit-Volksabstimmungen für alle Länder), hat mit 22 Sitzen für eine Zweierkoalition einen zu wenig. Außerdem verliefen Gespräche zwischen den zwei eher dominanten Persönlichkeiten Babiš und Okamura am Montag anscheinend so unbefriedigend, dass der ANO-Vorsitzende danach eine Koalition mit der SPD ausschloss.

Wegen inhaltlicher Differenzen eher nicht als Koalitionspartner infrage kommen die kommunistische KSČM, die über 15 Mandate verfügt, und die sieben Abgeordnete starke euro-euphorische TOP 09 von Karel Schwarzenberg. Die Sozialdemokraten von der ČSSD, denen die letzte Koalition mit der ANO einen Absturz von 50 auf jetzt nur mehr 15 Sitze bescherte, wären zwar inhaltlich kompatibler, fürchten aber in einem neuen Bündnis ihre vollständige Vernichtung. Weil die christdemokratische KDU mit 10 und die den deutschen Freien Wählern ähnliche STAN mit sechs Mandaten nicht genug Sitze haben, könnte Babiš die ODS nur durch zusätzliche Verhandlungen mit der tschechischen Piratenpartei unter Druck setzen, die einen ganz anderen Weg als die von Berlin aus kernthemenfremd dominierten deutschen Piraten einschlug und mit 22 Abgeordneten in das PS PČR einzieht.