Bundestag könnte bei Neuwahlen auf fast 900 Abgeordnete explodieren

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Bund der Steuerzahler befürchtet einen Bundestags-Gesamtetat von "deutlich mehr als einer Milliarde Euro" - Mehr Demokratie legt Reformplan vor

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Das Nachrichtenmagazin Focus hat anhand von Zahlen des Meinungsforschungsinstituts INSA errechnet, dass anhand der aktuellen Ergebnisse im nächsten Bundestag 898 Abgeordnete sitzen würden. 189 mehr als jetzt und 300 mehr als eigentlich vorgesehen. Das liegt an den Zusatzmandaten, mit denen das aktuelle Wahlrecht Unstimmigkeiten ausgleichen will, die bei der aktuellen Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht entstehen.

Konkreter geht es dabei darum, dass die CSU zwar immer noch fast alle Wahlkreise gewänne, in denen sie antritt - aber mit einem sehr viel geringeren Stimmenanteil als früher. Deshalb würde sie über deutlich mehr direkte Abgeordnete verfügen, als ihr ihrem Verhältnisanteil nach zustehen. Wegen dieser Überhangmandate erhielten dann alle anderen Parteien Ausgleichsmandate. Und je mehr Parteien im Bundestag vertreten sind, desto mehr Ausgleichsmandate gibt es.

Entscheidungen zwischen verschiedenen Politikern einer Partei

Mehr Abgeordnete kosten mehr Geld. Dem Bund der Steuerzahler (BdSt) zufolge "deutlich mehr als eine Milliarde Euro im Jahr". BdSt-Präsident Reiner Holznagel fordert deshalb eine Änderung, für die sich bislang jedoch vor allem die Oppositionsparteien Linke und FDP erwärmen können, obwohl eine Petition dazu auf 114.000 Unterschriften kam.

Nun hat der Verein von Mehr Demokratie der zuständigen Fachgruppe im Bundestag einen unparteiischen Vorschlag vorgelegt, der die Blockade der Parteien durchbrechen soll: Er sieht vor, dass ein Wähler in einem Wahlkreis künftig drei statt nur einen Direktkandidaten ankreuzen kann, ohne dass der Stimmzettel ungültig wird.

Dieser Stimmzettel sähe dann auch anders aus, weil pro Partei oder Gruppierung bis zu sieben Kandidaten zur Auswahl stünden. Das kann für den Wähler einen gewaltigen Unterschied machen - wenn er beispielsweise zwischen Personen wie Anton Hofreiter und Boris Palmer bei den Grünen, Katja Kipping und Sahra Wagenknecht bei den Linken, Angela Merkel und Philipp Lengsfeld bei der CDU oder Wolfgang Gedeon und Marc Jongen bei der AfD wählen kann (vgl. AfD: Antisemitismusstreit geht in die Verlängerung). Möchte er die Entscheidung, wer in den Bundestag kommt, einer Partei überlassen, kann er - wie bisher - stattdessen deren Namen ankreuzen.

Stimmen für kleinere Parteien fallen nicht "unter den Tisch, sondern werden 'über dem Tisch' den erfolgreicheren Parteien zugeschoben"

Damit seine Stimme durch die Fünf-Prozent-Hürde nicht indirekt an eine Partei oder einen Politiker fällt, mit der oder dem er gar nichts anfangen kann, sieht der Vorschlag außerdem "Ersatzstimmen" vor, die erst dann zählen, wenn die eigentlich bevorzugte Partei an der Sperrklausel scheitert. Denn wie der Wahlforschungsexperte Dieter Schneider ausführt, sorgen nicht nur Überhangs- und Ausgleichsmandate für aufgeblähte Parlamente, sondern indirekt auch "Fremdstimmen, die eigentlich von den Wählern für kleinere Parteien abgegeben wurden". Solche Stimmen fallen ihm zufolge "nicht, wie es gern formuliert wird, unter den Tisch, sondern werden 'über dem Tisch' den erfolgreicheren Parteien zugeschoben".

Als Beispiel dafür nennt der Wahlforschungsexperte ebenfalls die CSU, die bei der bayerischen Landtagswahl 2013 mit 47,7 Prozent Stimmenanteil auf 55,5 Prozent "mandatswirksame Stimmen" kam, weil "14,1 Prozent der Stimmen von den Parteien, die unter fünf Prozent blieben, den anderen Parteien gutgeschrieben wurden, die darüber lagen". Dieser Zuschlag könnte seiner Ansicht nach mit der Unmittelbarkeitsanforderung in Artikel 18 des Grundgesetzes kollidieren.

Um das herauszufinden, müsste eine kleinere Partei vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, das in der Vergangenheit zwar die Sperrklausel bestätigte, aber die genauen Auswirkungen in dieser Hinsicht noch nicht untersucht hat. "Das einzige diskussionswürdige Argument für das Zuschieben der Stimmen und Mandate von den 'Verlierern' zu den 'Gewinnern'" ist Schneiders Worten nach, "dass die Zahl der gesetzlich festgelegten Abgeordnetenzahl nicht unterschritten werden soll oder darf - das ist aber praktisch hinfällig, wenn durch Zusatzmandate die Abgeordnetenzahl ohnehin wesentlich größer wird".

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