Europawahl: Verfassungsausschuss für länderübergreifende Listen

Europaparlament. Foto: Diliff. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Stimmt auch das Plenum dafür, können deutsche Wähler 2019 mit einem breiteren Politikangebot rechnen

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Bislang sitzen im insgesamt 751 Plätze umfassenden Europaparlament 73 Abgeordnete aus England, Schottland, Wales und Nordirland. Da sich die Bürger des Vereinigten Königreichs in einer Volksabstimmung entschieden haben, die EU zu verlassen, debattierte der Verfassungsausschuss in den letzten Monaten darüber, wie mit diesen 73 frei werdenden Sitzen verfahren werden soll. Das diese Woche mit einer Mehrheit von 21 zu vier Stimmen verabschiedete Ergebnis ist ein Kompromiss, der vorsieht, dass 46 Sitze eingespart und die 27 restlichen an Kandidaten vergeben werden sollen, die auf länderübergreifenden Listen kandidieren.

Ob sich nach dem Ausschuss auch das Plemum, das voraussichtlich in der Woche vom 6. bis 8. Februar darüber abstimmt, für diese neue Option entscheidet, ist noch unklar. 2012 hatte der Verfassungsausschuss schon einmal einen Vorschlag des britischen Liberaldemokraten Andrew Duff angenommen, 25 Sitze über länderübergreifende Listen zu vergeben. Auf Druck der von den deutschen Unionsparteien dominierten christdemokratischen EVP-Fraktion hin kam diese Entscheidung damals aber nicht einmal auf die Tagesordung des Plenums.

Macron dafür, Tajani dagegen

Im September 2017 griff der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die Idee auf und forderte, dass bei der nächsten Europawahl 2019 nicht nur 25, sondern die Hälfte aller Sitze über länderübergreifende Listen vergeben werden. Ein Vorschlag, den EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani kurz darauf mit der Begründung ablehnte, man müsse dafür 27 Wahlgesetze ändern. Eine insofern nicht ganz überzeugende Begründung, als auch andere EU-Beschlüsse regelmäßig solche Änderungen in den Gesetzen der Mitgliedsländer erfordern.

Ein von Tajani nicht offen geäußerter Hintergrund der Ablehnung könnte sein, dass seine Forza Italia und die in der EVP tonangebende deutsche CDU im Falle eines länderübergreifenden Antretens wohl nicht mit allzu vielen zusätzlichen Stimmen rechnen könnten - die europaweit recht einzigartige italienische Konkurrenz vom MoVimento 5 Stelle dafür aber um so mehr. Ob die vom Komiker Beppe Grillo ins Leben gerufene Bewegung mit einer länderübergreifenden Liste antreten wird, ist allerdings noch unklar - derzeit ist sie vor allem mit der italienischen Parlamentswahl am 4. März beschäftigt (vgl. Italien: Ausschluss einer Großen Koalition - mit Hintertür).

Eine andere Bewegung, die vor allem deutsche Wähler ansprechen könnte, ist die des neuen österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz: Einer repräsentativen Emnid-Umfrage nach hätten ihn 38 Prozent der deutschen Wähler gerne als Kandidaten in ihrer Heimat. Stellt er zur Europawahl eine länderübergreifende Liste auf, würde das womöglich die EVP spalten, der bislang auch Kurz' ÖVP angehört. Eine andere EVP-Partei, die ungarische Fidesz, könnte sich vor oder nach der Europawahl ebenfalls einer neuen Fraktion zugesellen, weil sich ihr Vorsitzender Viktor Orbán mit Angela Merkel und ihrem Kurs noch deutlich weniger einverstanden gibt als Kurz.

Neue Sperrhürde, die nur in Spanien und Deutschland greifen soll

Mit einer länderübergreifenden Liste antreten könnten auch die 46 europäischen Separatistenparteien, die sich am 13. April auf Einladung der Bayernpartei im niederbayerischen Landshut treffen. Auf diese Weise könnten sie die neue europaweite Drei-bis-Fünf-Prozent-Hürde umgehen, die nur für Mitgliedsländer mit mehr als 27 Abgeordneten gilt und damit faktisch nur Deutschland und Spanien betrifft. Mit ihr wollen die deutschen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grünen nach dem Kippen der bis 2014 geltenden Fünf-Prozent-Hürde durch das Bundesverfassungsgericht kleinere Konkurrenten und die kastilischen Etablierten katalanische und baskische Separatisten aus dem Europaparlament verbannen.

Zur Fraktion der Europäischen Freien Allianz (EFA) gehören derzeit die katalanische Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) mit zwei, die Scottish National Party (SNP) mit ebenfalls zwei und die walisische Plaid Cymru mit einem Abgeordneten im Europaparlament.

Weitere Mitglieder sind unter anderem die korsische Partitu di a Nazione Corsa (die mit François Alfonsi den EFA-Vorsitzenden stellt), die bretonische Unvaniezh Demokratel Breizh (die mit Paul Molac einen Abgeordneten in die französische Nationalversammlung entsenden konnte), die elsässische Partei Unser Land, die Aostatalpartei ALPE, der Südschleswigsche Wählerverband (mit drei Abgeordneten im Kieler Landtag), die Lausitzer Allianz der Sorben in Sachsen und Brandenburg, die Schwedenvertreter von der Ålands Framtid (mit einem Sitz im finnischen Parlament), die Süd-Tiroler Freiheit (die bei der letzten Regionalwahl auf auf 17,9 Prozent kam), die rumänische Ungarnpartei Erdélyi Magyar Néppárt, die slowakische Ungarnpartei Magyar Kereszténydemokrata Szövetség, die Baskenparteien Aralar und Eusko Alkartasuna, die Lista per Fiume (die die italienische Minderheit in Kroatien vertritt) und die Enotna Lista der Slowenen in Kärnten.