Die erste Zivilisation, die interstellare Reisen durchführen kann, "löscht notwendig jede Konkurrenz aus"

Lagunennebel. Bild: NASA, ESA und STScI

Gibt es intelligentes außerirdisches Leben, ist es gut- oder bösartig oder sind die Menschen doch alleine?

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Was ist los mit den Außerirdischen, auf die wir auf der Erde schon so lange warten oder deren Spuren manche immer mal wieder sehen wollen. Da draußen im Weltall ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auf irgendeinem der zahllosen Exoplaneten in unserer Galaxie Leben und dann auch intelligentes Leben entstanden ist, das sich durch Technik bemerkbar oder auch zur Erde reisen könnte. Aber bislang sind wir auf der Erde einsam geblieben, was vielleicht dem Bild der monotheistischen Religionen entspricht, dass auch nur Teile der Menschen auf der Erde von Gott auserwählt wurden. Schließlich ist der Heiland auf der Erde zu den sich auserwählt wähnenden Menschen gekommen und hat ihnen die frohe Botschaft verkündet. Theoretisch wäre natürlich auch möglich, dass sich das Drama auf allen Exoplaneten wiederholt oder, viel naheliegender, dass andere intelligente Wesen sich andere Götter erfinden oder auch ohne diese auskommen.

Aber jenseits der Religion bleibt die Frage, warum bislang noch keine Hinweise auf außerirdische Intelligenz wahrgenommen werden konnten oder ob es womöglich trotz einer theoretisch riesigen Zahl von Exoplaneten, die prinzipiell Leben erlauben würden, wie wir es kennen, doch nur die Erde gibt, auf der es zufällig entstanden ist, weil die Wahrscheinlichkeit vielleicht gegen Null geht, dass aus Mikroorganismen intelligentes Leben durch Mutation entstehen kann.

Fermi Paradox

Hintergrund ist das so genannte Fermi Paradox. Der Physiker Enrico Fermi entwickelte in den 1950er Jahren die Argumentation, dass dann, wenn die Erde keine große Ausnahme sein sollte, auch woanders intelligentes Leben entstanden sein muss, das auch fähig zur Raumfahrt, zu Reisen durch Galaxien und zur Kolonisierung ist. Wenn solche Zivilisationen entsprechend alt werden und Millionen von Jahren überleben können, müssten wir bereits auf sie bzw. sie auf uns gestoßen sein. Paradox ist nach dieser Argumentation, warum das noch nicht geschehen ist.

Da hier auch mit der Langlebigkeit von Zivilisationen argumentiert wird, die erst interstellare oder gar intergalaktische Reisen ermöglichen, liegt das Argument nicht fern, dass Zivilisationen eben nicht alt genug werden, sondern sich selbst etwa durch (atomare) Kriege oder ihre Lebensgrundlagen durch rücksichtslose Ausbeutung oder negatives Geoengineerinng wie Klimaerwärmung relativ schnell zerstören könnten. Die Menschen haben gerade erst vor 50 Jahren die technischen Mittel gehabt, zum Mond zu fliegen, darüber hinaus sind sie noch nicht gelangt, während gleichzeitig die Chancen im Anthropozän steigen, dass die planetaren Bedingungen für das Überleben der Menschen bald zusammenbrechen könnten. Ob es dann bereits möglich ist, auf Millionen von Jahren dauernde Reisen ins Unbekannte loszuziehen, die gerade voraussetzen, in den Raumschiffen bzw. Kolonien eine autarke Lebenswelt mit in sich geschlossenen Kreisläufen zu erhalten, wie das mit Biosphäre II versucht wurde, darf bezweifelt werden.

Anders Sandberg, Eric Drexler und Toby Ord haben eine Studie vorgelegt, mit der sie zeigen wollen, dass das Fermi-Paradox auf falschen Annahmen beruht, vor allem darauf, dass selbst dann, wenn die Entwicklung intelligenten Lebens auf einem Planeten gering ist, die enorme Vielzahl von Planeten, auf denen Leben möglich ist, es eine große Zahl von potenziell beobachtbaren Zivilisationen geben müsse. Berücksichtige man die Unsicherheiten im Wissen über die Entstehung des Lebens auf den vielfältigen Größenordnungen, dann sei es ziemlich wahrscheinlich, dass es in dem von Menschen beobachtbaren Universum kein anderes intelligentes Leben gibt.

Zu enge Definition des Lebens

Der russische Physiker Alexander Berezin von der Nationalen National Research University of Electronic Technology (MIET) schlägt eine andere Lösung des Fermi Paradoxons in einer Veröffentlichung vor. Er erklärt, das Paradox sei ganz einfach zu lösen, ohne weitere Annahmen machen zu müssen. Zunächst einmal meint er, die meisten Erklärungsversuche würden von einer zu engen Definition des Lebens ausgehen.

Man würde, betrachtet man nur die Evolution des irdischen Lebens, drastisch unterschätzen, woran sich das Leben anpassen könne. Es gebe auch keine Möglichkeit, alle Lebensformen zu erfassen, die unabhängig voneinander entstehen können. Es spiele keine Rolle, wie die Zivilisationen im interstellaren Raum sein könnten. Es könnten biologische Organismen ähnlich wie wir sein, bösartige Künstliche Intelligenzen, die ihre Hersteller bekämpfen, oder auch Intelligenzen, die sich auf einem Planeten verteilen wie in Stanislaw Lems "Solaris". Man müsse Leben breiter definieren, beispielsweise als etwas mit folgenden Eigenschaften: Homöostase, Organisation, Metabolismus, Wachstum, Anpassung, Reaktionsfähigkeit und Reproduktion. Wachstum und Reproduktion seien die wichtigsten Treiber für die Ausbreitung des Lebens.

Meist wird bei Thematisierung des Fermi Paradoxons von der Abschätzung der Wahrscheinlichkeiten für Abiogenese (Entstehung organischer Moleküle aus anorganischen Molekülen), von multizellulären Organismen oder der Entwicklung intelligenten Lebens ausgegangen. Was man allerdings objektiv messen könne, sei nur die Wahrscheinlichkeit (Parameter A), dass Leben aus dem Weltall in gewisser Entfernung von der Erde ausgemacht werden kann. Die sei sehr gering und nahe Null, meint Berezin.

Ein weiterer Faktor sei, wie schnell Leben wächst und sich ausbreitet, sofern es nicht auf dem Ursprungsplanet festsitzen bleibt. Berezin verweist auf eine Berechnung von Isaac Asimov, der einmal versucht hat, ausgehend von der seiner Zeit bestehenden Reproduktionsrate abzuschätzen, wie schnell die Menschheit das beobachtbare Universum besiedeln würde. Er kam auf 4200 Jahre. Berezin berücksichtigt noch die begrenzte Geschwindigkeit und kommt dann auf eine Mindestzeit von 100.000 Jahren für die Milchstraße, was im Rahmen der Evolutionsgeschichte ein Klacks sei, und von 500 Millionen Jahren für den Laniakea-Superhaufen. Entscheidend dabei sei, wie wahrscheinlich es ist (Parameter B), dass sich Lebensformen gerade in ihrer kosmischen Expansionsphase begegnen.

Berezin schließt sich Frank Tipler an, der 1981 sagte, es gebe kein extraterrestrisches Leben. Ein Universum müsste 1020 Sterne für nur eine intelligente Art umfassen. Und wenn es extraterrestrische intelligente Lebewesen gebe, müsse man diese bereits bemerkt haben, weil jede intelligente Kultur eine "selbstreplizierende universelle Konstruktionsmaschine mit Intelligenz" herstellen könne, die alle Maschinen bauen könne und die auf den Weg ins All geschickt würde, um dieses mit den dort vorhandenen Materialien zu kolonisieren. Letztlich müsste das Universum bereits mit Robotern oder anderen selbstreplizierenden Von-Neumann-Maschinen bevölkert sein.

Extraterrestrischen widmen uns vielleicht nur die Aufmerksamkeit, die wir für Ameisen übrig haben

Sagan und Newman haben diese "solipsistische" Ansicht mit einem anderen Gedankengang erwidert. Sie sind überzeugt, dass eine intelligente Zivilisation, die solche selbstreplizierenden Von-Neumann-Maschinen entwickelt hat, auch die Gefahren sieht und deren Entwicklung sichern würde, so dass sie sich nicht interstellar ausbreiten können, während die Verwendung auf dem Heimatplanet nur sehr eingeschränkt erlaubt wäre. Und wenn Zivilisationen dazu noch Massenvernichtungswaffen entwickelt haben, dann ist das zwar ein Zeichen der Aggressivität, aber sie würden sich bald vernichten, lange bevor sie in den Weltraum starten, wenn sie nicht schnell lernen, die Aggression zu unterdrücken.

Zivilisationen, die lange genug existieren, um sich im Weltraum auszubreiten, seien diejenigen mit der geringsten Neigung zu einem "aggressiven galaktischen Imperialismus". Sagan und Newman setzen voraus, dass es auf vielen Planeten Leben gibt, das gegenüber den Menschen weiter fortgeschritten ist als die Menschen im Vergleich zu Ameisen. Die Extraterrestrischen würden uns vielleicht nur die Aufmerksamkeit widmen, die wir für Ameisen übrig haben. Ein Teil dieser Zivilisationen könne eben auch in der Milchstraße kolonisierend unterwegs sein, aber wenn, dann seien sie eben gutartig. Ganz klar ist nicht, was daraus folgt, dass sie die Erde und die menschliche Zivilisation in Ruhe lassen?

"First in, last out"

Von der Gutartigkeitshypothese hält Berezin nichts, er schließt sich Tipler an und spitzt seine Haltung mit der These "Wer zuerst da ist, wird zuletzt gehen" (First in, last out). Die erste Zivilisation, die interstellare Reisen durchführen kann, "löscht notwendig jede Konkurrenz aus, um die eigene Macht zu stärken". Das müsse nicht bewusst geschehen, vielleicht so, wie ein Raupenfahrzeug auf einer Baustelle eine Ameisenkolonie zerstört. Selbst wenn die Individuen vorsichtig sein sollten, wären es ihre Von-Neumann-Maschinen nicht. Es könne schon eine einzige bösartige KI den ganzen Superhaufen mit Kopien bevölkern, indem "jedes Sonnensystem in einen Supercomputer verwandelt wird. Es macht keinen Sinn zu fragen, warum sie das tut. Es zählt nur, dass sie es kann."

Nun aber sind nicht Aliens oder deren intelligente Maschinen bei uns, sondern noch leben wir alleine auf unserem "relativ intakten" Planeten und sind dabei, über interstellare Erkundungen nachzudenken. Daher müsse man als Erklärung zum anthropischen Prinzip und nicht nur zur Hypothese der "Rare Earth" greifen, also dass im Weltraum, im Sonnensystem und auf der Erde die Bedingungen vorhanden sind, die intelligentes Leben ermöglichen: "Wir sind zu dem Zeitpunkt, die ersten, die ankommen, und werden höchstwahrscheinlich die letzten sein, die gehen." Danach würden die Menschen alleine und einzigartig bis zu ihrem Verschwinden bleiben. Aber weil das nur eine Hypothese ist, hofft Berezin, dass sie doch nicht wahr sein könne: "Die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, ist die weitere Erkundung des Weltraums und die Suche nach außerirdischem Leben." .