Fresenius statt Daimler

Sozialstaats-Kolonialismus als Hintergrund der Bertelsmann-Antikrankenhaus-Studie

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Mitte Juli 2019 hat die seit Herbst 2016 laufende Kampagne zum rabiaten Abbau von Krankenhausstandorten einen Höhepunkt erreicht. Zunächst hat 2016 eine so genannte "Nationale Akademie der Wissenschaften" mit Sitz in Halle gefordert, 1600 der 1900 Krankenhausstandorte in Deutschland zu eliminieren. Nur so sei die Qualität der Krankenhausversorgung zu verbessern.

Dieser von angeblichen "Experten" formulierte Vorschlag zu einer an die Bahn-Stilllegungen erinnernden Zerstörung der Krankenhaus-Infrastruktur hat damals nur in Fachkreisen Aufmerksamkeit und vor allem Widerspruch erfahren.1

Diesmal hat das "Zentralisierungskartell"2 seine erneute Kampagne gegen die wohnort- und familiennahe Krankenhausversorgung medial umfassend vernetzt und eine regelrechte "Medienhype" (Tobias Bevc) erzeugt.3 Dabei reicht die Riege der Claqueure von GEZ-ARD über BILD-Zeitung bis zum Schwarm der Online-Dienste.

Die einflussreiche Bertelsmann-Stiftung hat es mit ihrer Studie "Zukunftsfähige Krankenhausversorgung" vom Juli 2019 geschafft, die Schließung von 800 der gegenwärtig etwa 1400 Plan-Krankenhäuser zu einem Medienthema zu machen.4

Neoliberaler Täuschungs-Lobbyismus im Dienste der Rest-Sozialdemokratie

Auffallend ist der Umstand, dass das ansonsten als seriös und reflektiert einzuschätzende keynesianisch orientierte Ökonomenmagazin "Makroskop" die Bertelsmann-Studie nicht von einem gesamt- und gesundheitswirtschaftlich versierten Fachmann kritisch beurteilen hat lassen. Stattdessen hat der pensionierte, wohl sozialdemokratische Gesundheitsbürokrat Hartmut Reiners die Bertelsmann-Studie durchgehend positiv bewertet. Er sieht in der Studie und ihrem Medienecho einen wichtigen Beitrag dazu, ein Uralt-Reformziel der SPD-Gesundheitspolitik, die so genannte "Integrierte Versorgung" durch Krankenhäuser und Arztpraxen "endlich konsequent umzusetzen".5

Allerdings ist es bei den von der SPD seit den 1980er Jahren geforderten Krankenhaus- und Gesundheitsreformen zunächst und lange Zeit überhaupt nicht um die Qualität der Versorgung gegangen. Krankenhausbetten und Krankenhäuser sollten abgebaut werden, um die "Kosten", d.h. die Kosten der Krankenkassen und damit die so genannten "Lohn-Nebenkosten" der Wirtschaft zu senken.

Wegen des nachhaltigen Widerstandes der regionalen Bevölkerungen gegen Fachabteilungs- und Krankenhausschließungen brütete dann eine Expertengruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD im Jahr 2013 ein trickreiches Konzept zur Umgehung dieses Widerstandes aus: Die Verknüpfung von angeblicher "Qualitätsverbesserung der Krankenhausversorgung" und notwendiger "Überkapazitätsverringerung der Krankenhausversorgung".6

Die Argumentationsfigur der Bertelsmann-Studie und zuvor schon der National-Akademie-Studie war geboren: Qualitätsverbesserung durch Klinikzentralisierung.

Vor allem die Krankenkassen-Konzerne und ihr Propagandabüro "Wissenschaftliches Institut der Ortskrankenkassen" (WIdO) arbeiten seit Jahren unermüdlich an der These, die Behandlungsqualität hänge von der Krankenhausgröße ab. "Telepolis" hat am Beispiel der wohnortnahen Geburtshilfeabteilungen gezeigt, wie dürftig die "wissenschaftliche" Beweisführung des WIdO allein schon in diesem Beispielfalle ist.7

Dass sich das ansonsten durchaus investigative Ökonomenmagazin "Makroskop" in Sachen Bertelsmann-Klinikstudie zusammen mit ARD und BILD-Zeitung in der Riege der Bertelsmann-Claqueure wieder findet, verdankt es hoffentlich nur seiner Gutgläubigkeit, Fahrlässigkeit und wohl auch Unwissenheit in Sachen Gesundheitswirtschaft.

Wiewohl makroökonomisch-keynesianisch orientiert, ist die "Makroskop"-Redaktion auf die von der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgelegte Leimrute "Qualität" geflattert und hat den pensionierten Gesundheitsbürokraten H. Reiners seine Eloge auf die Bertelsmann-Studie texten lassen. Dabei hat der Medizinkonzern Fresenius schon im April 2019 klar gemacht, worum es wirklich geht. Die "Deutschen- Wirtschafts-Nachrichten" schrieben damals:

Fresenius will von Schließungen kleinerer Krankenhäuser profitieren:
Der Medizinkonzern Fresenius sieht die sich abzeichnenden Schwierigkeiten für kleine, selbständige Krankenhäuser als Chance für einen Ausbau seiner Marktmacht. Von der Politik fühlt man sich unterstützt. Was die Schließung von kleineren Krankenhäusern für das Land bedeutet, ist offenbar egal.

Deutsche-Wirtschafts-Nachrichten, 13.4.2019

Der Verdacht steht allerdings im Raum, dass "Makroskop" keineswegs "aus Versehen" den Gesundheitsbürokraten Reiners immer wieder flache, SPD-reformerische Beiträge zu Gesundheits- und Alterssicherungsthemen texten lässt, nicht obwohl, sondern weil er Mitarbeiter des "Wissenschaftlichen Institutes der Ortskrankenkassen" (WIdO) war und immer noch Beiträge für AOK-Verbandspostillen schreibt. "Makroskop" hat von der 1 Billion Sozialbudget offenbar keine gesamtwirtschaftliche Konzeption, sondern eine sozialdemokratische Illusion. Für die gibt es aber bald gar keine Wählerstimmen mehr - also ist neoliberaler Täuschungs-Lobbyismus das Machtmittel der Wahl.