Erdogan will Sicherheitszone in Syrien bis nach Deir ez-Zor

Bild: Türkisches Präsidentenamt

Bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung setzt der türkische Präsident auf Flüchtlingsnot, auf Gegner Baschar al-Assads und die Eliminierung der "terroristischen" YPG und SDF

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erdogan präsentierte sich im Showroom der UN-Vollversammlung als Vertreter nationaler Interessen der Türkei, was vor ihm US-Präsident Trump schon zelebrierte, und als Anwalt für die Muslime, mit einem Akzent auf Belange der Muslimbrüder.

In seiner Rede (im Wortlaut hier) sprach er Palästina an, mit einer deutlichen Kritik am "großen Friedensplan" aus der Feder des Schwiegersohns des US-Präsidenten, beklagenswerte Umstände des Todes des früheren ägyptischen Präsidenten Mursi, der der Muslimbruderschaft (MB) angehörte, den Mordfall Kashoggi, der als Anwalt der MB galt, Libyen, wo die Seite, die die Türkei unterstützt, ebenfalls in größeren Teilen mit der MB verbunden ist, und gegen Schluss seiner Rede generell die anti-islamische Rhetorik, die eine Bedrohung sei, wie der Terroranschlag in Neuseeland im März dieses Jahres der Welt vor Augen führte.

Diese Ausführungen werden ihm sicher Beifall in Lagern bescheren, die mit der Regierungspolitik Saudi-Arabiens und der USA nicht einverstanden sind, besonders, was den Nahost-Kernkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern anbelangt. Hierzu gab der türkische Präsident, wie früher der israelische Ministerpräsident Netanjahu bei seinen UN-Auftritten, wenn es um die Bedrohung des Iran ging, plakativen Anschauungsunterricht. Er präsentierte die Internetbenutzern eine wohlbekannte Karte, die zeigt, wie die palästinensischen Territorien im Laufe der Jahre immer kleiner werden.

Das Bild von Alan Kurdi

Erdogan hatte zuvor noch ein anderes ikonographisches Bild gezückt. Es zeigt den toten Körper des dreijährigen syrischen Jungen Alan Kurdi (bzw. Aylan Kurdi) an einem Strand in der Türkei, aufgenommen Anfang September 2015. Das Bild wurde zum Symbol der Not der Flüchtlinge, das sich weltweit verbreitete. Dass sich ein deutsches NGO-Seenotrettungsschiff danach benannte, ist eines von vielen Belegen dafür, welches Echo dieses Bild in der internationalen Öffentlichkeit ausgelöst hat.

"Die Fotographie von Kurdis Leiche verursachte eine dramatische Steigerung der internationalen Betroffenheit angesichts der Krise, die mit den Flüchtlingen verbunden war", schreibt Wikipedia: "Der französische Präsident François Hollande rief den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan and einige andere europäische Spitzenpolitiker an, nachdem Bilder von Kurdi in den Medien erschienen waren."

Der türkische Präsident nutzte das Bild des toten syrischen Jungen bei seinem UN-Auftritt gestern, um auf die dramatische Situation Syriens, der syrischen Flüchtlinge und die großzügige Hilfe der Türkei hinzuweisen. Die politische Absicht, die dahintersteht, enthüllte er erst, nachdem er sein Publikum mit einer ziemlich bombastischen Ouvertüre, die von der außerordentlichen Hilfe der Türkei erzählt, auf die kühne Forderung vorbereitet hatte.

12 Millionen Syrer seien durch den Krieg von ihrem zuhause vertrieben worden, sechs Millionen seien in andere Länder geflüchtet, so Erdogan, die Türkei sei am meisten von dieser Krise betroffen. Das Land habe insgesamt 5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, von denen 3,6 Millionen hauptsächlich aus Syrien kommen.

Sichere Räume in Syrien

Die Türkei habe viel in ihre humanitäre Politik investiert - "40 Milliarden US-Dollar in den vergangenen acht Jahren für Asylsuchende" - aber von den anderen Staaten, so etwa von der EU, trotz deren Versprechen bisher nur einen Bruchteil des Aufwandes bekommen. 50 Prozent der Geflüchteten, die die Türkei aufgenommen habe, seien minderjährig. Die müssten besonders versorgt werden. Allein in diesem Jahr seien weitere "32.000 irreguläre Migranten, die vor dem Ertrinken gerettet wurden", hinzugekommen.

Die Botschaft Erdogans dazu hat mehreren Ebenen: So kann es nicht weitergehen, die Türkei braucht mehr Unterstützung, so lautet der eine Teil. Erleichterung gebe es, wenn die Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren könnten. Hier folgt die nun die zweite politische Ebene. In Syrien gebe es nur begrenzte sichere Räume. Ausgeschlossen davon ist das Gebiet, das unter der Kontrolle seines einstigen Freundes Baschar al-Assad steht, erklärt Erdogan, sowie das Gebiet, das von Terroristen beherrscht wird. Wie stets setzt Erdogan hier die Kurden von der YPG, die auch wesentlicher Teil der SDF sind, mit deren Feinden, dem IS, gleich.

Die einzigen Zonen, die frei von Willkürherrschaft und Terror sind, so Erdogan, seien die Gebiete in Syrien, die von der Türkei kontrolliert werden, so die Ebene seiner Argumentation, die zum Ziel seiner Forderung vor der Weltöffentlichkeit führt: Der türkische Präsident plädierte vor der UN-Vollversammlung für die Einrichtung einer großen "Sicherheitszone" in Syrien (auch dazu präsentierte er ein Schaubild).

"3 Millionen Rückkehrer"

Bekannt ist seine Forderung nach einer 30 Kilometer breiten Sicherheitszone, die sich nach Erdogans Vorstellungen über 480 Kilometer entlang der Grenze zur Türkei erstrecken müsste, damit dort 1 bis 2 Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei neu angesiedelt werden könnten.

Bei seiner Rede erweiterte der türkische Präsident allerdings den Rahmen seiner Vision beträchtlich. Er sprach davon, dass eine Ausdehnung der Sicherheitszone bis nach Deir ez-Zor Raum für die Rückkehr von 3 Millionen syrischer Flüchtlinge geben würde.

Selbst vor dem UN-Publikum machte Erdogan dabei kein Hehl aus seinen Absichten gegenüber den Kurden. Die PKK, die YPG und die SDF müssten eliminiert werden, sagte er.

Kein Wort verlor er darüber, wie die Realität in Afrin für die dort lebenden Kurden aussieht (Afrin ein Jahr unter türkischer Besatzung, Urlaub in Kurdistan, Afrin - das türkische Protektorat). Ebenso schwieg sich Erdogan aus über die großzügige Rolle der Türkei als Verbindungsweg und - hinterland für den Nachschub der IS-Terroristen und des anderen großen al-Qaida-Abkömmlings, der früher al-Nusra-Front und seit einiger Zeit Hayat Tahrir al-Scham heißt.