Stillstand auf höchstem Niveau

Salzburg, Altstadt, Ort des Gipfeltreffens. Bild: Andreas Praefcke / CC BY 3.0

Bei einem Sondergipfel in Salzburg will die EU den Streit über die Flüchtlingspolitik beilegen. Die Erfolgsaussichten sind gering - am Ende dürfte man sich nur auf weitere Abschottung der Außengrenzen einigen

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Nichts geht mehr in der Europäischen Union. Diesen Eindruck vermittelt der Reigen der EU-Gipfel, die sich immer schneller folgen und immer weniger erreichen. Bereits beim letzten Gipfeltreffen Ende Juni in Brüssel gelang es Kanzlerin Angela Merkel und ihren 27 Amtskollegen nicht, die zahlreichen offenen Probleme der Flüchtlingspolitik zu lösen oder die Brexit-Verhandlungen voran zu bringen.

Nun trifft man sich zu einem Sondergipfel in Salzburg - und wieder sieht es nach einem Flop aus. Es könne nicht sein, dass "wir weiterhin auftreten wie ein ungeordneter Hühnerhaufen", nörgelte Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel. Die Zeit der "Spielchen" sei vorbei, warnte Ratspräsident Donald Tusk bei seiner Ankunft in Salzburg. In der Flüchtlingspolitik müssten Beschlüsse her.

Dabei ist die Argumentation von Tusk und Juncker in sich widersprüchlich. Zum Auftakt des informellen, also nicht Beschluss fassenden, Treffens betonten sie, dass die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge massiv zurückgegangen sei - von zwei Millionen 2016 auf weniger als 100.000 in diesem Jahr. Gleichzeitig fordern sie aber einen massiven Ausbau des Grenzschutzes. Die EU-Agentur Frontex soll dafür bis 2020 von derzeit 1500 auf 10.000 Mitarbeiter aufgestockt werden.

Wie passt das zusammen? Fürchtet man eine Wiederholung der Flüchtlingskrise 2015? Oder geht es vielmehr darum, die Osteuropäer zu besänftigen, indem die Festung Europa weiter ausgebaut wird?

Eine Außenseiter-Meinung wird zur Mehrheitsmeinung

Polen und Ungarn hatten von Anfang an gefordert, erst die Grenzen dicht zu machen und danach - vielleicht - über Solidarität zu reden. 2015 war das eine Außenseiter-Meinung, heute redet auch Merkel so.

Die Kanzlerin ist auf den harten Kurs eingeschwenkt, an dem Österreichs Kanzler Sebastian Kurs schon seit der Zeit arbeitet, als er noch die "Schließung der Balkanroute" forderte - gegen Merkel. Heute präsentieren sich beide in trauter Eintracht, als wenn nichts gewesen wäre. In Salzburg will der "Alpen-Macron", wie Kurz in Brüssel spöttisch genannt wird, den Schwenk als großen Erfolg verkaufen.

Doch mit der Aufrüstung an den Außengrenzen - die neuen EU-Grenzpolizisten sollen mit modernster Technik ausgestattet und teilweise sogar bewaffnet werden - sind neue Probleme verbunden.

Die Hoheitsrechte der Staaten

So will Juncker durchsetzen, dass die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte abgeben oder zumindest teilen, damit die EU-Truppe schnell eingesetzt werden kann. Dagegen sträubt sich Ungarns Regierungschef Viktor Orban - er will die Oberhoheit über "seine", mit einer Mauer bewehrte, Grenze behalten.

Zudem haben die Hardliner längst neue Forderungen erhoben. Schon beim Juni-Gipfel setzten sie durch, dass die EU Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika - sogenannte "regionale Ausschiffungszentren" - sowie geschlossene Zentren in Europa bauen soll. Drei Monate später ist jedoch noch kein einziges Lager entstanden. Nicht einmal Ägypten will sich dafür zur Verfügung stellen.

Dabei ist Ägypten das Land, in das Ratspräsident Tusk seine größten Hoffnungen setzt. Tusk war am Wochenende gemeinsam mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sogar eigens nach Kairo gereist. Bei einem Treffen mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi lobten beide EU-Politiker dessen restriktive Politik. Sie führte dazu, dass seit Ende 2016 keine Bootsflüchtlinge mehr in Europa ankamen.

Hilfe von den Hardliner-Staaten

Ägypten haben seine Außengrenze "erfolgreich geschützt" und könne nun sogar zum "Modell" für andere nordafrikanische Staaten werden, sagte ein Gipfel-Sherpa. Zur Belohnung wollen Gastgeber Kurz und Tusk in Salzburg nun für einen Ausbau der Zusammenarbeit mit al-Sisi werben. Fest eingeplant ist bereits ein EU-Gipfel mit der Arabischen Liga im Januar in Kairo.

Nach der Türkei könnten so weitere autokratisch regierte Länder helfen, einen "Ring von Freunden" - oder einen hochmilitarisierten Wall von Vasallenstaaten - zu schaffen. Das Ganze natürlich im "Dialog", bei dem auch die "Menschenrechte" angesprochen werden, wie Merkel schon beim EU-Gipfel im Juni betonte. Dass Amnesty International dem Militärregime in Kairo schwere Menschenrechtsverstöße vorwirft, stört dabei offenbar nicht weiter.

Die Debatte am Donnerstag dürfte vielmehr um die Frage kreisen, was man mit den vergleichsweise wenigen Bootsflüchtlingen macht, die noch in Italien ankommen. Denn die populistische Regierung in Rom weigert sich, die Migranten allein aufzunehmen. Beim letzten Mal mußte neben Albanien sogar die Katholische Kirche einspringen, um den Menschen eine (vorläufige) Bleibe zu sichern.

Eine "europäische Lösung" war das nicht, auch wenn Merkel davon immer noch spricht. Man darf gespannt sein, ob die Kanzlerin in Salzburg - neben ihrer wohlklingenden Rhetorik - mehr zu bieten hat. Aus der SPD kommen bereits Forderungen, Italien und Osteuropa rechts liegen zu lassen und mit einer "Koalition der Willigen" voranzugehen. Das hatte Merkel allerdings bereits 2016 versucht - ohne Ergebnis.