Erdogans Wahlkampf besonderer Art

Im März sind in der Türkei Kommunalwahlen. Wirtschaftlich geht es dem Land schlecht, der Präsident trickst und räumt die Opposition auf die Seite

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Für Präsident Erdogan und seine AKP stehen die Aktien schlecht. Den Menschen geht es wirtschaftlich immer schlechter. Verhaftungen von Journalisten, Politikern und Künstlern sind an der Tagesordnung. Vieles deutet darauf hin, dass die Wahlen manipuliert werden.

Der wirtschaftliche Niedergang der Türkei

Eigentlich bedarf es keiner Drohung von US-Präsident Trump, er würde die Türkei wirtschaftlich zerstören, sollten sie die syrischen Kurden angreifen. Den wirtschaftlichen Niedergang besorgt Erdogan und seine Partei schon selbst. 77 Prozent der Firmen in der Türkei haben vor, auf ausländischen Märkten zu expandieren, nur 1,7 Prozent in der Türkei.

Die Preise sind derart gestiegen, dass die Bevölkerung sich kaum noch mit Fleisch versorgen kann, berichtet der Istanbuler Metzger Gulha. Kauften die Leute vor kurzem noch ein Kilo Fleisch, sind es heute nur noch maximal 500 Gramm. Seine Metzgerei kann er nur noch durch massive Einsparungen am Laufen halten, etwa indem seine beiden Kinder nicht mehr mit dem Schulbus zur Schule fahren, - der kostete rund 28,50 Euro im Monat -, sondern mit dem öffentlichen Bus. Vor einem Monat bezahlte er für den Strom seines Ladens noch 86 Euro, um die Kühlaggregate rund um die Uhr laufen zu lassen. In diesem Monat waren es 150 Euro.

Erdogans Traum, dass die Türkei 2023, zum 100. Jahrestag der Gründung der Republik, zu den zehn führenden Industrienationen zählen wird, ist ausgeträumt. Es herrscht ein Konglomerat von türkischer Mafia und AKP-loyalen Bauunternehmern, die sich mittels Privatisierungen staatlicher Unternehmen und Zuteilung öffentlicher Aufträge ordentlich in die eigene Tasche wirtschaften.

Im Dezember 2018 wurde darüber hinaus im Haushaltsausschuss des Parlaments beschlossen, dass der Präsident auf Antrag einzelner Kommunen aus einem Extrahaushalt die Finanzierung "besonderer Projekte" übernehmen kann. Damit erhält Erdogan vor den Kommunalwahlen die Befugnis, den AKP-regierten Kommunen nach Belieben Gelder zuzuschanzen, um sich Mehrheiten zu sichern.

Verhaftungen sind an der Tagesordnung

Derweil gibt es eine neue Verhaftungswelle von HDP-Abgeordneten, Mitgliedern und Unterstützern. Vor allem in den kurdischen Gebieten finden Razzien und Durchsuchungen von HDP-Büros statt, die letztlich in der totalen Zerstörung der Einrichtung enden. Aber auch international bekannte Unterstützer der Oppositionsbewegung kommen zunehmend in den Fokus staatlicher Repression.

Der bekannte Musiker Ferhat Tunc wurde am Sonntag am Istanbuler Flughafen bei seiner Einreise aus Deutschland festgenommen. Ihm wurde mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft aus Diyarbakir Ermittlungen gegen ihn eingeleitet hätte. Er wurde bis zum Montag auf der Polizeistation im Flughafen festgehalten.

Die Deutsche Welle-Journalistin Pelin Ünker wurde Anfang Januar von einem Istanbuler Gericht zu einer Haftstrafe von mehr als 13 Monaten verurteilt - wegen Beleidigung und Rufschädigung eines Politikers. Zudem muss sie noch eine Geldstrafe von 8600 Türkischen Lira (etwa 1400 Euro) zahlen. Ünker war an der Enthüllung der sogenannten "Paradise Papers" beteiligt, als sie noch für die Zeitung Cumhuriyet arbeitete.

Hunderte Journalisten aus über 60 Ländern recherchierten 2017 über die Finanzgeschäfte von Politikern, Prominenten und Konzernen - unter anderem auch über die Briefkasten-Firmen in Malta und die Machenschaften des ehemaligen Ministerpräsidenten Binali Yildirim (vgl. Erdogan, die Paradise Papers und der Korruptionssumpf). Der Sprecher der Deutschen Welle, Christoph Jumpelt kommentierte das Urteil gegen seine Kollegin Pelin Ünker: "…Mit jedem ungerechtfertigten Urteil gegen Journalisten verschärft die türkische Regierung erneut die Einschränkung der Pressefreiheit."

In der westtürkischen Stadt Izmir wurde am vergangenen Freitag eine Gewerkschaftskundgebung von der Polizei angegriffen und 15 Gewerkschafter inhaftiert.

Türkei weltweit Spitzenreiter in Journalistenverfolgung

Mehr als 160 Journalisten sitzen derzeit in der Türkei in Gefägnissen. Damit steht die Türkei an der Spitze der Länder, die die Pressefreiheit massiv einschränken. Die Medien sind hart auf Linie gebracht und unter Erdogans Kontrolle. 90 Prozent der Medien arbeiten wie PR-Agenturen, schreibt die Zeit.

Fast alle Sender übertragen Erdogans Reden live, kritische Beiträge sucht man vergebens. Kritische Journalisten sitzen entweder im Gefängnis oder sind arbeitslos. Der Moderator Fatih Portakal von Fox TV wagte es, über die Proteste der Gelbwesten in Frankreich zu berichten und stellte eine kritische Frage zu Protesten in der Türkei. Er bekam prompt eine Abmahnung von ganz oben.

Die Staatsanwaltschaft leitete unverzüglich Ermittlungen wegen "öffentlicher Anstiftung zu einer Straftat" gegen Portakal ein, die TV-Show wurde für drei Tage gesperrt und der Sender musste eine Geldstrafe von umgerechnet rund 165.000 Euro zahlen.

Zwei bekannte Komiker, beide über 70, wurden verhaftet, weil sie sich kritisch gegenüber Erdogan geäußert hatten. Einer der Komiker griff den von Erdogan oft gegenüber Kritikern benutzten Satz "Kenn deine Grenzen" auf und sagte in einer Show bei Halk TV: "Hör zu, Erdogan. Kenn du mal deine Grenzen: Unseren Patriotismus hast du nicht zu prüfen!" Prompt stand am nächsten Tag die Polizei bei beiden vor der Tür.

Die zwei hätten zum Umsturz aufgerufen, meldeten Erdogans Anwälte der Rundfunkbehörde. Diese verhängte ein Ausstrahlungsverbot für fünf Sendungen und eine Geldstrafe von umgerechnet 13.000 Euro.

Die Bevölkerung reagiert auf die Gleichschaltung der Medien mit steigender Nutzung der Sozialen Medien. Der Anteil der Nutzer von Twitter, Facebook und anderen Seiten wuchs in den letzten zehn Jahren von 38 auf 72 Prozent. Die türkische Regierung reagiert mit "Cyber-Patrouillen", die das Netz auf Kritik durchforsten. Allein letztes Jahr wurden gegen 110.000 Accounts Ermittlungen eingeleitet, darunter auch Accounts aus Deutschland.

Auch die Abgeordneten der eher liberal-konservativen Opposition sind mittlerweile davon betroffen: Am 20. Dezember 2018 beantragte die Staatsanwaltschaft, die Immunität von 68 Abgeordneten der kemalistischen CHP aufzuheben. Sie hatten eine Erdogan-Karikatur über Twitter geliked und verbreitet.

Ihnen drohen jetzt Haftstrafen zwischen einem und vier Jahren, gepaart mit dem Verbot jeglicher politischer Betätigung.