Salafistische Strukturen in Ostwestfalen-Lippe

Blick vom Hermannsdenkmal auf der Grotenburg in Richtung Nordwesten über den Teutoburger Wald. Bild: Arminia / CC BY-SA 3.0

Offenbar bieten gerade ländliche Strukturen den passenden Rahmen für fundamental-islamische Terrorgruppen und deren Helfershelfer

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Ostwestfalen-Lippe (OWL) ist eine zu Unrecht von Medien und Tourismusverbänden vernachlässigte Region. Idyllisch gelegen, zwischen dem Weserbergland über den Teutoburger Wald hinaus bis an die Grenzen des Sauerlands, bieten Sehenswürdigkeiten, verschlafene Dörfer und heimelige Kleinstädte mit neckischen Altstadt-Quartieren mit Kopfsteinpflaster und Fachwerkbauten reichlich Gelegenheit zur Erholung.

Die Gegend, in der Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, war einst berühmt für große Textilspinnereien. Flachs wurde darin in harter Arbeit, insbesondere von Frauen, zu Leinen verarbeitet, aus dem dann Bettwäsche, Hemden, etc. hergestellt wurde. Später spannen nur noch Rechtsextreme, und zwar Netzwerke, die z. T. bis heute erhalten sind.

Neonazis, Antifaschisten und Salafisten

Die zu einer Haftstrafe verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck hat dort ihr Refugium. In den 1970ern nutzen Neonazi-Gruppierungen die Wälder für Wehrsport-Übungen, Jugendcamps, z. B. von der IG Metall, wurden schon mal überfallen und der Gedenkort Stukenbrock, ein ehemaliger sowjetischer Soldatenfriedhof, an dem seit Jahrzehnten alljährlich zum 1. September eine Antikriegs-Veranstaltung stattfindet, musste vor Übergriffen durch Neonazis geschützt werden.

Im selben Jahrzehnt entstand dort auch eine antifaschistische Jugendkultur, die sozialdemokratische, sozialistische, kommunistische und gewerkschaftliche Jugendliche alljährlich zu einer dreitägigen, bzw. nächtlichen Mahnwache zusammenbrachte. Eine Tradition, die bis heute erhalten wurde.

In der Bleichstraße in Bielefeld, der "Metropole" Ostwestfalens, siedelte sich Mitte der 1980er Jahre ein Neonazis-Zentrum an. Der entschiedene Widerstand der antifaschistischen Kräfte sorgte dafür, dass es alsbald geschlossen werden musste. Als das Monatsmagazin Konkret Anfang der 1990er Jahre eine Liste mit Orten veröffentlichte, an denen es zu fremdenfeindlichen Übergriffen durch Rechtsextreme gekommen war, reihte sich auch so manches Örtchen in OWL darin ein.

Einige rechte Netzwerke wurden zerschlagen, manche zerfielen, andere überlebten und es kamen neue dazu. Die ländliche Struktur sowie die stark bewaldete Landschaft laden quasi dazu ein.

Als hätten sie es sich von den Rechten abgeguckt, breiten sich seit Anfang dieses Jahrtausends salafistische Netzwerke in der beschaulichen Postkartenidylle aus. Die Herforder Lehrerin und Mitbegründerin der Präventionsinitiative "extremdagegen!", Birgit Ebel, und diverse lokale Medien, u.a. die Lippische Landes-Zeitung (LZ) und die Neue Westfälische (NW), recherchierten die Funktionsweise der salafistischen Netzwerke für die Region Ostwestfalen-Lippe (OWL).

Das Ergebnis ist so atemberaubend wie der Blick auf die berühmten Externsteine aus der Luft.

Allein in NRW soll es 3.000 Salafisten geben

Laut Verlautbarungen von Polizei und Sicherheitsbehörden "konnten rund 2.220 Personen mit Deutschlandbezug ausgemacht werden, die dem islamistisch-terroristischen Spektrum angehören", berichtete die Berliner Morgenpost Mitte August. Demnach "rechneten die Behörden Ende Mai noch rund 1.900 Männer und Frauen dem 'islamistisch-terroristischen Personenpotenzial' (ItP) zu. Ein Jahr zuvor waren etwa 1.700 Menschen in diese Kategorie eingeordnet worden".

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) habe erstmals "Details über die Angehörigen der insgesamt etwa 11.200 Anhänger starken Salafisten-Szene in Deutschland aufgeschlüsselt. So ist etwas mehr als ein Drittel (38 Prozent) der Salafisten zwischen 26 und 35 Jahre alt. Ein weiteres Drittel (35 Prozent) ist 36 Jahre oder älter. Etwa ein Viertel (27 Prozent) ist bis zu 25 Jahre alt. Nur 12 Prozent der Salafisten sind demnach weiblich, lediglich 8 Prozent sind Konvertiten, die von einer anderen Religion zum Islam übergetreten sind. 90 Prozent aller Salafisten haben einen Migrationshintergrund".

Gefährder und relevante Personen

Zum "islamistisch-terroristischen Personenpotenzial" würden die von den Polizeibehörden festgestellten sogenannten Gefährder sowie "relevante Personen" gezählt, so das Blatt, aber auch andere Menschen, die der Verfassungsschutz auf dem Schirm habe. Gefährdern trauten die Behörden jederzeit einen Terroranschlag zu. Als relevant werde beispielsweise eingestuft, wer im extremistischen Spektrum eine Führungsrolle hat, als Unterstützer gelte oder enge Kontakte zu Gefährdern unterhielte.

Zu dem genannten Personenpotenzial gehörten laut Verfassungsschutz auch Menschen, die sich derzeit nicht in Deutschland aufhielten, aber einen engen Bezug zu Deutschland hätten. Das seien etwa Männer und Frauen, die ausgereist seien, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien oder im Irak anzuschließen, wie der erwähnte Artikel der Berliner Morgenpost erläutert.

Laut der Zeitung Neue Westfälische gelten allein in Nordrhein-Westfalen etwa 3.000 Personen als "Salafisten", 350 davon sind weiblich:

Wie das NRW-Innenministerium jetzt auf eine Anfrage der Grünen im Landtag mitteilte, sind unter den 253 Gefährdern elf Frauen und unter den 134 sogenannten 'relevanten Personen', das sind solche, die als Unterstützer der Gefährder gelten, ist sogar inzwischen jede vierte weiblich. In beiden Gruppen hat die überwiegende Mehrheit die deutsche Staatsangehörigkeit.

Unter den 255 Personen, die nach aktuellen Erkenntnissen aus NRW in die dschihadistischen Kampfgebiete in Syrien und im Irak ausgereist sind, ist inzwischen nahezu jede dritte weiblich. 86 Prozent der ausgereisten Frauen und Mädchen sind unter 30 Jahren alt. Zurückgekehrt sind nach den Erkenntnissen der Staatsschutzbehörden bisher 75 Personen, darunter 15 Frauen und Mädchen.

Neue Westfälische

Dschihad als "Familientradition"

Zum Teil treten sie als Familienverband in Erscheinung, laut Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen werden allein in dem einen Bundesland etwa 100 Familien salafistischen Netzwerk zugerechnet.

Die Recherchen von Birgit Ebel, der LZ und der NW ergaben: Frauen sind darin stark involviert, Kinder und Jugendliche werden indoktriniert. Als Jugendliche werden sie rekrutiert, z. B. durch die Koran-Verteil-Aktion "Lies!", um sich aktiv dem Kampf für den Gottesstaat anzuschließen.

Dieser findet wahlweise in Kampfgebieten statt oder in heimischen Gefilden, mal mehr, mal weniger gewalttätig. Diese Jugendlichen, sofern sie nicht in Kampfgebiete ausreisen, besuchen Schulen, die, so der LZ-Journalist Erol Kamisli, das Problem offenbar aussitzen.

Schon die Kinder werden entsprechend indoktriniert, u.a. durch Spielzeug wie die "Jundullah"-Puppen, was so viel heißt wie "Soldaten Gottes, mit denen Experten zufolge die Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft betrieben werde.

Anhand der Familie M. aus Ostwestfalen lässt sich ablesen, wie der Dschihad regelrecht als Familientradition weitergegeben wird. Die ursprünglich aus Tschetschenien stammende Familie ist fest eingebunden in das salafistische Netzwerk, mehrere Brüder und der Vater sind in Ostwestfalen aktiv, eine Schwester, Fatima M., ist mitsamt ihrer Familie, ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen, damals 4 und 8 Jahre alt, nach Syrien ausgereist, wo sie derzeit inhaftiert ist. Nach ihrer Entlassung aus der Haft, die Anfang 2019 anstehen soll, möchte sie zurück nach Deutschland.

Häufig sind die Frauen in entsprechende Familienstrukturen eingebunden, wie z. B. die im Irak inhaftierte Detmolderin. Ihr Bruder fiel zum ersten Mal 2015 auf. Wie sich herausstellte, waren er, seine Brüder und sein Vater aber wesentlich früher in die salafistische Szene eingebunden.