Frontex zementiert die Schließung der "Balkanroute"

Frontex-Zusammenarbeit mit den Niederlanden. Foto: Verteidigungsministerium der Niederlande / gemeinfrei

Die EU-Grenzagentur darf jetzt in Albanien Einsätze koordinieren. Ähnliche Abkommen folgen mit weiteren Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Viele der neuen Kooperationen erfolgen mit Österreich als Knotenpunkt

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Die Europäische Union intensiviert ihre Einsätze zur Kontrolle der Migration in Südosteuropa. Im Fokus stehen dabei Drittstaaten im Westbalkan. Die Europäische Kommission verhandelt hierzu mit allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien sogenannte Statusabkommen, die den Einsatz von EU-Personal erlauben. Die neuen Kooperationen umfassen den Informationsaustausch, Trainings und gemeinsame Operationen.

Besonders eng ist die Zusammenarbeit jetzt schon mit Albanien. Im Februar hat die Kommission ein Frontex-Kooperationsabkommen mit der Regierung in Tirana geschlossen und nach Ratifizierung durch das nationale und europäische Parlament Anfang Oktober besiegelt. Unterschrieben wurde das Dokument vom österreichischen Innenminister Herbert Kickl sowie dem EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Der Abschluss war auch als Signal an die umliegenden Länder gedacht, die Zeremonie zur Unterzeichnung erfolgte am Rande eines EU-Westbalkan-Innenministertreffens Anfang Oktober in Tirana. Mit dabei war auch Rumänien, das im nächsten Halbjahr den EU-Vorsitz übernimmt.

Verhandlungen mit Montenegro und Bosnien und Herzegowina

Frontex kann nunmehr mit albanischen Behörden Einsätze zur Sicherung der EU-Außengrenzen koordinieren. Die Maßnahmen dürfen dabei auch auf albanischem Hoheitsgebiet stattfinden. Bevor die ersten Operationen durchgeführt werden können, muss jedoch das EU-Parlament grünes Licht geben. Nach Vorbild des Vertrages mit Albanien hat die Kommission auch mit Serbien und Mazedonien ein Statusabkommen geschlossen, auch hier müssen jetzt die Parlamente darüber befinden. Verhandlungen mit Montenegro und Bosnien und Herzegowina haben bislang zu keinem Entwurf geführt.

Auch ohne Statusabkommen rückt Frontex näher an die Grenzbehörden des Westbalkans heran. Als erstes Land in Südosteuropa hat Serbien der Entsendung eines Verbindungsbeamten von Frontex zugestimmt. Darüber können die serbischen Grenzbehörden mit Lagebildern und Informationen aus den Datenbanken in Warschau versorgt werden. Nach der Änderung der Frontex-Verordnung ist es der Agentur nunmehr erlaubt, Personendaten zu speichern und zu verarbeiten. Frontex entsendet aber auch Beamte als Berater, die beispielsweise Trainings im Bereich der Dokumentenfälschung oder Technik und Standards bei Grenzkontrollen durchführen.

Österreich startet neue Kooperationen

Noch unter bulgarischer Ratspräsidentschaft hat die Europäische Union im Mai dieses Jahres einen EU-Westbalkan-Gipfel abgehalten, auf dem auch Maßnahmen zu Sicherheit und Migration verabredet wurden. Die Umsetzung der Beschlüsse erfolgte dann durch Österreich.

Die Regierung in Wien nutzt ihre aktuelle Ratspräsidentschaft für die Etablierung vieler weiterer Kooperationsformen zu Migration und Sicherheit in Südosteuropa. Vergleichbare Abkommen hat Österreich bereits während seines letzten EU-Ratsvorsitzes im Jahr 2006 geschaffen, darunter eine "Partnerschaft für die Sicherheit" und die Unterzeichnung der "Polizeikooperationskonvention für Südosteuropa" mit einem an die EU-Polizeiagentur Europol angelehnten Polizeizentrum in Bukarest (Europäische Kriminalämter verstärken Druck auf die "Balkanroute").

Damals wollte Österreich die Zusammenarbeit "auf Schengen-Standards" ausrichten. Jetzt hat der Innenminister Kickl eine Kopie des Prüm-Abkommens, das den automatisierten Austausch von DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeugregisterdaten zwischen EU-Mitgliedstaaten regelt, in Südosteuropa installiert. Als erste Teilnehmer können jetzt Albanien, Bulgarien, Mazedonien, Moldau, Montenegro, Rumänien, Serbien und Ungarn ihre biometrischen Datenbanken nach Treffern abfragen.

Beitrittskandidaten sollen "Migrantenschmuggel" bekämpfen

Nach der Aufnahme von Slowenien und Kroatien stehen mit Albanien, Mazedonien, Montenegro und Serbien weitere Länder des ehemaligen Jugoslawien auf der Liste der potentiellen EU-Beitrittskandidaten. Mit Serbien und Montenegro ist die Kommission hierzu in Verhandlungen. Im Juni haben die Regierungen der Beitrittskandidaten mit der Kommission eine gemeinsame "Western Balkans Task Force" gestartet und die engere Kooperation gegen die Schleusung von Migranten verabredet. Die Behörden sollen dafür enger mit dem "Zentrum für Migrantenschmuggel" bei Europol sowie dem ebenfalls von Europol gegründeten "Regionalbüro gegen Migrantenschmuggel" in Wien kooperieren.

Kurz darauf richtete die bulgarische Ratspräsidentschaft ein Treffen von hohen Polizeiführern aus, an dem auch die übrigen südosteuropäischen Staaten sowie Frontex und die Kommission teilnahmen. Auch hier stand die Migrationskontrolle auf der Tagesordnung. Im Rahmen des "Annäherungsprozesses" nehmen die Länder außerdem am jährlichen "Forum der Justiz- und Innenminister der EU und des westlichen Balkans" teil, das die Kommission initiiert hat.

EU zahlt "Heranführungshilfe"

Die Beitrittskandidaten erhalten schon jetzt finanzielle Unterstützung von der Kommission. Die Gelder stammen aus dem "Instrument für Heranführungshilfe", das 2014 neu aufgelegt wurde und bei der Kommission von der Generaldirektion Nachbarschaft verwaltet wird. Die Länder können hierüber Maßnahmen im Bereich "Institutionenaufbau und Demokratisierung" sowie "grenzüberschreitende Zusammenarbeit" finanzieren.

Im Bereich des "Migrationsmanagement" betrifft dies unter anderem die Verbesserung des Grenzschutzes, Technik zur Identifizierung und Registrierung von Migranten, Methoden zur Erkennung gefälschter Dokumente, Anpassung der einschlägigen Datenbanken, Vereinheitlichung von Asylverfahren sowie Abschiebungen. Obwohl sie noch nicht als offizielle EU-Anwärter gelten, werden auch in Bosnien und Herzegowina sowie dem Kosovo Mittel aus dem "Instrument für Heranführungshilfe" ausbezahlt.

Über das "Instrument für Heranführungshilfe" werden zudem Maßnahmen im Bereich der organisierten Kriminalität, wozu auch der "Migrantenschmuggel" gezählt wird, finanziert. In einem dieser Projekte mit dem Titel "Countering Serious Crime in the Western Balkans" beteiligen sich beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und das italienische Innenministerium an der Finanzierung gemeinsamer Projekte mit der Kommission.

Aufklärungsplattform bei Frontex

Auch Frontex ist bei der "Heranführungshilfe" in verschiedenen Projekten aktiv. Im September hat die Agentur eine Schulung zur Identifizierung von Migranten, an dem auch die Türkei teilnahm, in Belgrad organisiert. Ein weiteres Training fand kürzlich in Pristina statt. Angehörige von Grenzbehörden der Westbalkan-Länder werden wie im Falle Albaniens auch zu Frontex-Operationen als Beobachter entsandt. Dabei übernehmen sie zusätzlich die Funktion von Verbindungsbeamten. Sie können auf diese Weise in Maßnahmen eingebunden werden, wenn an der EU-Außengrenze mit diesen Ländern irreguläre Migranten oder Kriminalität festgestellt werden.

Seit Bestehen von Frontex veröffentlicht die Grenzagentur öffentliche und eingestufte Lageberichte zur Migration innerhalb der Europäischen Union sowie an deren Außengrenzen. Seit zehn Jahren betreibt Frontex mit Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Kroatien das Netzwerk "Westbalkan-Risikoanalyse". Frontex selbst bezeichnet es als Aufklärungsplattform, die gemeinsame Operationen unterstützen und Entscheidungen auf EU-Ebene vorbereiten soll.

Aktionstage gegen Schleuser

Die Behörden der Westbalkan-Staaten sind außerdem Teilnehmer "Gemeinsamer Aktionstage", die regelmäßig von Frontex oder Europol gegen grenzüberschreitende Kriminalität organisiert werden. Sie verfolgen eine wechselnde Zielsetzung, darunter die Verfolgung von Drogenschmuggel, Fahrzeugdiebstahl, irreguläre Einreisen oder das Erkennen gefälschter Dokumente.

Migration steht ganz oben auf der Prioritätenliste aller "Aktionstage". Bei jeder Operation gehen der Polizei Geflüchtete ins Netz, die entweder noch nicht in der Europäischen Union registriert sind oder nach einem Asylgesuch in Griechenland oder Italien in andere Länder weiterreisen. Mit der Änderung des Schengener Grenzkodex soll diese "Sekundärmigration" unterbunden werden, auch das geplante Dublin IV-Abkommen soll die Weiterwanderung durch Leistungskürzungen eingrenzen.

Unter deutscher Leitung hat Frontex zuletzt den Aktionstag "Mobile" durchgeführt, bei dem die "östlichen und Westbalkan-Grenzen" verstärkt kontrolliert wurden. Die Operation wurde von Interpol und Europol unterstützt, als Erfolg meldet Frontex die Festnahme von 140 angeblichen Schleusern.

Österreich fordert mehr Militär für den Grenzschutz

Die Regierung in Wien hat jetzt ein Papier mit weiteren Maßnahmen zur Migrationsabwehr vorgelegt. Dort heißt es, dass bestehende Kooperationen mit den Westbalkan-Ländern ausgeweitet werden sollen. Dies betrifft etwa das sogenannte Salzburg Forum und den Brdo-Prozess, deren Netzwerke nach dem "Sommer der Migration" für die Abstimmung zur Schließung der "Balkanroute" behilflich waren.

Österreich drängt auch darauf, mehr Militär für den Grenzschutz einzusetzen. Der Vorschlag aus Wien dürfte auch im Rahmen der neuen Frontex-Verordnung von Bedeutung sein. Die Kommission hat im September den Vorschlag für eine "gestärkte und voll funktionsfähige" Agentur für die Grenz- und Küstenwache vorgestellt. Geplant ist eine ständige Eingreiftruppe von 10.000 Beamten. Mit eigenen Schiffen und Flugzeugen könnte sie laut der Kommission wie eine "echte Grenzpolizei" handeln.

Die Beamten, die zu einem Drittel direkt vom Hauptquartier in Warschau oder kurz- und langfristig von den Mitgliedstaaten entsandt würden, könnten mit Durchführungsbefugnissen ausgestattet werden und dürften Waffen tragen. Dies war bislang nur den Kontingenten aus den Mitgliedstaaten erlaubt. Die Truppe soll auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates auf dessen Hoheitsgebiet Abschiebungen koordinieren dürfen.