"Finanzstaatsstreich" des ehemaligen Eurogruppenchefs gegen Italien?

In der Mitte des Bildes, im Profil: Jeroen Dijsselbloem, Präsident der Euro-Gruppe von 2013–2018. Foto (von 2016): Dutch Government/Valerie Kuypers/Flickr. Lizenz: CC BY 2.0

Während die italienische Fünf-Sterne-Bewegung Aussagen von Dijsselbloem verzerrt, versuchen Medien seine Aussagen zu bagatellisieren

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Der Spiegel hat vergangene Woche eine Story unter dem Titel veröffentlicht: "Italien gegen Europa: Der "Finanzstaatsstreich", der doch keiner war". Angeblich rufe der frühere niederländische Finanzminister und ehemalige Chef der Eurogruppe Jeroen Dijsselbloem zu einem "Angriff auf Italiens Finanzen" auf, wird die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zitiert.

Das Nachrichtenmagazin kommt zur richtigen Einschätzung, wonach die Aussagen von Jeroen Dijsselbloem, geäußert in einem CNBC-Interview, von der M5S "mutwillig verdreht" und zum Teil auch "frei erfunden" wiedergegeben wurden. Trotz allem macht es sich der Beitrag viel zu einfach. Man kann tatsächlich in den Worten des Polit-Profis einen - verdeckten - Angriff sehen.

Die Übersetzung, welche die M5S von dem Interview liefert, ist unter aller Kanone und wurde hier dem Original gegenübergestellt. Die wesentlichen Aussagen des Mannes, der erst vor knapp einem Jahr vom Portugiesen Mário Centeno abgelöst wurde, können auf der CNBC-Webseite auch im englischen Original zusammengefasst nachgelesen werden.

Die Verschuldung Italiens und der Zinsanstieg

Tatsächlich ist der Sozialdemokrat nicht so dumm, die Märkte offen dazu einzuladen, "Italien zu bestrafen, indem sie dafür sorgen, dass die Zinsen auf die Staatsschulden steigen", wie die Populisten von Beppe Grillo behaupten. Diese Aussagen gab es so nicht.

Laut Spiegel "warnt" der Holländer aber vor einem Zinsanstieg, den sich Italien nicht erlauben könne. Er führt aus, dass italienische Banken und Investmentfonds eine große Menge Staatsanleihen aufgekauft haben. Ein starker Zinsanstieg - tatsächlich ist der Risikoaufschlag (Spread) in Rahmen des Haushaltsstreits mit der EU schon deutlich gestiegen - , hätte natürlich wegen der riesigen Verschuldung des Landes schnell massive Auswirkungen, wenn sich der Trend fortsetzt.

Immer mehr Geld aus dem Haushalt müsse in den Schuldendienst fließen, anstatt in die Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialsysteme. Eine Folge wäre aber auch, dass Banken und Fonds gewaltige Abschreibungen vornehmen müssten. Sofern sie das noch könnten, da sie ohnehin zum Teil weiterhin massive Probleme haben.

Dijsselbloem warnt vor einer "Implosion" in Italien

Erstaunlich ist aber, dass der Spiegel in einer merkwürdigen Form - um es gelinde auszudrücken - die eigentlich explosiven Aussagen des ehemaligen Chefs der Eurogruppe vollständig übergeht und sich damit in ein ähnliches Fahrwasser wie die M5S begibt. Denn Dijsselbloem erklärte: "Wenn sich die italienische Krise zu einer größeren Krise ausweitet, wird sie hauptsächlich in der italienischen Wirtschaft implodieren."

Dijsselbloem fabuliert davon, dass das zu kaum zu einer "Ausbreitung in Europa" führen würde.

Wegen der Art und Weise, wie die italienische Wirtschaft und die italienischen Banken finanziert werden, wird es eher eine Implosion als eine Explosion sein.

Jeroen Dijsselbloem

Einen solchen hanebüchenen Unsinn kann der ehemalige Chef der Eurogruppe selbst nicht glauben. Muss man das dem Mann, der die gesamte Krise mitgemacht hat, die Rettung des Euros und die Verwerfungen und hektischen Rettungsversuche angesichts der Schuldenprobleme von kleinen Ländern wie Griechenland, Portugal und Irland, wirklich in Erinnerung rufen?

Wurde es nicht eng, als das viertgrößte Euroland Spanien in Bedrängnis kam und die Europäische Zentralbank (EZB) ankündigen musste, "alles Notwendige zu tun, um den Euro zu retten"?

Muss man dem Polit-Profi wirklich erklären, dass Italien mit 2,3 Billionen Euro mehr Staatsschulden angehäuft hat, als Spanien, Griechenland, Portugal und Irland gemeinsam? Muss man eigentlich nicht, das weiß der Niederländer nur allzu gut, also verfolgt er ein Ziel mit seinen Aussagen.

Dröhnende Auswirkungen auf Europa

Angesichts der Schwierigkeiten, die es schon damit gab, die Probleme von Griechenland, Irland und Portugal zu managen, ist es schlicht absurd, den Standpunkt zu vertreten, es würde nur eine "Implosion" in Italien geben. Dafür sind die Beziehungen in einer globalisierten Welt viel zu sehr miteinander verbunden.

Es käme zu einer Ansteckung. Sollte es zur Implosion der italienischen Wirtschaft und des Bankensystem kommen, gäbe es anschließend eine dröhnende Explosion im restlichen Europa.

Warum sonst hat man sich vor knapp zwei Jahren nicht einmal getraut, die italienische Absturzbank Monte dei Paschi di Siena (MPS) wegen der Ansteckungsgefahren im europäischen Bankensystem abzuwickeln (vgl. Italien setzt zur Rettung der Krisenbanken an)? Man griff in Brüssel auf einen Trick zurück, um den gerade geschaffenen Bankenabwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) gleich beim ersten Lackmustest auszuhebeln, um die "Finanzstabilität in Europa" zu sichern.

Und jetzt will uns Herr Dijsselbloem, der an all diesen Vorgängen federführend beteiligt war, vormachen, dass eine "Implosion" in Italien keine Schockwellen über ganz Europa und die gesamte Welt aussenden würde, wenn dies vor fast genau 10 Jahren mit dem Absturz einer US-Investmentbank gelang? (vgl. Finanzkrise bedroht das weltweite Finanzsystem)

Bekannt ist auch, dass die Bankenkrise längst nicht ausgestanden ist. Noch immer stürzen Großbanken in Europa wie zuletzt die Popular in Spanien ab. Und in Spanien kommt es weiter zu Bankenrettung der besonderen Art. So wurden die Banken gerade über einen Justizskandal von der Rückzahlung von Milliarden an ihre Kunden befreit.

Zudem haben europäische Banken noch immer viele faule Kredite in ihren Büchern, wovor sich auch die EU-Finanzminister ängstigen. Ein Dominoeffekt, der schon im Fall der Monte die Paschi befürchtet wurde, würde im Fall der italienischen "Implosion" massiv auf die Tagesordnung drängen.

Kommen wir zum Angriff zurück, den die M5S in die Worte des Niederländers hineininterpretiert.