Schusswaffengewalt soll durch Früherkennung psychischer Störungen eingedämmt werden

Trump verbindet Massenschießerein mit Geisteskrankheiten, zur Prävention wird ein Massenüberwachungsprogramm etwa mit Apple Watches, Fitbits, Amazon Echo und Google Home erwogen

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Hierzulande wurde gar nicht registriert, was im Umkreis des Weißen Hauses diskutiert wird, um Amokläufe und Massenschießereien zu reduzieren, ohne an der bestehenden Freizügigkeit, Schusswaffen zu besitzen zu rütteln. Die These von US-Präsident Trump ist die der Waffenlobby. Ordentliche Bürger dürfen der Verfassung wegen Schusswaffen erwerben und tragen, das mache die Gesellschaft auch sicherer, weil für Abschreckung gesorgt wird. Gestört wird die waffentragende Harmonie der sich gegenseitig Bedrohenden nur durch Verrückte. Und weil die nicht normal sind, könne man gegen diese auch nicht wirklich etwas machen.

Im Weißen Haus hat man aber wohl eingesehen, nachdem die Massenschießereien anwachsen und dies nicht gerade für ein Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft sorgt, dass man irgendwie Handlungsbereitschaft demonstrieren müsste, wenn man schärfere Waffengesetze verhindern will. Das scheint für Trump ein Menetekel zu sein, weil er hier an Gefolgschaft verlieren könnte. Also müssen Alternativen ausgebrütet werden, die demonstrieren, dass man handeln kann, ohne die Waffengesetze zu verändern bzw. den Erwerb von Waffen zu erschweren.

"Safe Home": Stopping Aberrant Fatal Events by Helping Overcome Mental Extremes

Die bei Trump unbeliebte und als Teil der Fake-News-Medien verunglimpfte Washington Post berichtete jedenfalls, in Europa weitgehend unbeachtet, von Überlegungen im Weißen Haus, wie man früh- und vorzeitig Anzeichen bei Menschen registrieren könnte, die auf psychische Störungen hinweisen, die in gewalttätiges Handeln münden könnten. Die Richtung ist klar, man hätte damit wieder einen Bevölkerungsteil, dieses Mal allerdings nicht rassistisch, als riskant bezeichnet. Psychische Störungen, so die Botschaft, sind nicht nur eine Qual für die Betroffenen, sondern auch eine Gefahr für die Gesellschaft. "Geisteskranke" wurden wie alle anderen Minderheiten und Anormale wie Juden, Sinti und Roma, Linke oder Schwule im Nationalsozialismus als minderwertig gebrandmarkt und ausgemerzt.

Mit einer frühzeitigen Erkennung psychischer Störungen soll verhindert werden, dass solche dann als Gefährder geltende Menschen legal Waffen erwerben können. Donald Trump hatte bereits angekündigt, wenn auch dann wieder zurückgezogen, dass die Hintergrundprüfungen für die Berechtigung Schusswaffen erwerben zu können, verschärft würden. Er sprach dabei auch davon, ohne genauer zu werden, dass hier etwas vorbereitet werde. Gut möglich, dass Trump mit der präventiven Maßnahme hier demonstrieren will, etwas zu tun.

Die Idee soll auf die Suzanne Wright Foundation zurückgehen, die eigentlich bessere Maßnahmen zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs fördern will. Dabei wird auf frühzeitige Erkennung gesetzt. Um dies durch Entwicklung neuer Verfahren wie einen Krebstest zu ermöglichen, schlägt sie die Einrichtung einer der Pentagon-Forschungsbehörde Darpa gleichenden Forschungsbehörde im Gesundheitsministerium vor: Health Advanced Research Projects Agency (HARPA). Im Weißen Haus wurde die Idee nach der Washington Post schon seit 2017 diskutiert und nun durch die neuen mass shootings wieder hochgespült. Die Stiftung hatte vorgeschlagen, in die HARPA das auf 40-60 Millionen US-Dollar veranschlagte Programm "Safe Home" für "Stopping Aberrant Fatal Events by Helping Overcome Mental Extremes" aufzunehmen. Hier soll es eben darum gehen, aus "verhaltensneurologischen Zeichen" abzuleiten, ob jemand in die Richtung eines "gewalttätigen explosiven" Verhaltens geht.

Wer vor Alexa wütet, könnte zum Gefährder werden. Bild: Asivechowdhury/CC BY-SA-4.0

Datenanalyse in Echtzeit

Gedacht ist daran, mit einer Reihe von Sensoren und - natürlich, man will ja fortschrittlich sein - dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz Veränderungen bei Menschen festzustellen, die ihn anfälliger für gewalttätiges Verhalten machen. HARPA soll, so das Konzept, "durchbrechende Techniken mit hoher Spezifität und Genauigkeit für eine frühzeitige Diagnose einer verhaltenspsychiatrischen Gewalt" entwickeln: "Eine multimodale Lösung, zusammen mit einer Datenanalyse in Echtzeit, wird zur Erreichung einer solchen genauen Diagnose benötigt."

Apple Watches, Fitbits, Amazon Echo und Google Home könnten zum Belauschen und Beobachten der Benutzer verwendet werden, aber auch an funktionelle Magnetresonanztomographie oder Bildanalyse. Das klingt alles sehr unausgegoren und danach, mit hohem Einsatz von Technik eine angeblich objektive Diagnose treffen zu können. Das massenhafte Sammeln von Daten und das Eindringen in die Privatsphäre sind groteske Vorschläge, die man früher mit der Bekämpfung von Terroristen zu begründen suchte. Da wurden auch schon allerlei Techniken zur Prävention angedacht und entwickelt, die Ähnlichkeiten mit diesem Projekt haben, etwa Versuche, auch aus der Ferne in das Gehirn von Menschen schauen und ablesen zu können, ob sie vorhaben könnten, einen Anschlag zu begehen (Technischer Zauber zur Abwehr des Bösen; Auch die US-Army will aus der Ferne Absichten erkennen).

Trump: "Geistige Krankheit und Hass drückten ab, nicht das Gewehr"

Das setzt voraus, was Trump immer wieder betont, dass es einen engen Zusammenhang zwischen psychischen Störungen und Gewaltausübung gibt. So hatte er nach den Schießereien in El Paso und Dayton erklärt: "Geistige Krankheit und Hass drückten ab, nicht das Gewehr." 2014 hatte Wayne LaPierre, Präsident der Waffenlobby NRA, ein "nationales Register" für Menschen mit "Geisteskrankheiten" gefordert. Killer mit Wahnstörungen seien für die Gewalt verantwortlich, was wiederum bedeutet, dass die Mehrzahl der "Normalen" mit der Gewalt nichts zu tun hat, also problemlos weiter Waffen kaufen und besitzen kann. In einigen Bundesstaaten gibt es bereits Gesetze, nach denen Ärzte "gefährliche" Personen melden sollen, damit diesen die Schusswaffen entzogen werden können. Auch Wissenschaftler schlagen vor, Ärzte auszubilden, um sie beurteilen zu lassen, ob jemand geeignet ist, eine Waffe zu tragen, wie dies auch bei Piloten oder Zugfahrern gemacht wird.

Für diese Selektion einer gesellschaftlichen Gruppe spricht wissenschaftlich aber wenig, zumal hier auch noch ein Zusammenhang zwischen psychischer Störung und Hass unterstellt wird. Der Anteil der Gewalttäter unter den Menschen mit einer psychischen Störung/Krankheit ist nicht höher als unter "normalen" Menschen, sondern vermutlich geringer. Die überwiegende Zahl der Täter von mass shootings in den USA sind bzw. waren nicht psychisch krank, nach dem FBI lag für ein Viertel die Diagnose einer psychischen Störung vor. Risikofaktoren sind für das FBI: männlich, weiß und relativ jung.

Nach Daten über Morde mit Schusswaffen des National Center for Health Statistics zwischen 2001 und 2010 wurden von diesen nur 5 Prozent von Menschen mit einer Diagnose einer psychischen Störung begangen. Nach Untersuchungen spielen andere Faktoren eine größere Rolle: leichter Zugang zu Waffen oder deren Vorhandensein, Drogenmissbrauch, Gewalt in der Geschichte eines Täters oder Hass bzw. Ablehnung bestimmter Menschengruppen (Rassismus, Misogynie) - und auch die Neigung zu Wut:https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5116908/, Wutbürger scheinen häufiger und mehr Waffen zu haben. Zur Diskussion der Thematik siehe beispielsweise Jonathan M. Metzl und Kenneth T. MacLeish: Mental Illness, Mass Shootings, and the Politics of American Firearms.