Papa, mir ist langweilig!

ABC_5922.JPG:Bild: 123presspress/CC BY-SA-3.0

Auch Langeweile ist ein Zustand des Gehirns, der von Neurowissenschaftlern erforscht wird

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"Papa, mir ist langweilig."

"Dann mal doch was."

"Ich weiß nicht, was ich malen soll."

"Dann spiel was."

"Keine Lust."

"Mein Kind, dann kann ich Dir nicht helfen.

Aber ich kann Dir erklären, was gerade in Deinem Gehirn los ist. Denn Wissenschaftler finden zunehmend, dass Langeweile nicht langweilig ist. Das fängt schon mit der Frage an, ob es nur eine Langeweile gibt, oder vielleicht mehrere Arten davon?

Man kann ja apathisch gelangweilt sein: lustlos, schlapp, ohne Interesse an der Umwelt. Oder aufgekratzt gelangweilt: unruhig, ständig auf der Suche nach Unterhaltung, aber ohne Erfolg. Das wären schon mal zwei Arten Langeweile. Andere Studien behaupten sogar fünf, die sich auf den beiden Dimensionen Anregung und Valenz unterscheiden. Will sagen: Man ist dabei einerseits unterschiedlich ruhig oder zappelig, und andererseits unterschiedlich zufrieden oder missmutig.

Lieber tu ich mir weh

Doch obwohl es demnach auch die "indifferente Langweile" gibt, die durch Ruhe und eine eher ausgeglichene Stimmung gekennzeichnet ist, fühlen sich die typischen Formen von Langeweile vor allem unangenehm an. Langeweile zeigt einen Zustand an, den man vermeiden möchte. Die Gedanken schweifen ab, und die Zeit scheint zu kriechen.

Eine verblüffend schlichte Studie lieferte vor ein paar Jahren eine überzeugende Illustration dafür: Die Forscher taten nichts weiter, als ihre Studenten für fünf bis fünfzehn Minuten allein in einem Raum zu lassen, in dem es außer Tisch und Stuhl nichts gab, mit der Anweisung, nichts zu tun (also weder schlafen noch Gymnastik). Die anschließende Befragung ergab, dass die Versuchspersonen diese Erfahrung unangenehm fanden.

In weiteren Studien gaben die Forscher den Probanden ein Elektroschockgerät mit, mit welchem sie sich selbst unangenehme Stromschläge verpassen konnten, In einem Vorversuch hatten die Probanden noch angegeben, dass sie bereit waren, Geld dafür zu zahlen, dass sie diese Schocks nicht zu ertragen brauchten. Allein mit sich selbst gaben sich zwei Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen mindestens einen Stromstoß.

Geld bietet sogar die Möglichkeit, Langeweile zu messen. Eine Studie aus Gießen stellte ihren Probanden verschiedene Aufgaben, die dazu entworfen waren, unterschiedlich langweilig zu sein. In der absichtlich langweiligen Aufgabe sahen die Probanden immer dasselbe Foto und sollten nur angeben, ob der Rahmen drumherum scharf oder unscharf war. Nachdem sie die Aufgabe schon kannten, durften sie vor einem zweiten Durchgang Geld dafür ausgeben, dabei Musik zu hören. Je langweiliger sie die Aufgabe fanden, desto mehr Geld war ihnen die Musik wert.

Das Gegenteil von Flow

Wenn man die Versuchspersonen im Magnetresonanztomographen untersucht, während sie angeödet werden, findet man neuronale Aktivität zuverlässig vor allem in einem Bereich: Wie jede Form von Nichtstun aktiviert auch Langeweile das Ruhezustandsnetzwerk (Ideen aus dem neuronalen Untergrund). Damit wird ein Netzwerk von Regionen der Hirnrinde bezeichnet, das seinen Energieverbrauch immer dann drosselt, wenn man sich auf eine Aufgabe konzentriert. Zusätzlich eine Rolle spielt die Inselrinde des Stirnlappens, zu deren zahlreichen Aufgaben auch gehört, Lust und Unlust, Reiz und Schmerz bezüglich einer Option zu bewerten.

Sehr schön kontrastieren die Hirnaktivitäten angeödeter Versuchspersonen mit jenen von Probanden im Flow. Flow ist ja geradezu das Gegenteil von Langeweile: ein positives Gefühl der Hinwendung zur Umwelt, ein Zustand der selbstvergessenen Tätigkeit. Und so sieht das auch auf den MRT-Bildern aus: Flow senkt den Energieverbrauch in den Bestandteilen des Ruhezustandsnetzwerks.

Die Mutter der Kreativität

Aber auch, wenn Langeweile nicht schön ist: Sie hat auch ihr Gutes. Der junge Philosoph Andreas Elpidorou aus Louisville widmet sich ihr leidenschaftlich, getreu einer Aussage von Fernando Pessoa, die er auf seiner Netzseite zitiert: "Alles außer der Langeweile langweilt mich."

Inspiriert anscheinend von einer Arbeit der Psychologen van Tilburg und Igou, sieht er Langeweile als inneres Signal, als eine Emotion, die uns darauf hinweist, dass unser Tun sinnlos ist, und motiviert, nach Sinn zu suchen. Langeweile sei daher der Sehnsucht verwandt, und Sehnsucht ist ja ein bittersüßes Gefühl.

Dieses Sinnvolle, nach dem der Gelangweilte sucht, kann offensichtlich das kreative Tun sein. Das, was man selbst lustvoll hervorbringt, empfindet man stets als bedeutungsvoll. Und zugleich fühlt es sich gut an, kreativ zu sein. Ja, im besten Falle kommt man sogar in den bereits erwähnten Flow. Dann ist die Langeweile in ihr Gegenteil umgekippt.

Nicht wenige sehen in der Langeweile daher eine Geburtshelferin der Kreativität. In einer Studie waren die Probanden anschließend kreativer in ihren Assoziationen, wenn man sie zuvor mit einem Film gelangweilt hatte. Eine andere betrachtete die Anfälligkeit für Langeweile als Persönlichkeitseigenschaft und stellte fest, dass sie zwar den Eigenschaften, die Kreativität hervorbringen, wie Offenheit für Neues, Extraversion und Neugier, gerade entgegenlief: Wer neugierig und extravertiert ist, langweilt sich normalerweise nicht. Aber wenn man diese Eigenschaften herausrechnete, blieb ein kleiner positiver Beitrag der Neigung zum Ennui übrig. Vielleicht, weil in der Langeweile das "Verlangen nach Verlangen" steckt, wie Tolstoi es nannte, die Suche nach etwas, das einen interessiert. Wie schon gesagt: die Sehnsucht.