"Assad-Regime" soll für fast alle von 336 angeblichen Chemiewaffenangriffen verantwortlich sein

Duma und der Gaskanister im Bett. Screenshot

Der vom Auswärtigen Amt geföderte Bericht des Global Public Policy Institute ist deutlich einseitig und kann als Propaganda oder Beeinflussung verstanden werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine vom deutschen Außenministerium und von der Robert Bosch Stiftung geförderter Bericht des Global Public Policy Institute (Berlin) über den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien kommt zu dem Ergebnis, dass es im Verlauf des Krieges, den man wegen der Vielzahl der ausländischen Truppen, Milizen und Kämpfer nicht Bürgerkrieg nennen kann, nachweisbar 336 Angriffe mit Chemiewaffen gegeben habe, 162 hätten nicht bestätigt werden können. Davon müsse man fast alle, nämlich 98 Prozent, dem "Assad Regime" zurechnen, nur zwei Prozent seien vom IS ausgeführt worden, die übrigen Dschihadisten- und Rebellengruppen wie HTS oder Ahrar al-Sham werden hingegen von jedem Verdacht freigesprochen.

Die Liste am Ende des Berichts ist freilich ein Witz. Es werden angebliche Angriffe aufgelistet, ohne die Quellen zu nennen, die unabhängig oder hoch zuverlässig sind und bestätigen würden, dass es sich um Chemiewaffenangriffe - auch mit unbekannten Substanzen - handelte und dass das Assad-Regime dafür verantwortlich ist. Wer will, glaubt also den Behauptungen der Autoren des GPPI.

Tobias Schneider, wohl der Hauptautor neben Theresa Lütkefend, ist Mitarbeiter am GPPI und kommt aus transatlantischen Kreisen. Er hat beim Center for European Policy Analysis gearbeitet, war Berater der Weltbank für Jemen und Syrien, kooperiert mit dem Middle East Institute und tritt auch als Experte beim Atlantic Council auf. Er vertritt amerikanische Interessen, wie man auch an einem von ihm für den Atlantic Council verfassten Bericht über den Wiederaufbau (2017) sehen kann, in dem er dazu auffordert, den Wiederaufbau zusammen mit den Alliierten, den Golfländern und der Türkei in den "Nicht-Regime-Gebieten" und unter Umgehung von Damaskus zu beginnen, also sich in diesen Gebieten, die nicht nur von Kurden, sondern eben auch von Dschihadisten kontrolliert werden, festzusetzen.

Der Bericht verspricht nicht nur eine Untersuchung der bestätigten Chemiewaffeneinsätze, sondern eine "auf Beweise gestützte Analyse der taktischen und operativen Logik, die der Verwendung von Chemiewaffen als Teil der weiteren Strategie der strafenden Aufstandsbekämpfung des syrischen Regimes zugrundeliegt". Daraus sollen dann effektivere politische Antworten abgeleitet werden. Das dürfte wohl der auch vom Auswärtigen Amt mit dem Bericht verfolgte Zweck sein.

Auffällig ist schon, wem für die Mitarbeit gedankt wird. Das sind u.a. die Syrian American Medical Society (SAMS), die Weißhelme, MayDay Rescue, das Syrian Network for Human Rights, das Violations Documentation Center (VCD), also Organisationen, die neben ihrer Arbeit auch eine Agenda haben und wie die Weißhelme möglicherweise auch direkt mit Dschihadisten zusammenarbeiten. Ob diese "Partnerorganisationen" hoch verlässliche oder unabhängige Quellen sind?

Terrorwaffe gegen "schutzlose Zivilisten" in "opposition strongholds"

Seltsam erscheint, dass 90 Prozent der Chemiewaffeneinsätze nach 2013, also nach der Ausrufung der roten Linie durch Obama 2012, dem Beitritt zur Chemiewaffenkonvention (2013) und nach der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen (2014), geschehen sein sollen. Damit könnte man man zu dem Schluss kommen, dass die Androhung von militärischer Gewalt die Assad-Regierung dazu bewogen hat, mehr Chemiewaffen einzusetzen, die vor der Vernichtung versteckt wurden.

Fast immer würde es sich Chlorgasmunition handeln, die so gebaut und abgeworfen wird wie die Fassbomben oder so abgeschossen wird von Raketenwerfern wie die übliche Munition. Die Chemiewaffen würden zum Arsenal ungerichteter Gewalt gehören, das Ziel sei die kollektive Bestrafung, Chlorgaskanister können ebenso wenig wie Fassbomben gezielt eingesetzt werden. "Von der Opposition kontrollierte Städte" würden sich angesichts der Gewalt, zu der auch Chemiewaffen gehören, unterwerfen. Man müsste vor allem die syrische Hubschrauberflotte außer Gefecht setzen, wird geraten.

Verwendet würde Chlor, weil es billig ist und auch zu zivilen Zwecken gebraucht wird. Chlorgas sei weniger tödlich als andere Chemiewaffen und würde vor allem als Terrorwaffe gegen "schutzlose Zivilisten" in "opposition strongholds" eingesetzt.

In dem Bericht ist von Islamisten und Dschihadisten und deren Gewalt, beispielsweise ungerichteter Artilleriebeschuss von Wohngebieten, kaum die Rede, von massiver Gewalt aus der Luft und durch Artillerie wie bei der Eroberung von Mosul oder Raqqa, die großflächig zerstört wurden, ganz zu schweigen. Dass die "Rebellen" Teile der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten auch als Geisel hielten, wird auch nicht erwähnt. Es geht offenbar darum, das Böse zu identifizieren, wobei die andere Seite durch Auslassung weißgewaschenen wird. Verwundert heißt es etwa und deutlich undifferenziert zugunsten der Aufständischen:

Importantly, the Assad regime also succeeded in linking the indiscriminate violence suffered by civilians in opposition-held areas with the presence of armed rebels: a representative survey of attitudes among refugees in Turkey showed that Syrians who had directly lost their homes due barrel bomb strikes were significantly less likely to support opposition forces. Instead, they disproportionately chose to renounce all armed actors altogether. These effects were especially pronounced among women - anchors of civilian life whose withdrawal of support can have outsized effects on insurgent resolve.

Am Beispiel Duma (Douma) soll dann der bis zuletzt "ungebrochene Widerstand gegen das Assad-Regime" gefeiert werden, wer die "Rebellen" im "Rebel-Held Eastern Ghouta" waren, die nicht abziehen wollten - ein Modus überdies, den die westlichen Streitkräfte in Mosul und Raqqa nicht praktiziert haben, sondern lieber die Stadt mit den verbliebenen Kämpfern und der noch vorhandenen Bevölkerung verwüsteten. So schreibt man Propaganda, auch wenn alle Chemiewaffenangriffe tatsächlich auf die syrischen Truppen zurückgehen sollten. Dabei stellte sich heraus, dass weniger Zivilisten mit den Dschihadisten der Dschaisch-al-Islam abzogen, die Mehrheit akzeptierte aus welchen Gründen auch immer die syrische Regierung.

Unverhohlen wird am Schluss gefordert, was möglicherweise Zweck der Finanzierung des Berichts durch das Auswärtige Amt war, die "rote Linie" aufrechtzuerhalten und bei jedem weiteren angeblichen Chemiewaffeneinsatz der syrischen Truppen sofort militärisch zuzuschlagen. Das haben bekanntlich die USA, Frankreich und Großbritannien auch ohne jeden unabhängigen Nachweis gemacht. Und es werden die westlichen Regierungen dazu aufgerufen, Organisationen wie die Weißhelme weiter zu unterstützen. Bellingcat wird nicht erwähnt, deren Untersuchungen werden aber auch hier ausgiebig und völlig unkritisch als Nachweise benutzt.