Kurz-Europa vs. Oettinger-Europa

Sebastian Kurz (Foto: Kreml, Lizenz: CC BY 4.0) und Günther Oettinger (Foto: Jacques Grießmayer, Lizenz: CC BY 3.0

Die EU-Kommission ruft in Sozialen Medien dazu auf, Vorschläge zur Prioritätensetzung zu machen

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Am Freitag trat die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft, die der Öffentlichkeit vor ihrem Erlass als Maßnahme gegen Konzerne wie Facebook und Google verlauft wurde. Dem Wirtschaftsjuristen Eckhard Höffner zufolge wird sie die Position dieser Unternehmen allerdings "vermutlich sogar verbessern", während sie freie Social-Media-Alternativen wie Diaspora und Mastodon gefährdet. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kam zum Ergebnis: "Blogs schließen, Twitter sperrt Nutzerkonten, ein Vereinsvorstand tritt zurück. Nur Facebook kann die Daten seiner Nutzer besser verwerten."

In Sozialen Medien fiel Nutzern auf, dass manche amerikanischen oder schweizerischen Medien Nutzer mit einer IP-Nummer aus der EU plötzlich aussperren, um sich vor einer rechtlichen Gefährdung durch die DSGVO zu schützen. Einige davon halten das nicht für eine unbeabsichtigte Nebenwirkung.

Nicht nur "deutsches Strebertum"

Obwohl die Probleme zu einem guten Teil auch an Inkompetenz in den Berliner Regierungsparteien und an "deutschem Strebertum" liegen, wie die Bayernpartei in einer Presseaussendung anmerkt, liegt ein anderer Teil der Verantwortung dafür doch auf der europäischen Ebene: Sonst wäre es der EU-Kommission nicht möglich, der österreichischen Regierung (die die Verordnung so umsetzte, dass nicht bei jedem Verstoß eines Handwerkers oder einer Privatperson monströse Bußgelder fällig werden) mit einer Klage zu drohen (vgl. Straflose Datenschutzverstöße: EU-Kommission will im Fall Österreich aktiv werden).

Auch dadurch hat die DSGVO, wie die BP meint, "das Zeug, die EU-Verdrossenheit hierzulande auf ein nie gekanntes Niveau zu heben." Gegen diese EU-Verdrossenheit fährt die EU-Kommission in Sozialen Medien gerade die Kampagne #EfficientEU. "Which are the big things the EU should focus on?", fragt sie dabei. Und: "Which are the things the EU should stop dealing with?" Vorschläge dazu sollen Social-Media-Nutzer der Task Force on Subsidiarity schicken.

Erinnerungen daran, was die EU-Kommission aus einer Konsultation zu Softwarepatenten machte

Bei manchen Nutzern stößt diese Kampagne auf Skepsis. Sie erinnern sich daran, was geschah, als eine Konsultation zur Zukunft des EU-Patentwesens ergab, dass kleinere und mittlere Softwareunternehmen Patente als schädlich und gefährlich ansehen. Damals gab die EU-Kommission nicht etwa ihren Softwarepatentkurs auf, sondern versuchte das Ergebnis mit groben Tricks umzudeuten (vgl. EU-Kommission wegen Patentkonsultation für Negativ-Lobbypreis nominiert).

Andere unterbreiten ihre Vorschläge lieber öffentlich, wo sie vielleicht nicht von der Task Force, aber von anderen Nutzern gesehen werden. Zum Beispiel den einer EU-Meinungsfreiheitsgrundverordnung (MFGVO), die es möglich machen soll, dass "Staaten, die Meinungsäußerungen von EU-Bürgern einschränken, obwohl diese nicht strafbar sind, vor dem EUGH auf Strafzahlungen bis zu 50 Millionen Euro zugunsten des jeweiligen Bürgers verklagt werden" können.

Subsidiarität

Viele User sehen die Sache mit der Subsidiarität ähnlich wie der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (vgl. EU-Reform: Juncker vs. Kurz ). Er möchte nach eigenen Worten "ein Europa, das sich zurücknimmt und stärker auf das Wesentliche konzentriert" und keines, das alle Gaststätten zwingt, ihre Speisekarten […] zu ändern, aber gleichzeitig seine Außengrenze nicht schützen kann.

Am Wochenende forderte Kurz in diesem Zusammenhang "ein neues Mandat der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auch in Drittstaaten, um das schmutzige Geschäftsmodell der Schlepper zu beenden." Dort soll Frontex seiner Meinung nach "verhindern, dass sich Schlepperboote auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen." Sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache hatte die "derzeitige Aufgabenstellung" von Frontex kurz vorher als "Schlepperaktivität in modernem Sinn" kritisiert und gemeint, Europa habe in der Frage des Schutzes seiner Außengrenzen "bisher versagt".

Für bestenfalls überflüssig halten dagegen viele Social-Media-Nutzer den gestern offiziell vorgestellten Plan der EU-Kommission, zehn Wegwerfprodukte aus Kunststoff zu verbieten - darunter Besteck, Teller, Trinkhalme, Rührstäbchen und Wattestäbchen. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger verteidigte diese Pläne in der Sendung SWR Aktuell mit der Bemerkung, er habe sein "Saitenwürstchen immer auf dem Papierteller gegessen".