Syrien: Dass aber Assad das Geld nicht bekommt!

Checkpoint. Archivfoto (2012): Elizabeth Arrott/VOA. Gemeinfrei

Die Geberkonferenz in Brüssel und die Antwort auf die Frage, warum "es in absehbarer Zeit zu keiner Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien kommt"

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Es wird wärmer auch in Syrien, wenigstens das. Ansonsten sind die Aussichten schwierig. Die Nachfrage nach Ölprodukten, die man zum Heizen braucht, wird nachlassen, aber die Syrer werden weiter mit anderen Beschränkungen durch Sanktionen zu kämpfen haben, die das Überleben und Leben im Land Belastungen aussetzen, die man in Deutschland seit Generationen nicht mehr kennt.

Warum sollten Syrer zurückkehren?

Das war eine der zentralen Frage der Geberkonferenz in Brüssel, die gestern zu Ende ging. Der österreichische EU-Kommissar (für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen) Johannes Hahn bewies mit seiner Antwort Realitätssinn:

Wir müssen davon ausgehen, dass es in absehbarer Zeit zu keiner Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien kommt.

Johannes Hahn, EU-Kommissar

Der Artikel der Zeit zur internationalen Geberkonferenz für Syrien zitiert noch zwei weitere Aussagen von Johannes Hahn, die dessen Realitätssinn unterstreichen. Erstens, dass es so bald keine politische Lösung des Syrienkonflikts geben wird, und zweitens:

Ich glaube, von dieser Illusion muss man sich befreien, dass es ohne ein Zusammenwirken mit dem jetzigen Regime gehen wird.

Johannes Hahn, EU-Kommissar

Wie die Berichte über die Brüsseler Konferenz von Karin Leukefeld einerseits und von Journalisten, die der syrischen Opposition nahestehen, Ammar Hamou und Barrett Limoges anderseits zeigen, ist der Weg zum "Zusammenwirken" sehr weit.

Wie sieht eine politische Lösung aus?

Noch immer: Regime Change

Das war die andere zentrale Frage der Konferenz, die seit Beginn der bewaffneten Konflikte in Syrien gestellt wird und im Grunde eine Variation der immergleichen Forderung danach ist, dass Baschar al-Assad und seine nächste Umgebung bitte Platz machen soll für eine "Übergangslösung". Oder wie der österreichische EU-Kommissar mit dem Wirklichkeitssinn etwas vollständiger als in der Zeit von Leukefeld im russischen Nachrichtenportal Sputnik wiedergegeben wird:

Es kann keinen Regime Change über Nacht geben. Aber wir erwarten Zeichen für einen glaubwürdigen politischen Übergangsprozess. Unterstützung für den Wiederaufbau kann dabei ein Hebel sein.

Johannes Hahn, EU-Kommissar

Damit wird, jenseits aller Polemik, die es dazu immer wieder gibt, deutlich, dass es das politische Ziel "Regime Change" gibt und dass die EU an diesem Prinzip festhält. Äußerungen, die etwa aus der französischen Regierung zu al-Assad regelmäßig kommen, unterstützen den Gedanken, dass die EU darauf fokussiert ist.

Das ist mit vielen Problemen verbunden. Für die wichtigste Problemstellung, wie denn der syrische Staat ohne Assad politisch organisiert werden sollte, ohne dass das Land weiter destabilisiert würde und Konflikte nicht noch mehr ausarten (Racheaktionen, Machtkämpfe), gibt es von europäischer Seite auch nicht den blassesten Hauch einer Idee, die es mit einer Wirklichkeit aufnehmen könnte, wie sie sich in Syrien in den letzten Jahren zeigte.

Die Politiker, die sich in irgendeiner der von der Türkei, der EU, der Golfstaaten oder den USA unterstützten Oppositionsvereinigungen zeigten, hatten nie das Format etwas anderes zu sein als "Puppen", "Avatare", "Figuren" für Interessen, welche von äußeren Mächten bestimmt werden. Die Beispiele Irak und Libyen fallen in diesem Zusammenhang zwangsläufig.

Kein Plan: Nicht im Westen, aber auch nicht in Syrien

Das Problem mit der Zukunft Syriens hört an dieser Stelle allerdings nicht auf. Hier könnte man den Bericht von Leukefeld auf Sputnik vervollständigen, die den Grund der syrischen Nöte vor allem in der Sanktionspolitik des Westens, der USA und der EU sieht.

Damit spricht sie eine bitterharte Aushungerungspolitik des Westens an, die in den Hauptnachrichten zur Geberkonferenz gar nicht erwähnt wird, unter der aber weniger Vertreter der politischen Führung und der Elite in Syrien leiden, sondern vor allem die Bevölkerung.

Die Folgen dieser Sanktionen - die EU nennt sie "einseitige restriktive Maßnahmen" - treffen jeden einzelnen Syrer und behindern selbst die humanitäre Hilfe, kritisieren Uno-Organisationen. Der UN-Sonderermittler für die humanitären Folgen der Sanktionen gegen Syrien, Idriss Jazairy, betonte in seinem Bericht von September 2018, die Sanktionen verschärften das Leiden der Zivilbevölkerung.

Angesichts dieser Auswirkungen wirkt die humanitäre Hilfe der EU scheinheilig. Wollte man den Syrern und der Region zu einer guten Zukunft verhelfen, müssten die Sanktionen aufgehoben werden.

Karin Leukefeld

Das ist in der Sache völlig richtig - die Sanktionen bringen nur Leiden - , hat aber einen blinden Fleck, das ist die Politik der syrischen Führung. Es ist eine Sache, die Regierung in Damaskus aus dem Schussfeld der Kampagnen und Verzerrungen in westlichen Medien zu nehmen, die andere ist es, sie von Kritik zu verschonen.

Geht es nach der Analyse von Nir Rosen, der Syrien gut kennt, so kann man komplementär zum Fehlen eines politischen Planes für einen geordneten Frieden in stabilen Verhältnissen aufseiten des Westens ähnliches auch bei der Regierung in Damaskus feststellen.

"Warum sollte jemand nach Syrien zurückkehren?", fragte auch Rosen vor ein paar Wochen auf einer Konferenz zu Syrien, die in Russland im Waldai Club abgehalten wurde. "Um seinen Militärdienst abzuleisten, wegen der Sanktionen, wegen der Armut?"

Es gebe "keine Hoffnung".

Der Traum jeder Familie besteht darin, ihre Söhne nach draußen zu schicken, außerhalb Syriens. Die Familien bauen auf Männer, die arbeiten und nun müssen sie sich Sorgen machen, dass auch 38-Jährige zum Militärdienst einberufen werden. Die Regierung und ihre Verbündeten haben ihren Sieg zu früh gefeiert und haben niemals eine Vision darüber geäußert wie die Friedenszeiten organisiert werden sollten.

Nir Rosen

Dem folgt eine scharfe Bestimmung der Lage:

Die syrische Regierung glaubt, sie habe den Krieg gewonnen, sie hat aber nichts dafür getan, damit die Nation sich wieder erholt. Damit meine ich nicht die Kooperation mit dem Westen oder hoffnungslose Fantasien wie den Gnfer Prozess, sondern das Formulieren einer Aussicht und die Rückversicherung aller Syrer, innerhalb und außerhalb des Landes, dass es eine Zukunft gibt und dass sie willkommen sind.

Das Land braucht eine Reform, auch wenn es arm ist. Die Reform würde neue Ressourcen mit sich bringen. Wenn die Regierung verkünden würde, dass die Rückkehrer, egal wer sie sind, Teil des Reformprozesses sind, wird es Geld geben, wenn das Land Offenheit zeigt. Aber die Haltung und das Verständnis (i.O. mindset) der Regierung, die sie in Zonen zeigt, die zuvor von der Opposition kontrolliert wurden und die jetzt wieder zugänglich sind, sind schlimmer als früher. Die Regierung ist nicht im Modus einer Versöhnung, sondern im Modus des Siegers - "Ich hab den Krieg gewonnen und du bist jetzt ruhig und kannst Sch… fressen.

Nir Rosen

Rosen kennt Syrien gut. Er hielt sich 2011 über mehrere Wochen in Syrien auf, um sich die Proteste genauer anzuschauen. Er war einer der ersten, der frühzeitig auf das Übergreifen, der von außen, etwa Saudi-Arabien, unterstützten dschihadistischen und islamistischen Milizen hinwies.

Der syrische-US-amerikanische Syrien-Beobachter Ehsani 2, der die Irrwege der Opposition und ihrer westlichen Unterstützer ebenfalls früh viel genauer als die westlichen Medien verfolgte, hält Rosen gar für einen außergewöhnlich gut informierten Landeskenner.

Dazu gibt es ganz gewiss auch andere Ansichten. Auffallend ist aber, dass Rosen anders als in der von Lagerrhetorik beherrschten Pro/Kontra-Assad-Diskussion auf wunde Stellen aufmerksam macht, die sonst gar nicht auftauchen.