Waldsterben 2.0: "Man muss sehr schnell handeln"

Einschlag in Fichtenwald wegen Borkenkäferbefall. Bild: F.R.

Forstwissenschaftler Ulrich Matthes über den Zustand des Walds in Deutschland, den Waldgipfel und was getan werden müsste

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Angela Merkel hat mal gesagt: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Kann man sagen: Stirbt der Wald, dann stirbt der Klimaschutz?

Ulrich Matthes: Der Wald müsste global sterben, damit man das sagen kann. Das ist ein Extremszenario, von dem ich nicht ausgehe. Bezogen auf Deutschland ist es so, dass viele Wälder derzeit Schäden haben, wie man sie vor Jahren nicht erwarten konnte. Aber ich würde nicht sagen, dass der Wald in Deutschland flächendeckend absterben wird.

"Waldsterben 2.0", "Jahrhundertkatastrophe": Ist die Lage wirklich so schlimm oder ist das nur eine Art medialer Hype?

Ulrich Matthes: Die Lage ist auf alle Fälle schlimm und besorgniserregend, weil inzwischen mehrere Baumarten von Trockenschäden, Schädlingen und Krankheiten betroffen sind. Es ist kein regionales Problem mehr, wie es damals beim "Waldsterben 1.0" war, wo die Schäden sehr stark regional konzentriert waren und wo man mit dem Schwefeldioxid -"saurer Regen" - eine Hauptursache hatte. Jetzt ist es ein globales Phänomen, in Deutschland sind die Wälder flächendeckend betroffen. Insofern kann man schon von einer neuen Art des Waldsterbens sprechen.

Was halten Sie von der "Moritzburger Erklärung", in der die für Forstwirtschaft zuständigen CDU/CSU-Minister der Länder einen "Masterplan für Deutschlands Wälder" fordern?

Ulrich Matthes: Die dramatische Situationsbeschreibung in der Erklärung zeichnet meines Erachtens ein realitätsnahes Bild des gegenwärtigen Waldzustandes in Deutschland. Die Forderungen wie der unmittelbare Wiederaufbau klimaangepasster Wälder sind wesentliche Handlungsschwerpunkte auf dem Weg zu einem Zukunftswald, der die vielfältigen gesellschaftlichen Leistungen auch weiterhin erfüllen kann. Dazu ist, wie im Masterplan gefordert, auch die finanzielle Unterstützung der Länder unabdingbar.

Waldgipfel, Waldinventur, Fachgespräche: Braucht man all das, was die Politik jetzt ankündigt oder hat man schon längst alle nötigen Infos für eine Verbesserung der Lage?

Ulrich Matthes: Man hat natürlich vielfältige Entscheidungsgrundlagen. Man hat alle zehn Jahre eine Bundeswaldinventur. Alle Bundesländer machen sich Gedanken über die künftige Baumarten-Eignung und geben Empfehlungen heraus, die an den jeweiligen Standort angepasst sind. Nichtsdestotrotz sind die Schäden jetzt massiv auf großer Fläche aufgetreten, sodass die Waldbesitzer jetzt Hilfe brauchen - auch für den Wiederaufbau der Wälder. Und da muss man eben diese Entscheidungssysteme, die man hat, weiter entwickeln.

Es braucht auch Geld und Kapazitäten, um dieses gewaltige Programm zu bewältigen. Es geht nicht nur um finanzielle Ressourcen, sondern auch um Arbeitskräfte, Organisation und Logistik. Der ganze Holzmarkt ist stark in Mitleidenschaft gezogen worden, was die Preisentwicklung anbelangt. Insofern ist es schon wichtig, dass sich die Politik Gedanken macht, dass man sich zusammensetzt und solche Initiativen startet.

Haben wir noch genug Zeit, all das abzuwarten?

Ulrich Matthes: Man muss sehr schnell handeln, weil man diese geschädigten Flächen hat und wiederbewalden muss - allein schon wegen der gesetzlichen Vorgaben. Parallel dazu muss die Wissenschaft weiter erforschen, welche Baumarten bei welchem Klimaszenario geeignet sind. Viel Zeit haben wir nicht, wenige Jahre. Aber wir haben auch noch nicht die besten Entscheidungsgrundlagen.

Es geht vor allem um die Frage: Brauchen wir alternative Baumarten, die es bei uns noch nicht gibt? Solche müsste man erst mal über einen langen Zeitraum testen. Diese Zeit hat man aber nicht. Deswegen geht man mit dem Versuchsanbau jetzt schon in die Praxis und versucht, sie punktuell einzubringen und mit heimischen Arten zu mischen.

"Keine einseitige wirtschaftliche Orientierung, die in der Vergangenheit häufig im Vordergrund stand"

Wann muss der "Masterplan", den die Politik plant, spätestens in die Tat umgesetzt sein?

Ulrich Matthes: Das lässt sich schwer sagen. Man muss jetzt diese geschädigten Flächen aufforsten innerhalb von einem halben Jahr. Und man weiß zum Beispiel schon, dass man generell von der anfälligen Fichte wegkommen muss. Das muss man jetzt in die Tat umsetzen. Was neue Baumarten angeht, da hat man vielleicht noch ein paar Jahre Zeit.

Man muss genau beobachten, wie dramatisch es für den Wald in den kommenden Jahren wird. Vor wenigen Jahren haben wir noch gesagt, dass Baumarten wie Douglasie und Kiefer zukunftsfähig sind. Plötzlich zeigen die auch Schäden, so dass man hier von heute auf morgen möglicherweise umsteuern muss.

Denken Sie, die Politik wird das Nötige auch wirklich tun? Den Klimaschutz insgesamt hat sie in den letzten Jahren ja oft verschleppt.

Ulrich Matthes: Ich denke, wenn sich das in dieser Dramatik fortsetzt mit den Waldschäden, Borkenkäfern und Hitzewellen, dann wird die Politik auch aktiv werden. Wenn wir dann mal wieder ein kühleres oder feuchteres Jahr bekommen, dann hätte ich allerdings schon die Sorge, dass das sehr schnell wieder in Vergessenheit gerät. Umso wichtiger ist es, dass die Politik Förderprogramme auflegt und sich über die Legislaturperiode hinaus verpflichtet.

Was genau müsste bei dem für September von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner geplanten Waldgipfel herauskommen?

Ulrich Matthes: Man muss zunächst mal definieren, wo die anfälligsten Regionen sind. Dann muss man Prioritäten setzen: Welches sind die wichtigsten Kahlflächen, die aufgeforstet werden müssen? Dann muss man den Waldbesitzern nicht nur finanziell helfen, sondern ihnen auch die nötige Betreuung und Beratung zur Verfügung stellen, zum Beispiel durch die staatlichen Forstverwaltungen. Außerdem muss das Thema "Anpassung an den Klimawandel" verstärkt in der Aus- und Weiterbildung verankert werden.

Worauf muss allgemein noch geachtet werden?

Ulrich Matthes: Die Landesforstverwaltungen bundesweit haben sich der naturnahen Forstwirtschaft verschrieben. Das heißt, möglichst auf heimische Baumarten zu setzen, aber auch geeignete ausländische Arten im Blick zu haben. Und auf die biologische Vielfalt und eine Risikostreuung durch das Pflanzen von Mischwäldern zu achten. Also keine einseitige wirtschaftliche Orientierung, die in der Vergangenheit häufig im Vordergrund stand.

Was private und kommunale Waldbesitzer anbelangt, da hängt viel von der Beratung ab. Da muss man gezielt Schulungen anbieten und auf die Besitzer zugehen. Ganz wichtig ist, dass sich potenziell geeignete Baumarten auch natürlich verjüngen, also ihre Samen abwerfen, können. Wenn der Boden entsprechend fruchtbar ist, dann kann sich der Samen im Frühjahr darauf zu einer Pflanze entwickeln. Hier ist aber der sogenannte Wildverbiss ein großes Problem: Man muss verhindern, dass junge Bäume von Hirschen oder Rehen abgefressen werden. Weil es von diesen vielerorts noch zu viele gibt, müssen mehr Tiere geschossen werden.

Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen und selbst international bewirken?

Ulrich Matthes: Deutschland kann lernen, welche Baumarten sich in südlichen Ländern bewährt haben. Auf der anderen Seite ist die Bundesrepublik mit am weitesten entwickelt, was die naturnahe Forstwirtschaft anbelangt. Da können die anderen Länder viel von uns lernen. Europa- und weltweit gibt es Initiativen, um die Entwaldung aufzuhalten. Da müssen Deutschland und die EU noch stärker zugehen auf Länder wie Brasilien, Kanada und China, die teilweise noch großflächig Wälder roden.

Also ist das umstrittene Handelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur ein Fehler? Daran ist ja unter anderem Brasilien beteiligt, das seinen Regenwald rodet.

Ulrich Matthes: Ja, das ist ein Problem, man müsste mit diesen Handelsabkommen bestimmte Auflagen verbinden, damit man diese Entwaldung verhindert. Es gibt ja die Forderung aus einer Studie der ETH Zürich, dass man weltweit große Flächen aufforsten könnte und müsste. Aber ich denke, das Wichtigste ist, dass man erst mal die vorhandenen Waldflächen erhält.

Diese Studie hat ja für Aufsehen gesorgt. Ist Aufforstung die eine Lösung für alle Probleme?

Ulrich Matthes: Sie ist eine ganz wesentliche Möglichkeit, um Kohlendioxid zu binden und in den Bäumen und dann auch in den Holzprodukten zu speichern. Die Zahlen, die dort genannt wurden, scheinen mir aber unrealistisch hoch.

Kann man sagen, wie groß das Potenzial ist, dass das Thema Wald für den Klimaschutz bietet?

Ulrich Matthes: In Zahlen kann man das schwer fassen. In der oben genannten Studie heißt es, man könne zwei Drittel des menschengemachten CO2s aus der Atmosphäre holen. Das würde ich nicht so sehen, da wäre schon ein Drittel eine zu große Zahl. Aber die Aufforstung bzw. die Wälder leisten auf alle Fälle einen wichtigen Beitrag zur globalen CO2-Bindung.

Ulrich Matthes, Diplom-Forstwirt und Leiter des Rheinland-Pfalz Kompetenzzentrums für Klimawandelfolgen an der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt.

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