Krise in Libyen: Seenotretter suchen einen sicheren Hafen

Die vormalige "Professor Penck", nun "Alan Kurdi". Bild: sea-eye.org

Ein Schiff der NGO Sea Eye mit 64 Migranten wartet auf Zusagen. Das Dauerdrama hat nun einen Krieg zum Hintergrund

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Die Lage ist verfahren. 64 Migranten sind an Bord des Seenotrettungsschiffes Alan Kurdi, das im Mittelmeer unter deutscher Flagge fährt. Das Schiff sucht nach einem sicheren Hafen zum Anlaufen. Es ist nicht das erste Drama dieser Art. Die langen Verhandlungen unter europäischen Ländern, bis man sich über die Aufnahme der Migranten einigen kann, sind hinlänglich bekannt. Diesmal kommt allerdings eine weitere Schwierigkeit hinzu.

Die Lage in Libyen ist alles andere als sicher. In der näheren Umgebung der Hauptstadt Tripolis und an deren Rändern toben schwere Gefechte zwischen Milizen. Verschiedene Aufrufe der Internationalen Gemeinschaft, der im Fall der letzten Erklärung der EU wiederum lange Verhandlungen zur Formulierung vorausgingen, haben keine wesentliche Wirkung ausgeübt. Die Kämpfe gehen davon unbeeindruckt weiter.

Das internationale Interessensgeflecht hinter den Auseinandersetzungen zwischen Khalifa Hafters Milizen und denen, die aufseiten der offiziell anerkannten Regierung unter Führung von Fajas Seradsch stehen, ist kompliziert (Libyen am Scheideweg). Umso mehr als die Loyalität der Milizen sich nach Gelegenheiten ausrichtet.

Haftar: Ein neues Libyen?

Auch wenn sich Unterstützer des Feldmarschalls Haftar an dessen Versprechen orientieren, dass er mit seinem Milizenverbund LNA für Ordnung in einem neuen Libyen sorgen will und im Grunde "gegen islamistische Terroristen" vorgeht, gibt es genug Aspekte, die zur vorsichtigen Beurteilung seiner Mission zur Rettung Libyens raten: etwa die Beteiligung eines gesuchten Kriegsverbrechers, die Unterstützung von Madchali-Salafisten, die zwar Gegner der Muslimbrüder sind und auch nichts mit al-Qaida zu tun haben, aber auch nicht gerade auf säkularem Kurs sind, wie es sich manche in Diskussionen herbeibeten wollen, und nicht zuletzt der unbedingte Machtanspruch des älteren, gesundheitlich angeschlagenen Generals.

Einen sicheren Hafen in Libyen, der den Kriterien des Seerechts genügt, gibt es im Augenblick weniger denn je. Die libysche Küstenwache hat ihre Arbeit wegen der kriegerischen Gefechte eingestellt, nach Aussage des Kapitäns des Rettungsschiffs der NGO Sea-Eye.

Die ohnehin miserablen Zustände in libyschen Flüchtlingslager haben sich durch die Kriegssituation weiter verschlimmert. Die Versorgungslage sei katastrophal, so die irische Journalistin Sally Hayden. Die Lager in der Nähe der Hauptstadt sind besonders gefährdet, manche wurden geräumt oder es wurde versucht, Flüchtlinge woanders hin zu bringen. Die IOM hat ihre Hilfsmaßnahmen bei Tripolis eingestellt.

In Berlin rufen über 200 Abgeordnete in einem Osterappell dazu auf, Migranten, die vor der Küste Libyens in Seenot geraten, besser zu helfen.

Sie fordern mehr Einsatz für den Schutz von Menschenleben auf dem Mittelmeer. Es brauche politischen Druck aus dem Parlament heraus, damit Schiffe mit geretteten Menschen an Bord nicht tage- oder wochenlang auf dem Meer ausharren müssten, sagte die Grüne Luise Amtsberg bei der Vorstellung des Appells. Unterzeichnet wurde der Aufruf von Parlamentariern aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Tagesschau

Im Fall der Alan Kurdi gab es bereits Signale aus Deutschland, dass man bereit sei, einen Teil der Migranten aufzunehmen. Man kann davon ausgehen, dass sich auch Italien dazu bereit erklären wird, obwohl Salvini sich auch in diesem Fall deutlich gegen die Rettungsoperation der Alan Kurdi ausgesprochen und wie immer erklärt hat, dass Italien keinen Hafen zur Verfügung stellen wird.

Zwischen Italien und Frankreich kommt es über Libyen seit einigen Wochen zu Konflikten - kürzlich beschuldigte Salvini in einer indirekten, aber unmissverständlichen Andeutung, dass Paris mit seiner Unterstützung Haftars mitverantwortlich ist für den Ausbruch militärischer Gewalt. Die lange Formulierungsarbeit an der EU-Erklärung, die Haftars LNA direkt als Kriegspartei anspricht, ist Zeichen einer Uneinigkeit im Lager der EU. Frankreich unterstützt Haftar und hätte das gerne im Hintergrund gehalten. Auf jeden FAll sträubte man sich in Paris angeblich gegen die Aufforderung, dass Haftar die Offensive stoppen soll.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Salvini auch Zeit nimmt bei den Verhandlungen zum weiteren Vorgehen im Fall der Migranten an Bord der Alan Kurdi.

Verteidiger der "guten" Einheitsregierung?

Wie lange die gegenwärtigen Gefechte zwischen Haftars Truppen und dem gegnerischen Milizenverbund dauern werden, ist nicht voraussehbar. Täglich wird von Eskalationsmöglichkeiten berichtet. Einen irreführenden Beiklang hat die Darstellung von Haftars Gegner als Verteidiger der nationalen Einheitsregierung (GNA).

Deren Interessenshorizont ist ziemlich beschränkt. Er ist sehr viel weniger auf das Wohlergehen Libyens, wenn überhaupt, ausgerichtet als auf eigene Profite. Islamisten sind darunter, auch mit Verbindungen zu bekannten Terrorgruppen wie al-Qaida. Auch hier ist also große Vorsicht vor einer eindeutigen Zuordnung angebracht. Zumal die Milizen schnell die Fronten wechseln.

Die EU tut sich wieder einmal schwer damit, zu einer geschlossenen einheitlichen Position zu finden und dann diese Position tatsächlich wirkungsvoll umzusetzen. Die hieße im aktuellen Fall, dass man die militärische Lösung, auf die Haftar setzt, faktisch als die schlechtere ausweist und entsprechende politisch gewichtige Vorschläge macht, so dass die politische Lösung auch die bessere ist.

Das aber hat die EU nicht im Kreuz, dahingehend könnte nach Stand der Dinge vor allem Russland einwirken oder als entferntere Möglichkeit die USA, die mit einem weiteren großen Player in Libyen, den Vereinigten Arabischen Emiraten, verbunden sind.

Allerdings scheint Libyen für die Trump-Administration derzeit keine unmittelbare Priorität zu haben. Das Weiße Haus hält sich zurück. Auch aus dem Pentagon ist nichts Lautes zu hören.

Für die EU stellen sich ein paar Fragen, angefangen damit, was eigentlich mit den vielen Millionen Euro passiert ist, mit denen man zur Stabilität Libyens beitragen wollte, was aus der Verbesserung der von der EU ausgebildeten Küstenwache geworden ist, wie es kommt, dass Frankreich militärisch und geheimdienstlich der Gegenkraft zur politisch unterstützten Regierung hilft und Italien an anderen Strippen zieht und auf wie viele neue Flüchtlinge aus Libyen man sich vorbereiten muss.