Front National will "Nationaler Zusammenschluss" heißen

Bild (von 2017): FN im Wahlkampf in Lille. Foto: Jérémy-Günther-Heinz Jähnick / GNU Free Documentation License, Version 1.2

Steven Bannon: "Die Geschichte steht auf unserer Seite!"? - Die neofaschistische Partei als ihre eigene Reliquie. Rettet sie die Nichte und neue Alliancen?

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Die angekündigte Überraschung war keine, sondern bot lediglich den Aufguss des Uralten als vermeintlich neue Kommunikationsstrategie. Dagegen fand im Laufe des vergangenen Wochenendes eine andere Überraschung statt, als Frankreichs Neofaschisten in der nördlichen Regionalmetropole Lille tagten. Aber der Reihe nach.

Angekündigt war, dass an diesem Sonntag ein neuer Parteiname für den bisherigen Front National (FN) aus dem Hut gezaubert werden solle, während dieser sich zum 16. Parteitag in seiner bislang 45jährigen Geschichte traf.

Wahlpleite: Schwerer Treffer für Marine Le Pen

Seit ihrer Niederlage bei der französischen Präsidentschaftswahl am 07. Mai 2017, die deutlicher als erwartet ausfiel, vor allem jedoch seit der Totalpleite ihrer Kandidatin Marine Le Pen in der TV-Debatte mit Widersacher Emmanuel Macron - die seit Monaten in allen, wirklich sämtlichen Gesprächen enttäuschter Wähler ihres politischen Lagers Erwähnung findet - ist die rechtsextreme Partei auf der Orientierungssuche.

Auf irgendeine Weise muss doch die Kluft zu kitten sein, die eine sich im historischen Aufwind glaubende Partei mit ihren, im Mai errungenen, knapp 34 Prozent noch von den fünfzig Prozent trennt? Ein Namenswechsel könnte den Drive bringen, glaubte man in den letzten Monaten in der Parteiführung. Hinzu kommen ein paar, derzeit eher kosmetische Änderungen an den Strukturen, von denen noch die Rede sein wird.

Marine Le Pen, die am Sonntag in Lille zur Parteichefin wiedergewählt wurde - Kunststück, sie war die einzige Kandidatin für das Amt, potenzielle Gegenbewerber wurden weggedrückt -, hatte es im Vorfeld spannend gemacht. Erst in ihrer Rede zum Abschluss des Parteikongresses am Sonntagnachmittag wollte sie die Katze aus dem Sack lassen: Wie soll das in die Jahre gekommene Kind denn nun künftig heißen?

Exkurs: Der Name und Vater Le Pen

Sicherheitshalber kündigte sie an, die Parteimitglieder (offiziell 51.000, wenn auch vor Jahreswechsel in übertriebenen Eigenangaben auch mal von 80.000 oder 90.000 die Rede war) dürften über die Umbenennung in einer Urabstimmung mitreden, jedoch bitte erst nach dem Parteitag. Dies soll ab morgen nun rund sechs Wochen in Anspruch nehmen.

Hätte diese, im Umfeld des Parteitags heikelste Frage schon vor dem Kongress auf dem Tisch gelegen, hätte es möglicherweise die unschöne Situation einer Blockade gegeben. Nicht wenige Mitglieder meinen, dass früher irgendwie alles besser lief beim Front National, und hätten sich deswegen einer Umbenennung verweigern können.

Zwar stimmt es, dass die Mitglieder - neben einigen Satzungsfragen - zur grundsätzlichen Problematik eines Namenswechsel vor dem Kongress mit "Ja" oder "Nein" stimmen durften. Heraus kam laut parteioffiziellen Zahlen eine knappe Mehrheit von 52 Prozent. Eine externe Kontrolle der Auszählung fand jedoch nicht statt.

Altvorsitzender Jean-Marie Le Pen (er wird in Kürze 90 Jahre alt), der am Wochenende endgültig seinen "Ehrenvorsitz" verlor, weil dieser kurzerhand abgeschafft war, um sich Ärger mit dem robusten Alten vom Hals zu schaffen, behauptet hingegen öffentlich das Gegenteil: Eine knappe Mehrheit habe abgelehnt.

Vor allem jedoch wurde nur die Frage nach dem grundsätzlichen "Ob" gestellt - darf man sich die Frage einer Namensänderung nun aufwerfen oder nicht -, jedoch bis zum Abschluss des Parteitags kein konkreter Namensvorschlag benannt.

Dieser liegt nun auf dem Tisch. Er könnte dazu geeignet sein, tatsächlich auch die Nostalgiker zufrieden zu stellen, die meinen, früher im Allgemeinen und unter der Anführung Jean-Marie Le Pens im Besonderen sei irgendwie alles besser gelaufen. "Rassemblement National" (Nationaler Zusammenschluss) soll die Bezeichnung der Partei künftig nun lauten.

Rassemblement National

So hieß jedoch bereits vor nunmehr 32 Jahren die Liste, die der damals von Jean-Marie Le Pen angeleitete FN im März 1986 zu den französischen Parlamentswahlen antreten ließ - seiner insgesamt erfolgreichsten Wahl, denn damals galt das Verhältniswahlrecht, und die Partei erhielt 35 Sitze und (zum einzigen Mal in ihrer Geschichte) Fraktionsstärke.

Einfügung: Allerdings melden Medien am Montagmorgen, dass der Name bereits von jemand anderem beim Nationalen Institut für geistiges Eigentum - l’Institut national pour la propriété intellectuelle (INPI) - angemeldet und hinterlegt worden ist: am 30. Dezember 2012 von Frédéric Bigrat im Auftrag von Igor Kurek, einem gaullitischen Politiker, der dem früheren Hardliner-Innenminister Charles Pasqua nahestand. Der Besitzer der Namensrechte protestiert lautstark gegen das Vorhaben des FN. Gut möglich, dass sich der FN einen neuen Namen ausdenken muss.

Die Namenswechsel vor drei Jahrzehnten reflektierte die Tatsache, dass es dem FN im Winter 1985/86 gelungen war, den neofaschistischen historischen Kern der im Oktober 1972 gegründeten Partei um ein paar konservative Figuren wie beispielsweise Olivier d’Ormesson zu erweitern.

D’Ormesson verließ anderthalb Jahre später die Partei im Streit um ihre Geschichtspolitik und konkret um antisemitische Ausfälle ihres Chefs; Jean-Marie Le Pen schimpfte ihn daraufhin in der - 2008 eingestellten - parteieigenen Wochenzeitung National Hebdo wörtlich einen "Mossad-Agenten".

Aus Sicht d’Ormesson gingen offene Hitler-Sympathien oder die Absicht, dem NS-Regime sowie seinem Verbündeten Philippe Pétain mindestens mildernde Umstände zu finden, erheblich zu weit. Dabei war der Mann durchaus kein sensibler Pazifist: d’Ormesson war seinerzeit ein Lobbyist für das pro-westliche Regime im damaligen Apartheid-Südafrika.)

Die Flamme, das neofaschistische Parteisymbol, bleibt

"Nationaler Zusammenschluss": Der Name dürfte also bei denen, die sich nach den alten Zeiten in der Partei unter Jean-Marie Le Pen zurücksehnen, zumindest nicht allzu sehr anecken. Damit sie auch sonst nicht aufbegehren, beschloss der FN an diesem Wochenende, sein tradiertes, seit der Gründung 1972 benutztes Parteisymbol beizubehalten: die Flamme in den drei Nationalfarben blau-weiß-rot.

Dieses Zeichen koppelt den FN an seinen meist ungenannten, in der Öffentlichkeit oft bestrittenen historischen Ursprungspunkt an. Die Logistik und das Geld bei der Parteigründung 1972 - in einer Zeit, wenige Jahre nach dem Mai 1968, die für die extreme Rechte insgesamt magere Jahre darstellte - kamen von den bereits seit 1946/47 parteipolitisch wieder solide aufgestellten italienischen Neofaschisten.

Deswegen wurde auch deren Symbol in Frankreich übernommen und kopiert, mit dem einzigen Unterschied, dass die Flamme in Italien grün-weiß-rot ausfiel, bei den Franzosen hingegen das Grün durch die Farbe Blau ersetzt wurde.

Ach ja: Im italienischen Nachkriegsfaschismus wurde die Symbolauswahl auf ziemlich deutliche Weise erläutert - es handele sich um ein Zeichen für die Auffahrt der Seele Benito Mussolinis, des historischen Vorbilds, in den Himmel. Sicherlich, die einfache FN-Wählerin in Nordostfrankreich kennt diese Geschichte des Symbols "ihrer" Partei nicht. Die Kader und Führungsmitglieder hingegen sehr wohl.

Entstauben

Was beschloss dieser Parteitag sonst noch? Vor allem eine Satzungsänderung, die einige Strukturen aus den letzten 45 Jahren in gewisser Weise entstauben soll. Bei der Gründung in den frühen 1970er Jahren hatte die rechtsextreme Partei sich Leitungsstrukturen gegeben, die (gewissermaßen als spiegelbildliche Antwort auf den damaligen politisch-ideologischen Hauptfeind) dieselben Namen trugen wie bei der damals noch starken französischen kommunistischen Partei (dem PCF). Also etwa "Politbüro" und "Zentralkomitee". Dasselbe taten übrigens auch die Gaullisten respektive Neogaullisten - deren 1976 neu gegründete Partei, der RPR, benutzte etwa dieselbe Terminologie.

Heute scheint man beim FN der Auffassung zu sein, dies sei nicht mehr zeitgemäß, und sich an der französischen KP abzuarbeiten - die auch längst nicht mehr ist, was sie einmal war -, sei unbefriedigend. Also wurden die Namen nun durch einen Satzungswechsel ausgetauscht, aus dem bisherigen "Zentralkomitee" wird etwa ein "Nationalrat" (Conseil national).

Kleines störendes Detail am Rande: Just dieselbe Umbenennung hat auch die französische KP ihrerseits vorgenommen, aus ihrem "Politischen Büro" wurde solcherart ein "Nationalbüro" und aus ihrem "Zentralkomitee" eben auch ein "Nationalrat". Aber dies schon im Januar 1994, also lockere 23 Jahre vor dem Front National. (Beim PCF ging es damals darum, sich vom einstigen "sowjetischen Modell" abzunabeln, das bis vor dem Mauerfall durch die Parteiführung mehr oder minder hochgehalten wurde, jedoch ab 1991 keine richtige Anziehungskraft mehr zu entwickeln vermochte.)