Spanien kriminalisiert Konfliktlösung im Baskenland

Die baskische Anwältin Amaia Izko. Foto: Ralf Streck

"Alles ist ETA"? Obwohl die Untergrundorganisation ihren Kampf seit Jahren eingestellt hat, werden nun auch ihre Anwälte angeklagt

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Spanien hat offensichtlich weiter keinerlei Interesse, seine Repressionspolitik gegen Basken aufzugeben, weshalb es heute erneut eine Großdemonstration im baskischen Bilbao gibt. Protestiert wird gegen den am Montag in Madrid beginnenden Prozess gegen 47 Basken, unter denen sich auch 13 bekannte Anwälte befinden. Sie sollen angebliche Unterstützer oder Mitglieder der Untergrundorganisation ETA sein. "Alles ist ETA", wird weiter angewandt, um die zu kriminalisieren, die ebenfalls für ein vereintes, unabhängiges und sozialistisches Baskenland eintreten.

Seit 20 Jahren fährt Spanien über die wenig unabhängige Justiz diese Linie, hat über sie illegal Kommunikationsmedien geschlossen und man schreckte auch nicht davor zurück, Journalisten zu foltern. Parteien und Organisationen der linken Unabhängigkeitsbewegung wurden reihenweise verboten und auf die Liste terroristischer Organisationen der EU gesetzt. Doch nicht einmal Frankreich kaufte den Keulenschwingern in Madrid die Propaganda ab. Bis auf die ETA konnten alle diese angeblichen "Terrororganisationen" im französischen Baskenland legal weiterarbeiten.

Große und kleinere Schauprozesse gegen Basken mit absurden Terrorismusvorwürfen, wie erneut nun einer am Montag in Madrid am Nationalen Gerichtshof beginnt, sind wahrlich bekannt. Spanien schafft es nun, die Absurdität in Verfahren mit fabrizierten Anschuldigungen auf die Spitze zu treiben. Nun werden erneut 47 Personen wegen einer angeblichen Unterstützung oder der Mitgliedschaft in einer ETA kriminalisiert, die schon vor acht Jahren ihre Aktivitäten "endgültig" eingestellt hat.

Keine Verhandlungen, kein Friedensprozess

Mehrfach wurde sogar versucht, ihre Entwaffnung zu torpedieren. Es drängte sich gar der Eindruck auf, dass Spanien ein Interesse an einem Fortbestand der Organisation hatte. Sogar internationale Vermittler in einem angestrebten Friedensprozess, wie der ehemalige Weggefährte Nelson Mandelas, Ronnie Kasrils, wurden vor diesen Gerichtshof gezerrt, weil sie einer Aktion zur Entwaffnung der ETA beigewohnt hatten.

Auf Verhandlungen oder einen Friedensprozess ließ sich Spanien nie ein, nicht einmal über die Übergabe der Waffen wurde gesprochen, weshalb die bedeutsame Entwaffnung letztlich von der Zivilgesellschaft - von Frankreich geduldet - geleistet werden muss. Danach hat sich die ETA sogar aufgelöst.

Amaia Izko ist eine bekannte baskische Anwältin, die Spanien mit ihrem Team auch in Verfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Spanien empfindliche Niederlagen beschert hat. Auch sie wird nun vor den Nationalen Gerichtshof gezerrt. Telepolis sprach mit der Expertin für Verfassungsrecht.

"Rache spielt eine große Rolle"

Auf welchen Vorwürfen basieren das Verfahren und die Anklage?

Amaia Izko: Nachdem die ETA 2011 ihren Kampf eingestellt hat, entstand hier vor sechs Jahren eine breite und parteiübergreifende Bewegung, um für die Rechte der ETA-Gefangenen einzutreten und die Rechtsverletzungen in den Gefängnissen anzuklagen. Gleichzeitig sollte auch weiter an einer Friedenslösung gearbeitet werden, um die Phase einer kriegerischen Konfrontation abzuschließen.

Wie üblich reagierte der spanische Staat mit Repression. So wurde die Organisation "Herrira" (Nach Hause) verboten und die Personen inhaftiert, die in der Öffentlichkeit gewirkt haben und später wurden auch Anwälte, Psychologen oder Familienangehörige einbezogen. Aus verschiedenen Polizeioperationen entstand dieser Großprozess am Sondergerichtshof, der am Montag beginnt.

Was wird Ihnen und den weiteren 46 Angeklagten vorgeworfen? Gesprochen wurde von der "Gefängnisfront".

Amaia Izko: Da ist der allgemeine Vorwurf, dass es sich bei Herrira angeblich um die Fortsetzung der 2001 verbotenen Hilfsorganisation "Gestoras pro Amnistia" (Amnestiekommission) handeln soll. Die war nach der Franco-Diktatur 1976 gegründet worden und ist nach spanischer Ansicht Teil der ETA. Sie wurde verboten und von Spanien auf die EU-Terrorliste gesetzt.

Und angeblich soll nun auch die Arbeit der Angeklagten jetzt einer ETA-Strategie unterliegen. Nur hat die ihren Kampf schon vor Jahren eingestellt. Die Staatsanwaltschaft behauptet trotz allem, dass hinter unserer sozialen, politischen und professionellen Aktivität die ETA steht.

Welche Strafen werden gegen die Angeklagten gefordert?

Amaia Izko: Das geht bei acht Jahren Haft wegen angeblicher Unterstützung der ETA los und geht hoch bis zu 20 Jahre wegen Mitgliedschaft und Fortführung des Terrorismus, weil es öffentliche Begrüßungen von Gefangenen nach ihrer Freilassung gab. Im Fall von Herrira-Mitgliedern kommt dazu, dass sie angeblich gegen eine vorsorgliche Maßnahme mit dem Verbot verstoßen haben sollen.

Dazu kommt bisweilen noch Terrorismusfinanzierung, weil Spenden für Angehörige von Gefangen, die für Besuche oft am Wochenende lange Reisen über 2000 Kilometer zurücklegen müssen, verwaltet wurden. Je nach Vorwurf sind es unterschiedliche Strafmaße. Insgesamt werden 601 Jahre gefordert, im Durchschnitt 13 Jahre.

Foto: Ralf Streck

Wie können psychologische Unterstützung oder die Verteidigung von Verfassungsrechten Delikte sein? Und klar ist doch auch, dass über die Verhaftung von Ihnen und anderen Anwälten 2015 auch Verteidigerrechte anderer Angeklagter ausgehebelt wurden?

Amaia Izko: Es ist völlig abwegig. Auch früher wurden schon Organisationen kriminalisiert, die angeblich zur ETA gehören. Nun kommt noch hinzu, dass die ihre Aktivität längst eingestellt hatte. Kriminalisiert wird damit auch der Versuch, eine Lösung für den Konflikt zu finden. Man benutzt eine ETA, die es nicht mehr gibt, weiter zur Kriminalisierung, um die repressive Strategie fortzuführen. Man arbeitet daran, neue Gefangene zu schaffen.

"Der Gerichtshof verfolgt ein politisches Ziel"

Es fällt auf, dass viele Anwälte angeklagt werden. Wie in Ihrem Fall sind darunter einige, die Spanien schwere Niederlagen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Folter oder willkürlicher Verlängerung von Haftstrafen zugefügt haben. Spielt also Rache eine Rolle?

Amaia Izko: Das ist sicher nicht der Hauptaspekt, aber Rache spielt eine große Rolle. Es soll die Situation noch genutzt werden, um 13 Anwälte zu kriminalisieren, die für die Rechte der Gefangenen am Nationalen Gerichtshof bis nach Straßburg am Menschenrechtsgerichtshof gekämpft haben. Wir haben aufgezeigt, dass Spanien keine fairen Prozesse garantiert und Prozesse wegen Folter und Misshandlungen gewonnen…

Es scheint, dass man uns in einer Art Nachspielzeit noch unter dem ETA-Label abstrafen will. Das Verfahren begann nach der schweren Niederlage Spaniens im Fall Ines del Rio und den willkürlichen Strafverlängerung über die Doktrin Parot. Die haben wir gekippt und etliche Gefangene mussten freigelassen werden. Praktisch steht das Team, das ich damals in Straßburg angeführt habe, nun vor Gericht.

"Die Gesellschaft darf eine solche Kriminalisierung nicht hinnehmen"

Erst im vergangenen November urteilte Straßburg, dass fünf baskische Politiker keinen fairen Prozess hatten und kassierte das Urteil. Sie hatten an der Abwicklung der ETA gearbeitet und die mehr als sechsjährige Haftstrafe schon abgesessen, bevor die Entscheidung in Straßburg fiel. Erwarten Sie einen fairen Prozess?

Amaia Izko: Nein. Am Nationalen Gerichtshof ist kein Prozess mit den nötigen Garantien möglich, da das ein Sondergericht ist. Dieses Verfahren ist abwegig, da uns auch keine persönliche Straftat zugeordnet wird, alles basiert auf allgemeinen Anschuldigungen über Polizeiberichte. Beweise gibt es nicht. Wir sind sehr besorgt, was im Verfahren herauskommen kann. Der Gerichtshof verfolgt ein politisches Ziel, er ist besonders durchlässig für politische Vorgaben.

Da es nach sechs Jahren überhaupt zum Prozess kam, ist gut möglich, dass es zu hohen Haftstrafen kommt. Wir sind natürlich um uns selbst besorgt, aber natürlich auch um unsere Angehörigen und Kinder. 38 Kinder müssen sind mit diesem absurden Vorgang konfrontiert und leiden darunter. Das Ganze hat natürlich aber auch eine gesellschaftliche Komponente. Die Gesellschaft darf eine solche Kriminalisierung nicht hinnehmen. Es wäre auch ein erneuter Rückschritt beim Versuch, eine Konfliktlösung zu finden.

Wie verhält sich die Gesellschaft im Baskenland, im spanischen Staat oder darüber hinaus?

Amaia Izko: Im Baskenland und zum Teil auf internationaler Bühne gab es uns gegenüber sehr gute Reaktionen. Es hat sich eine breite Bewegung zur Unterstützung gebildet. Betont wird darin, dass wir uns nicht zurück in die Vergangenheit treiben lassen. Mit dem Vorgehen werden nur das friedliche Zusammenleben und eine Konfliktlösung erschwert.

Allerdings sind die Reaktionen im spanischen Staat eher schwach. Von Seiten der Anwaltsvereinigungen bekommen wir schon Solidarität, aber in der Breite der Bevölkerung wird in der Kriminalisierung weiter ein legitimes und notwendiges Vorgehen gesehen, weil es mit der ETA verknüpft wird.

Da sieht man über Verletzungen von Menschenrechten und Grundrechten großzügig hinweg. Vielleicht sieht man das Verhalten der spanischen Gesellschaft noch stärker am Fall Kataloniens. Da schluckt die Gesellschaft auch die Kriminalisierung einer friedlichen Bewegung, was barbarisch ist. Hier im Baskenland ist für die Gesellschaft klar, dass der Konflikt gelöst werden muss. Wir wollen nicht zurück in die Vergangenheit, sondern wir wollen in die Zukunft schauen.

Was erwarten sie am heutigen Samstag von der Großdemonstration in Bilbao?

Amaia Izko: Wir hoffen natürlich, die Straßen von Bilbao heute zu füllen. Aber wir dürfen nicht bei einer einmaligen Mobilisierung und der Anklage der Ungerechtigkeit gegen uns stehen bleiben. Wir müssen die entstandene Kraft darauf lenken, dass die Gefangenenfrage gelöst wird. Und wegen der Arbeit in diesem Bereich werden wir angeklagt.

Wir wollen in keine defensive Verteidigungshaltung kommen, sondern vorwärts gehen. Es muss jetzt um das Ende der Zerstreuung der Gefangenen über ganz Spanien gehen, um die sofortige Freilassung der kranken Gefangenen und die Anwendung bestehender Gesetze, mit Haftverschonung, Freigang… damit definitiv eine Phase abgeschlossen wird und weiter an der Konfliktlösung gearbeitet werden kann.