"Von Kriegsverbrechern regiert"

Blau/Lila: EU; Lila: Visegrád-Staaten; Gelb: Westbalkan-Staaten; Orange: Kosovo. Grafik: TP

Der tschechische Staatspräsident will die Regierung seines Landes um eine Rücknahme der Anerkennung des Kosovo als Staat bitten

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Heute findet in der tschechischen Hauptstadt Prag ein Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten der vier Visegrád-Länder Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei statt. Thema dieses Gipfeltreffens ist die geplante Erweiterung der EU um die Westbalkanstaaten Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Albanien und Kosovo. Deshalb nehmen auch Politiker aus diesen Ländern an dem Treffen teil.

Die eingeladenen Teilnehmer aus dem Kosovo sagten jedoch kurzfristig ab, nachdem der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman gestern bei einem Staatsbesuch in der serbischen Hauptstadt Belgrad der Agentur CTK zufolge zu seinem serbischen Amtskollegen Aleksandar Vučić gemeint hatte: "Ein Staat, an dessen Spitze Kriegsverbrecher stünden, gehöre nicht in die Gemeinschaft demokratischer Staaten".

Außenminister Petříček gegen Rücknahme

Deshalb, so der für klare Worte bekannte Sozialdemokrat, werde er die Regierung seines Landes bitten, die diplomatische Anerkennung der Region als Staat zurückzunehmen. Er glaube, dass zumindest Verteidigungsminister Lubomír Metnar so einem Vorgehen offen gegenüberstehe.

Metnar äußerte sich dazu bislang noch nicht, aber dafür der tschechische Außenminister Tomáš Petříček. Er verlautbarte, Tschechien pflege sowohl zu Serbien als auch zum Kosovo "korrekte Beziehungen" und eine Rücknahme der Anerkennung liege - anders als eine Erweiterung der EU auf dem Balkan - "nicht im Interesse" des Landes. In etwa der Hälfte der Staaten auf der Welt, die den Kosovo nicht als unabhängigen Staat anerkannten, sieht man das anders. Auch von den 28 EU-Ländern sind fünf anderer Meinung.

Ramush Haradinaj

Das hat nicht nur mit Bedenken vor Separatisten im eigenen Land zu tun (die beispielsweise in Spanien eine wichtige Rolle spielen), sondern auch damit, dass Zeman mit seiner Sicht auf die Staatsführung des Kosovo nicht allen steht: Bei den letzten Parlamentswahlen siegte dort nämlich bei nur gut 40 Prozent Wahlbeteiligung das Wahlbündnis von Ramush Haradinaj, das aus seiner Partei AAK, der aus dem Hashim-Thaçi-Flügel der UÇK hervorgegangenen PDK und der aus den Fatmir-Limaj-Truppen der UÇK entstandenen Nisma besteht.

Haradinaj, der von Dezember 2004 bis März 2005 schon einmal Ministerpräsident war, wurde damals vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in den Haag angeklagt (vgl. Händeschütteln mit dem Kriegsverbrecher), aber "aus Mangel an Beweisen freigesprochen", weil "fast alle Belastungszeugen vor Ende des Prozesses unter mysteriösen Umständen starben", wie heute selbst die Südddeutsche Zeitung einräumen muss, die Ende der 1990er Jahre den NATO-Einsatz im Kosovo mit herbeischrieb (vgl. IS-Vorbild UÇK?). Nachdem ihn Den Haag dieses Jahr erneut vorlud, trat er im Juli zwar formal als Ministerpräsident zurück, führt aber weiter die Regierungsgeschäfte.

Mit Haradinajs AAK, Thaçis PDK und Limajs Nisma haben sich drei politische Akteure zusammengeschlossen, die der Organisierten Kriminalität einer für das deutsche Verteidigungsministerium angefertigten Studie des Instituts für Europäische Politik (IEP) nach am nächsten stehen - um es sehr vorsichtig zu formulieren. Die als "Verschlusssache" eingestufte Studie des IEP kam bereits Anfang 2007 zu dem Schluss, dass das Kosovo "fest in der Hand der Organisierten Kriminalität" ist, die "weitgehende Kontrolle über den Regierungsapparat" hat.

Clans und Kanun

Der Bericht führt aus, wie "parallel zum öffentlichen Ordnungswesen" die "Dominanz des clanbasierten und auf den Grundprinzipien patriarchaler Altersautorität fußenden Herrschaftssystems" wuchs, während der NATO-Angriffe einen "exponentiellen Machtzuwachs erfuhr und nach dem Zusammenbruch der jugoslawischen Ordnung zur alleinigen gesellschaftlichen Autorität im Kosovo avancierte". Anschließend kam es zur:

Herausbildung von clangesteuerten politkriminellen Netzwerken, die seither maßgeblich die ökonomischen Geschicke des Kosovo kontrollieren und konkurrierende legal aufwachsende Strukturen notfalls mit Waffengewalt eliminieren [...] Unter dem Deckmantel der Etablierung politischer Parteien verfestigten rivalisierende Clans [ihre] Machtstrukturen und konnten in Folge mehrerer Wahlen sowie aufgrund der politischen Anerkennung seitens internationaler Institutionen wie UNMIK und KFOR eine bislang unübertroffene Machtfülle erlangen.

Dass sich daran auch zwölf Jahre später und trotz teurer ausländischer Militär- und Behördenpräsenz nichts geändert hat, liegt unter anderem daran, dass sich das Funktionieren der politischen Strukturen aus dem Funktionieren der ökonomischen ergibt - und nicht nur den Recherchen von Jürgen Roth zufolge ist die Organisierte Kriminalität im Kosovo "der einzig wachsende und profitable Wirtschaftsfaktor". Auch deshalb, weil gegischsprachige Gruppen laut Jane's Intelligence Review große Teile des Heroin- und Mädchenhandels in Europa kontrollieren. Zu diesem Ergebnis kam auch der IEP-Bericht, in dem es heißt, "bereits heute stellt 'Mafiaboss' den meistgenannten Berufswunsch von Kindern und Jugendlichen dar" (vgl. Klares Votum für ein unabhängiges Mafiastan).

Der Aufbau einer Justiz scheiterte an Bestechung, Einschüchterung, Clanwirtschaft und dem informellen Kanun-Recht. Der Kanun trägt ein gewaltlegitimierendes Ehrkonzept ("Besa") und die Pflicht zur Blutrache ("Gjakmaria") im Mittelpunkt. Die Vorstellung, dass er mit der Zeit von alleine verschwinden würde, stellte sich als verhängnisvolle Fehlspekulation heraus: Er ist kein archaisches Recht, sondern entstand erst zu Beginn der osmanischen Besatzungszeit. Dort bildete er ein Gegen- bzw. ein Parallelrecht zum offiziellen osmanischen Recht. Dieses 500jährige Gedeihen im Schatten einer anderen Rechtsordnung lässt Vorstellungen fragwürdig erscheinen, dass die Bevölkerung ohne weiteres Zutun eine mit der westlichen Welt kompatible Rechtsordnung übernehmen würde. Die IEP-Studie befand zur Rolle des Kanun im Kosovo:

Die Dominanz dieser Rechtspraxis erstickt dabei jedweden S[ecurity]S[ystem]R[eform]-Prozess im Keim, da die Regeln des Kanun bereits vom Ansatz her einer Etablierung rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen zuwider laufen.

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