Freier Fall der türkischen Lira gefährdet den Euro

Levent Business District, ein Finanzzentrum in Istanbul. Foto: Mimar77 / CC BY-SA 3.0

Der türkische Präsident Erdogan steckt in ernsten Schwierigkeiten. Das trifft auch seine Partner in der EU

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Nun scheint einzutreten, wovor seit Monaten gewarnt wurde und was die Politikerinnen und Politiker der Euro-Länder beharrlich ignorierten: Der Fall der türkischen Lira gefährdet den Euro. Den letzten Ausschlag gab die Ankündigung Trumps, die Zölle für die Türkei zu verdoppeln. Demnach sollen die Zölle auf Aluminium auf 20 Prozent und die für Stahl auf 50 Prozent angehoben werden. Die türkische Regierung reagiert eher hilflos und hofft auf Allah.

Seit spätestens 2007 befindet sich die Türkei wirtschaftlich auf einem expansiven, neoliberalen Kurs. Erdogan setzte dazu seinen autoritären Populismus ein und inszenierte sich als Übervater, der nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch die richtige Richtung vorgab. Zunächst schien dies zu funktionieren, denn seit der Krise 2008 schien die Türkei den lukrative Anlagemöglichkeiten suchenden internationalen Investoren als ein geeigneter Hafen.

Spätestens seit den Gezi-Protesten in Istanbul 2013 aber hätte allen klar sein können, dass mit diesem Erdogan, der sich selbst bei der Planung eines kommunalen Parks einmischt, der alle Bürgerproteste niederknüppeln lässt, der sich in einem Naturschutzgebiet einen Palast mit 1000 Zimmern bauen lässt, der fragwürdige Großprojekte im Dutzend bauen lässt und der sich seit 2015 wieder einen teuren Krieg gegen die Kurden leistet, weder ein rationaler Staat noch eine rationale Ökonomie gestalten lässt.

Seitdem hat er eine Klientelstruktur in Wirtschaft und Politik aufgebaut, die zuerst parallel zu den Ministerien agierte und heute an den Schalthebeln der Macht in den Ministerien sitzt. Eine Schlüsselfigur ist Erdogans Schwiegersohn, Finanzminister Berat Albayrak. Als dieser vergangene Woche sein "neues Wirtschaftsmodell" vorstellte, stürzte die Lira rapide ab.

Albayrak versprach, das Wachstum von rund sieben Prozent auf rund drei bis vier zu dämpfen und die Inflationsrate von mehr als 15 Prozent in den einstelligen Bereich zu drücken. Wie das erreicht werden soll, wurde allerdings nicht erläutert. In Regierungskreisen wird der "Kronprinz", wie der Spiegel ihn tituliert, hinter vorgehaltener Hand heftig kritisiert. Er führe sich auf, als sei er der Präsident selbst. "Er erteile Kabinettskollegen Anweisungen, schreibe ihnen vor, wie sie ihr Ressort zu führen und wen sie einzustellen hätten", berichtet der Spiegel.

Viel zugetraut wird dem wirtschaftspolitisch unerfahrenen Albayrak nicht. Da hilft es nur wenig, dass er in den korrupten Erdoganclan eingeheiratet hat.

Albayrak hat für die Calik Holding, einen türkischen Textil-, Energie- und Baukonzern, in New York gearbeitet. 2007 stieg er mit gerade einmal 29 Jahren zum CEO des Unternehmens auf. Ein Jahr später kaufte er die Tageszeitung "Sabah" und den Fernsehsender ATV. Er verfügte von da an auch über politische Macht. 2015 machte Erdogan ihn zum Energieminister.

Spiegel online

Erdogan behandele ihn als seinen potentiellen Nachfolger, heißt es, da von seinen vier Kindern anscheinend keiner in Frage kommt. Seit 2014 wurde die türkische Wirtschaft immer anfälliger, was sich auch im Wechselkurs der Lira ausdrückte. Trotzdem liehen europäische Banken dem türkischen Staat immer mehr Geld. Allen voran Spanien, Italien und Frankreich (vgl. Türkei: Der Absturz der Lira wird zum Problem für Erdogan).

Obwohl Wirtschaftsexperten und Analysten schon seit mindestens einem Jahr die Entwicklung in der Türkei mit Sorge betrachteten, liehen die spanische Großbank BBVA, die französische BNP Paribas und die italienische Unicredit der Türkei trotz wachsender Defizite weiterhin Geld. Die spanischen Großbanken gaben der Türkei Kredite in Höhe von nunmehr insgesamt 83 Milliarden Dollar ca. 71 Milliarden Euro), gefolgt von Frankreich mit 38 Milliarden Dollar (ca. 30 Milliarden Euro) Italien mit 17 Milliarden Dollar und Deutschland mit 13 Milliarden Dollar.

Weltweit haben Banken der Türkei insgesamt 223 Milliarden Dollar, umgerechnet knapp 194 Milliarden Euro geliehen. Aber die Banken haben nicht nur windige Kredite vergeben. Sie haben sich auch in den türkischen Bankenmarkt eingekauft: die spanische BBVA hält, wie die Welt berichtet, knapp 50 Prozent an der Garanti Bank, dem drittgrößten Finanzhaus am Bosporus.

Dieser Anteil steuerte nicht weniger als ein Fünftel zum BBVA-Gewinn im vergangenen Jahr bei. Nun könnte nicht nur der Gewinn wegfallen, sondern zusätzlich noch Abschreibungen anfallen. Die BBVA-Aktie stürzte um mehr als sechs Prozent ab. Seit Jahresanfang summieren sich die Verluste auf 22 Prozent. Unter Druck gerieten auch die Aktien der UniCredit und von BNP Parbias. UniCredit ist mit 41 Prozent an Yapi Kredi beteiligt, der viertgrößten türkischen Bank. BNP Paribas wiederum hält rund 45 Prozent an Türk Ekonomi Bankasi.

Die Welt

An der Börse verloren im Zuge des rasanten Falls der türkischen Lira die europäischen Gläubigerbanken mehr als drei Prozent, darunter auch die Deutsche Bank. Insgesamt sackte im Zuge dessen auch der Euro am Freitagnachmittag um 0,6 Prozent auf rund 1,1460 Dollar ab.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hält sich bislang mit einer Stellungnahme zurück. Der Bankencrash scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein, die Cumhuriyet berichtete heute, dass einige Banken alle online-Transaktionen einstellen mussten.

Das bedeutet, dass die betroffenen Bürger bei diesen Banken keine online-Geschäfte, u.a. Überweisungen mehr tätigen können. Das dürfte u.U. auch die Touristen treffen, die sich gerade auf Billigurlaub in der Türkei befinden.