Syrien: Nicht nur die Milizen, auch die USA und die EU haben verloren

Flüchtende aus Ost-Ghouta. Bild: Syria:direct, eine der Opposition zugewandte Webseite

Tausende Flüchtende aus Ost-Ghouta - Die Brutalität des Krieges gegen die syrische Zivilbevölkerung ist eine Konsequenz der wenig überzeugenden, simpel gestrickten Politik der westlich orientierten Außenmächte

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Tausende Flüchtende aus Ostghouta meldeten gestern mehrere Medien. Laut der Nachrichtenagentur AFP, die sich auf Angaben des in London ansässigen "syrischen Observatoriums für Menschenrechte" stützt, sollen es mehr als 12.000 gewesen sein, die das Gebiet über einen Korridor verlassen haben, den das "Regime" via Hammuriyeh geöffnet habe. Auch Hilfslieferungen kommen.

Dem voraus gingen Meldungen über Proteste von Bewohnern an unterschiedlichen Orten in Ost-Ghouta gegen Milizen. Manche Milizen hatten die "Ausreise" verboten, unterstrichen wurde das durch Schüsse auf die Korridore, die auch der UN-Vertreter Sajjad Malik bezeugte. Gefordert wurde in den Protesten, dass die syrische Armee die Kontrolle oder Aufsicht in den Gebieten in Ost-Ghouta übernehmen soll.

Die Diktatur der Milizen

Das wiederum widerspricht Berichten, die, wie dies auch vom UN-Repräsentanten Malik beobachtet wurde, davon ausgehen, dass es unter der Bevölkerung von Ost-Ghouta auch viele gab, die befürchteten, dass sie von den Sicherheitskräften der Regierung Schlimmes zu erwarten hätten. TV-Aufnahmen, die im syrischen Fernsehen zu sehen waren, zeigen freilich erleichterte Flüchtlinge, die davon sprechen, dass sie Jahre in einem Gefängnis oder einer Diktatur verbringen mussten. Die Milizen hätten sie nicht gehen lassen.

Das ist plausibel angesichts der Ausrichtung der Milizen, die in Ost-Ghouta eine islamistische Enklave errichten wollten, die streng nach fundamentalistischen Regeln funktionieren sollte und einer "Revolution" den Weg bereiten sollte, deren Ziel ein Emirat war.

Die Milizen-Herrschaft in Ost-Ghouta nahm laut Hintergrundberichten von Autoren, die deutlich mehr mit der Opposition als mit der Baath-Regierung sympathisieren (Aron Lund, siehe Ost-Ghouta: Die Hölle und der Tunnelblick), deutlich ausgeprägtere repressive Züge an als unter der Kontrolle der Assad-Regierung. Nach sieben Jahren eines Konflikts, der beständig eskalierte und zu unbeschreiblichen Brutalitäten und Lebenseinbrüchen führte, ist anzunehmen, dass sich die Zivilbevölkerung nach friedlicheren Zeiten sehnt.

Warum kämpfen die Milizen auf verlorenem Posten?

Der syrischen Armee gelangen in den vergangenen Tagen militärische Erfolge in Ost-Ghouta. Das Gebiet der bewaffneten Milizen - dominierend sind Jaysh al-Islam, Faylaq al-Raḥmān und Ahrar al-Sham; eine wichtige Rolle spielt auch der al-Qaida-Ableger Nusra-Front unter der Haube "Hayat al-Tahrir al-Sham" - wurde von Vorstößen der SAA in drei Teile zerschnitten, was die Milizen militärisch in eine aussichtslose Lage brachte.

Was wenig überrascht - und generell die Frage anstößt, warum die Milizen sich auf einen für die Bevölkerung derart schmerzhaften, opfer- und verlustreichen und für sie militärisch aussichtslosen Kampf eingelassen haben. Um bessere Bedingungen für einen Abzug aushandeln zu können?

In Medienberichten, die in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA und anderen Ländern, die der Koalition gegen Baschar al-Assad angehören, den Ton angeben, stand oder steht, wie nicht zu übersehen, das Mitleid mit den zivilen Opfern im Mittelpunkt und komplementär dazu die Brutalität der syrischen Regierung und besonders ihres Verbündeten Russland.

In den letzten Tagen steigerte sich die Entrüstung in ein Crescendo, wobei, wahrscheinlich angesichts der bevorstehenden Wahl in Russland, Putin wie ein Wettermännchen noch vor Baschar al-Assad und seine Fassbomben geschraubt wurde.

Tatsächlich liest sich die Bilanz der Grausamkeiten, die der syrischen Armee unter dem Oberkommmando al-Assads und dem Fittich der russischen Luftwaffen zugeschrieben wird, entsetzlich.

Möglicherweise mehr als 1.000 Tote in Ost-Ghouta durch Bombenangriffe; getötete unschuldige Kinder, zerstörte Familien; Vergewaltigungen werden angeblich von Mitgliedern der syrischen Armee, wie aktuell unter anderem und selbstverständlich ohne jeglichen Beweis und kritischen Kommentar von der Tagesschau herausgestellt wird, begangen, unterstellt wird: systematisch, um den Gegner zu brechen. Ein weiterer Beweis für die Grausamkeit des "Diktators".

Man wundert sich bei stillerer Betrachtung darüber, wie wenig die eigene Rolle bei der Fabrikation dieser Empörung mit ins Bild genommen wird. Der Krieg ist ein Konfliktlösungsmodus, der moralisch sehr rasch in die extreme Verwahrlosung führt.