Österreicher bekommen ein "digitales Bürgerkonto"

Glasfaserkabel. Foto: Anne Verschraagen. Lizenz: CC0

Die neue Koalition will dafür sorgen, dass alle Behördengänge zentral via Internet erledigen werden können

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Gestern verkündeten Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache, die Parteichefs von ÖVP und FPÖ, in einer gemeinsamen Pressekonferenz, dass sie sich in den Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung im Bereich Digitalisierung einig geworden sind. Diese Einigung umfasst das Angebot eines "digitalen Bürgerkontos", mit dem Behördengänge zukünftig "durchgehend digital erledigt werden können", damit sich die Österreicher Wege und Wartezeiten sparen. Über ein "einheitliches staatliches Identitätssystem" sollen unter anderem Personalausweise, Führerscheine und Sozialversicherungskarten "digital bereitgestellt werden". Eine "Zwangsverpflichtung zur digitalen Identität" soll es aber nicht geben, wie Strache betonte.

Damit das "digitale Bürgerkonto" Wirklichkeit werden kann, werden Zuständigkeiten neu verteilt und geordnet. Die "IT-Kompetenzen" will man in einer "interministeriellen Taskforce" bündeln. Der Umbau hat einem Tweet von Kurz zufolge auch das Ziel, "Jobs aus der Stadt in den ländlichen Raum zurückzuverlagern". Bund, Länder und Gemeinden sollen auch deshalb stärker als bisher zusammenarbeiten, um allen Österreichern Breitbandinternetzugang mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 Mbit in der Sekunde zu gewährleisten. Jeder Neubau soll mit einem Glasfaseranschluss versehen werden; den Ausbau des 5G-Netzes will man bis 2021 in Angriff nehmen. Eine weitere Säule der Digitalisierungsoffensive soll die Bildung sein: Hier möchte man unter anderem "digitale Lehrberufe" und die betriebliche Weiterbildung fördern.

Google und Facebook sollen in Österreich Steuern zahlen

Um das zu finanzieren, wollen Kurz und Strache zukünftig auch Unternehmen wie Google und Facebook zur Kasse bitten, die in Österreich zwar Geld verdienen, es aber anderswo versteuern. Damit so eine Besteuerung in Österreich möglich wird, soll das Steuerrecht um das Konzept der "digitalen Betriebsstätte" erweitert werden. Am liebsten wäre es Kurz, wenn dieses Modell in der gesamten EU eingeführt wird. Können sich deren Mitgliedsländer jedoch nicht innerhalb von sechs Monaten darauf einigen, will der künftige Bundeskanzler mit Österreich vorangehen.

Dazu, wie viel die Maßnahme voraussichtlich einbringen wird, will Kurz sich erst dann äußern, wenn es "seriösere" Schätzungen gibt. Wegen der Frist, die er den anderen EU-Ländern geben will, ist aber zu erwarten, dass die Einnahmen im ersten Jahr geringer ausfallen. Der ÖVP-Politiker räumt deshalb ein, dass man sich 2018 "budgetär anstrengen" muss, um die geplante "strukturelle Defizitgrenze" von 0,5 Prozent einzuhalten. Ob und wo dafür Kürzungen notwendig werden, lässt der ÖVP-Politiker bislang offen. Nimmt man die Politik der türkis-blauen Koalition in Oberösterreich als Anhaltspunkt, könnte es Einsparungen im Kulturbereich geben. Dort orientieren sich ÖVP und FPÖ an Karl Kraus, der 1909 meinte: "Von meiner Stadt verlange ich: Strom, Wasser und Kanalisation - Was die Kultur anbelangt, die besitze ich bereits."

Uneinigkeit bei Volksabstimmungen und Rauchverbot

Themenbereiche, in denen sich FPÖ und ÖVP noch nicht einig sind, werden derzeit in 25 Fachgruppen verhandelt. Dazu gehört unter anderem der von den Freiheitlichen geforderte Ausbau der Direkten Demokratie (der bei ÖVP-Politikern auf massiven Widerstand gestoßen sein soll) und das Rauchverbot in Gaststätten, das die FPÖ lockerer handhaben will als die Volkspartei. Ein möglicher Kompromiss könnte hier sein, dass eZigaretten und andere Verdampfer vom Verbot ausgenommen werden.

Van der Bellen und das Personal

Über die Frage, wer Minister wird, entscheiden nicht nur ÖVP und FPÖ, sondern auch Bundespräsident Alexander van der Bellen. Der soll (von der Präsidentenkanzlei nach eher weich dementierten) Medienberichten nach einem estnischen Diplomaten gesagt haben, "de jure" könne er Ministervorschläge der Freiheitlichen "unendlich ablehnen" - "wenn dadurch aber Neuwahlen provoziert würden, sei die Frage, ob das nicht die FPÖ stärke". Die beiden FPÖ-Politiker Johann Gudenus und Harald Vilimsky, deren Angelobung der Präsident explizit ausgeschlossen haben soll, waren (zumindest zuletzt) gar nicht als Minister im Gespräch. Der Kurier mutmaßt deshalb, dass es sich bei der öffentlichen Ablehnung um eine "Inszenierung" handeln könnte, mit der der Bundespräsident, der lange Jahre dem grünen Parlamentsklub vorsaß, öffentlich "Härte" gegen die Freiheitlichen zeigt.

Über den künftigen Kanzler soll van der Bellen gemeint haben, Kurz sei ein "irritierender junger Mann, der kaum Alkohol trinkt, nicht raucht und auch keinen Kaffee trinkt". Über diese Enthüllung, die inzwischen auch in bundesdeutschen Zeitungen Schlagzeilen macht, meinte der ÖVP-Chef zur Gratiszeitung Österreich, er "rauche tatsächlich nicht, trinke auch keinen Kaffee und tagsüber keinen Alkohol, am Abend aber ganz gern". Auf van der Bellens Einschätzung, dass Kurz "sehr flexibel" sei und "nicht wisse, was er in zwei Jahren will, und sicher nicht, was er in fünf Jahren machen will", ging der 42 Jahre jüngere Mann nicht ein.