Nachrichten aus Eldorado: Guyana und das Erdöl

"Goldene Pfeilspitze", die Flagge Guyanas: Gelb steht für die Bodenschätze und die Hoffnung auf eine goldene Zukunft des Landes; das Design der Flagge stammt aus den USA

ExxonMobils Ölentdeckungen vor der Küste lassen Jahrhunderte alten Grenzkonflikt zwischen Venezuela und Guyana aufleben

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Erst kurz vor Weihnachten 2018 hatte die venezolanische Marine ein Erkundungsschiff abgefangen, das im Auftrag von ExxonMobil vor der Küste Guyanas nach Ölvorkommen suchte. RAMFORM TETHYS, das zur norwegischen Petroleum Geo-Services (PGS) gehört, hatte daraufhin die Erkundungen abgebrochen und war nach Annäherung der venezolanischen Marine Richtung Osten abgedreht.

In einer Erklärung hatte der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Robert Palladino, Venezuela für den Vorfall verantwortlich gemacht, das er bei dieser Gelegenheit gleich noch ermahnte, das Völkerrecht zu respektieren. Er verwies auf Guyanas Recht zur Erkundung von Erdöllagerstätten in seiner ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Worum es ihm dabei eigentlich ging, ist vor allem das ungestörte Engagement von ExxonMobil in der Region.

Guyana ist bis heute von seiner Kolonialgeschichte geprägt, was besonders in der Bevölkerungsstruktur des Landes sichtbar wird. 1499 kamen die Spanier, Sir Walter Raleigh hat hier das sagenumwobene Eldorado gesucht. Die Holländer stiegen im 17. Jahrhundert mit Verve als verspätete Kolonialmacht ein. In den drei Kolonien von Essequibo, Berbice und Demerara wurden Baumwolle, Kaffee, Kakao und vor allem Zucker angebaut. Zur Bewirtschaftung der Plantagen holten die Holländer Sklaven aus Afrika. Bis 1815 wechselten die Kolonien mehrfach den Besitzer, bis sie auf dem Wiener Kongress den Briten zugeschlagen wurden, die sie 1831 zu Britisch-Guyana zusammenfügten. Mit der Abschaffung der Sklaverei 1834 gingen die Briten bei der Arbeitskräftebeschaffung neue Wege. Die British East India Company lieferte 1838 ein erstes Kontingent indischer Kulis - Kontraktarbeiter, die unter ähnlich menschenunwürdigen Bedingungen wie ihre Vorgänger die Arbeit auf den Plantagen übernahmen. Ihre Nachfahren stellen bis heute die größte Bevölkerungsgruppe Guyanas, die zur Jahrtausendwende 43 Prozent der Gesamtpopulation von heute ca. 780.000 Einwohnern ausmachte. Afro-Guyaner sind mit 30 Prozent beteiligt. Zwischen beiden Gruppen kommt es immer wieder zu Konflikten, die regelmäßig von auswärtigen Mächten instrumentalisiert werden. Einmischversuche der USA haben hier Tradition - sie gehen bis auf die Zeit vor der Unabhängigkeit 1966 zurück.

Goldgräberstimmung im Stabroek-Block

Im Mai 2015 hatte ExxonMobil die Entdeckung eines mehr als 90 Meter mächtigen, ölhaltigen Sandsteinreservoirs 200 Kilometer vor der Küste Guyanas bekanntgegeben. Die Prospektoren waren in einer Tiefe von 5.433 Meter fündig geworden, bei 1.743 Meter Wassertiefe. Liza-1 ist die erste entdeckte Ölquelle im 26.800 Quadratkilometer großen Stabroek-Konzessionsblock. Bis dahin galt Shells Zaedyus-Ölfund von 2011 vor Französisch-Guyana als einziger im gesamten Offshore-Bereich der Region.

Liza soll 2020 mit der Förderung beginnen. Mit Liza Destiny wurde eine FPSO (Floating Production Storage and Offloading Unit) in Auftrag gegeben, die im Herbst 2019 vor Guyana erwartet wird. Die schwimmende Produktions- und Lagereinheit ist 340 Meter lang und soll bis zu 120.000 Barrel pro Tag fördern, wobei sie 1,6 Millionen Barrel an Bord zwischenlagern kann.

Das Bohrschiff DEEPWATER CHAMPION hat Liza-I in den unterseeischen Gesteinsformationen der Oberkreide vor Guyana erbohrt. Bild: Michael Elleray / CC-BY-2.0

Diverse Bohrschiffe operieren bereits in der Region, wie etwa die STENA CARRON oder die NOBLE BOB DOUGLAS.

Bei Exxon rechnet man im Stabroek-Block mit einem Potential, das den Einsatz von mindestens fünf FPSOs rechtfertigt. Ab 2025 sollen hier 750.000 Barrel pro Tag gefördert werden: leichtes, schwefelarmes Öl, das sich gut zur Herstellung von Petroleum, Kerosin und Diesel eignet. Neben Liza wurden unter anderem mit Payara, Liza Deep, Snoek, Turbot, Ranger und Pacora bereits weitere bedeutende Fundstellen im Stabroek-Block lokalisiert. Bisher werden deren Reserven mit mindestens 5,5 Milliarden Barrel Rohöl beziffert. Erst am 18. April 2019 hatte Exxon mit Yellowtail-1 einen weiteren Fund vermeldet.

Währenddessen laufen die Erkundungen in anderen Abschnitten auf Hochtouren. ExxonMobil ist mit 45 Prozent der Mehrheitseigner im Stabroek-Block, gefolgt von Hess Guyana Exploration (USA, 30 Prozent) und CNOOC Nexen Petroleum Guyana (China, 25 Prozent). Vor Guyana sind weitere Ölunternehmen aktiv, wie etwa die britische Tullow Oil, die kanadische Eco Atlantic Oil And Gas, die spanische Repsol und die kanadische CGX Energy. Erst 2018 war die französische Total ins Erkundungsgeschäft eingestiegen.

Das Land lockt als Grenzmarkt ("Frontier Market") Investoren an: Guyana gehört nicht mehr zu den am wenigsten entwickelten Ländern, doch ist es noch nicht als Schwellenmarkt eingepreist - zu klein, zu arm und nicht flüssig genug, Geschäftemachern zu riskant.

Gebietsansprüche: Langzeitstreit unter Nachbarn

Venezuela hatte zuvor die Entscheidung Guyanas kritisiert, die Ölförderung in den Gewässern vor der Küste der territorial umstrittenen Essequibo-Region anzugehen. Dieses dünn besiedelte Dschungelgebiet macht mehr als zwei Drittel des guyanischen Territoriums aus und ist seit Jahrzehnten Gegenstand eines Nachbarschaftsstreits: Guayana Esequiba war 1899 per Schiedsspruch Guyana zugeschlagen worden, damals britische Kolonie. Später kamen Beweise einer Konspiration britischer und russischer Schlichter ans Tageslicht, woraufhin Venezuela den Fall 1962 noch einmal auf die internationale Bühne brachte: vor die Vereinten Nationen.

Mit dem fünften Artikel des Genfer Vertrags von 1966 wurde der Status der umstrittenen Gebiete festgelegt. In den Bestimmungen heißt es, dass mit Inkrafttretens des Abkommens keine Handlungen oder Aktivitäten in den umstrittenen Gebieten erfolgten, die "eine Grundlage für die Durchsetzung, Unterstützung oder Ablehnung eines Anspruchs auf territoriale Souveränität" darstellten. Der Vertrag enthält auch eine Klausel, die es beiden Nationen untersagt, die Angelegenheit weiter zu verfolgen - es sei denn, auf offiziellen zwischenstaatlichen Kanälen.

1970 folgte das Port of Spain Protocol, das ein zwölfjähriges Moratorium auf die Gebietsansprüche erklärte, um die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu fördern. Der Konflikt blieb in der Schwebe.

Das englischsprachige Guyana (215.000 Quadratkilometer klein) ist in Sachen Ölförderung ein bisher unbeschriebenes Blatt. Die neuen Funde heizen den Streit um den Grenzverlauf zum Nachbarn Venezuela wieder an: In wessen ausschließlicher Wirtschaftszone liegen die Ölvorkommen? (Lage zusätzlicher Öl- und Gasfelder in der Region nach Petrodata v1.2. Außerdem im Bild: ungefähre Lage des Starbroek-Konzessionsgebiets und Tiefenprofil des Meeresbodens.) Karte: Bernd Schröder / QGIS

Das Protokoll lief 1983 aus, Venezuela entschied, nicht zu verlängern und stattdessen auf seinen Territorialansprüchen zu beharren. Die mit der Sache befassten diplomatischen Kontakte zwischen beiden Ländern liefen bis 2017 gemäß den Bestimmungen des Genfer Vertrags bei einem eigens eingesetzten, vermittelnden Vertreter des UN-Generalsekretärs zusammen. Der Fall wurde im Januar 2018 an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag weiterverwiesen, was von Georgetown begrüßt und von Caracas kritisiert wurde. Die Auseinandersetzung hat sich in den vergangenen Jahren mit den Entdeckungen der Ölvorkommen durch Exxon wieder verschärft.

Hintergrund: Kampf um Energiekorridor vom Orinoco-Ölgürtel zum Guyanabecken

Der US Geological Survey (USGS) hatte das Potenzial für unentdeckte konventionelle Öl- und Gasfelder in den dafür in Frage kommenden Regionen Südamerikas und der Karibik im Rahmen des USGS World Petroleum Resources Project erst 2012 neu bewertet und war dabei zu dem Schluss gekommen, dass im Guyana-Suriname-Becken mit bedeutenden, bisher nicht entdeckten Öl-und Gaslagerstätten zu rechnen sei.

Guyana ist eines der ärmsten Länder Südamerikas. Nun könnte es mit seinem bestätigten Ölreichtum in die Liga der großen Förderer aufsteigen.

Die Bekanntgabe von ExxonMobils Liza-Fund von 2015 kam nur fünf Tage, nachdem der frühere Militärgeneral David Granger zum Präsidenten von Guyana gewählt worden war und damit die seit 1992 regierende linksgerichtete People’s Progressive Party abgelöst hatte.

Granger unterstützt Bestrebungen, die sich für engere Beziehungen zwischen den USA und Guyana einsetzen. Viele Guyaner leben als Auswanderer in den Staaten. Das "Committee for an American Guyana" will Guyana gar als Außengebiet der Vereinigten Staaten sehen, ähnlich Puerto Rico - oder als neuen US-Bundesstaat.

Flagge von Guyana, USA. Bild: Committee for an American Guyana

Wem die Einnahmen aus dem Ölgeschäft zugute kommen werden - darüber sind in Guyana Diskussionen entbrannt. Präsident Granger war 2017 wegen eines öffentlich gewordenen Geheimdeals mit ExxonMobil in die Schlagzeilen geraten. Er hatte das für Guyana als äußerst nachteilig geltende Production Sharing Agreement mit dem US-Multi unterzeichnet - die guyanische Regierung konnte dafür einen 18 Millionen US-Dollar-Bonus einstreichen.

Heute wird der guyanischen Regierung unter Federführung des US-Außenministeriums in Nachhilfestunden zur "Guten Regierungsführung" beigebracht, wie man Gewinnbeteiligungsvereinbarungen und Umweltvorschriften formuliert und eine strikte Rechtsstaatlichkeit entwickelt, um den Einfluss auswärtiger Ölkonzerne auszugleichen. Kritiker verweisen auf den Ausgang eines solchen Programms: Es würde Exxon helfen, unter dem Mantel der Rechtsstaatlichkeit von Guyanas Ölschatz zu profitieren. Der Wert des bisher aufgespürten Öls vor Guyana wird auf 200 Milliarden US-Dollar taxiert. Die ausländischen Partner werden 60 bis 65 Prozent der Gewinne einfahren, ein weitaus größerer Anteil, als im Ölgeschäft etablierte Nationen ihren Investoren üblicherweise zugestehen.

Doch in der Region geht es um mehr. Die US-amerikanischen Anstrengungen für einen Umsturz in Venezuela sind geopolitisch und geoökonomisch motiviert und nur Teil einer größeren, langfristig angelegten Strategie in der Region: Südamerika und der Karibikraum sollen politisch, wirtschaftlich und finanziell neu konfiguriert werden, der Traum: ein Energiekorridor vom Orinoco-Ölgürtel über den Essequibo bis zu den Tiefen des Atlantiks unter US-amerikanischer Kontrolle.

Gleichzeitig sollen andere auswärtige Mächte ausgebootet werden, die in der jüngeren Vergangenheit vor Ort aktiv geworden sind, wie etwa China und Russland, die aus der Sicht der Amerikaner die angestrebte Kontrolle der Energieressourcen der Region stören.

Ein Umsturz in Venezuela würde zur Aneignung des bisher von Venezuela bewirtschafteten Endes dieses Korridors im karibischen Becken führen. Der gilt als größter bekannter Vorrat an Öl- und Gasreserven der Erde. Am anderen Ende wird der Korridor bereits in der AWZ von Suriname erweitert.

Russische und chinesische Mineralölkonzerne (Rosneft und CNOOC) stehen bei Investitionen und Erkundungsprojekten in Venezuela an vorderster Front - nicht nur auf dem Energiesektor, sondern auch in Infrastrukturvorhaben wie der Verbesserung der Verkehrswege. Sie stellen eine ernsthafte Bedrohung für die US-Pläne dar, in denen ExxonMobil als strategische Öl-Bezugsquelle zur Umsetzung der geopolitischen globalen Kontrolle fungiert.

ExxonMobil spielt in den US-Plänen für die Region eine zentrale Rolle. Das Agieren des Unternehmens ist nur ein Beispiel dafür, wie die Interessen US-amerikanischer Geschäftseliten mit den Regierungsgeschicken der Vereinigten Staaten verwoben sind - die Nominierung des ehemaligen ExxonMobil-Vorstandsvorsitzenden Rex Tillerson zum ersten Außenminister der Trump-Regierung hat das unmissverständlich klargemacht.

Der Zerschlagung von Petrocaribe als Zusammenschluss karibischer Staaten, die in Venezuela Öl zum Vorzugspreis einkaufen, kommt eine besondere Bedeutung zu. Damit sollen Venezuela die Bündnispartner in der Karibik abspenstig und so die regionale Unterstützung gegen die Belagerung des Landes gebrochen werden.

Das entspricht den langfristigen Zielen von ExxonMobil: Das Unternehmen ist dabei, auch das Guyanabecken seinen Interessen entsprechend politisch und wirtschaftlich umzugestalten.