Französische Justiz-Farce gegen drei Nürnberger geht weiter

Bei einer mit öffentlichem Druck erzwungenen schnellen Berufungsverhandlung will das Gericht erst entscheiden, wenn die Haftstrafen praktisch verbüßt sind

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Die Absurditäten in der französischen Justiz gehen weiter. Die Entscheidung darüber, ob die drei jungen "Verschwundenen" aus Nürnberg im Alter zwischen 18 und 22 Jahren freigelassen werden, wurde am Freitag am Berufungsgericht im südwestfranzösischen Pau auf den 17. Oktober vertagt.

Zu diesem Zeitpunkt werden zwei der drei jungen Männer aus Nürnberg ihre Haftstrafe praktisch abgesessen haben. Sie wurden am 21. August im Vorfeld des G7-Gipfels im französisch-baskischen Biarritz festgenommen und im Eilverfahren unter Aushebelung von Verteidigungsrechten zu zwei und drei Monaten verurteilt. Für ihre Freilassung wurde in Nürnberg und im Baskenland schon mehrfach demonstriert.

Langsam lüftet sich nun der französische Justiznebel, der seit dem Verschwinden über die drei jungen Leute ausgebreitet wurde. Dazu gehört, dass erst am Abend vor der Verhandlung auch die Angehörigen endlich über die inzwischen benannten Wahlverteidiger Einsicht in die Akten erhalten haben. Der Pflichtverteidiger im Eilverfahren hatte die zunächst benannten Wahlverteidiger aus dem Saal verwiesen. Dass man als Angehörige oder als Pressevertreter bis zum Abend vor der Berufungsverhandlung nicht einmal weiß, wo die Verhandlung stattfinden wird, gehört zu den vielen französischen Absonderlichkeiten in dem Verfahren.

"Auf dem Weg zum Camping-Urlaub"

Auch der Bayrische Rundfunk (BR) hat nun festgestellt, dass die Fakten die Angaben der drei jungen Leute stützen. Sie hatten stets erklärt, auf dem Weg in den spanisch-baskischen Ort Lekeitio gewesen zu sein, um sich dort mit Freunden zum Campingurlaub zu treffen. Das hat auch der Verteidiger des 18-jährigen Mannes im Gericht vorgetragen. Arié Alimi belegt das mit Buchungen des Campingplatzes, Rechnungen von Tank- und Mautstellen, aber auch mit den Chatverläufen der Handys, die auch BR-Reporter einsehen konnten.

"Daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass entweder die gesamte Gruppe oder die drei später Verurteilten planten, in Biarritz anzuhalten oder sich dort an Protesten beziehungsweise Straftaten zu beteiligen", berichtet der Sender.

Nach französischer Lesart sollen sie, so das absurde Urteil im Eilverfahren, "eine Gruppe spontan gebildet" haben, um "Gewaltakte" in Biarritz zu begehen. Das Problem nach den Vorgängen beim Gegengipfel und G7 ist aber, dass es - außer einem von der Polizei provozierten Scharmützel - keinerlei Gewalt gab. Die Gegner des G7 von der Plattform "G7EZ" hatten das auch im Vorfeld immer wieder - auch gegenüber Telepolis - erklärt.

Und so blieb, wie geplant, auch eine Großdemonstration mit 15.000 Teilnehmern absolut friedlich. Schon angesichts dieser Tatsache hätte das Berufungsgericht wenigstens die Haft aussetzen müssen. Denn, so berichtet auch der BR, es ergibt sich "aus den Reisedaten, dass die drei Nürnberger auf direktem Weg den Campingplatz in Nordspanien ansteuerten" und nicht zum G7 und zum Gegengipfel wollten.

Simulierte Gefahr durch massives Polizeiaufgebot

Doch auch beim Prozess wurde über massive Kontrollen weiterhin eine angebliche Gefahrensituation simuliert. Prozessbeobachter blickten auf martialische Polizeiabsperrungen und massive Polizeipräsenz rund um das Gericht. Die Angeklagten wurden wie Schwerverbrecher mit Handschellen von guten Dutzend Beamten in den Gerichtssaal gebracht.

Das habe den Eindruck vermittelt, dass die drei jungen Menschen "zu Terroristen" stilisiert werden sollen, meint Christiane Brand aus dem Presseteam des Nürnberger Solikreises. Vor dem Gericht hatten mehrere Dutzend Menschen gegen die Inhaftierung der Nürnberger protestiert und sich mit ihnen solidarisiert.

Der Solikreis und die Verteidigung gehen davon aus, dass nur der starke öffentliche Druck überhaupt erreicht hat, dass es zu einem Berufungsverfahren kam, bevor die Strafen schon abgesessen sind. Nach Aussagen der Verteidiger ist im Normalfall erst nach drei Monaten damit zu rechnen. Ein solch schnelles Berufungsverfahren hätten die Anwälte in ihrer bisherigen Laufbahn noch nicht erlebt.

Sogar das umstrittene neue Gesetz zur Präventivhaft, unter Macron gegen die Gelbwesten-Proteste in Stellung gebracht, sei im Fall der drei Nürnberger noch gebeugt worden, meint Brand vom Solikreis: "Das Gesetz ist darauf ausgelegt, Menschen auf dem Weg zu einer Aktion oder ähnliches zu kriminalisieren, in diesem Fall geschah das jedoch bereits Tage vor dem G7 Gipfel in Biarritz und erfordert somit noch einmal mehr politischen Willen zur Konstruktion einer Straftat als ohnehin schon."

Die Anwälte stellten in ihrem Plädoyer ebenfalls fest, dass den drei Nürnbergern "ihre politischen Ideen vorgeworfen werden". Der Anwalt Alimi sieht sogar eine "Kontinuität" zwischen dem Gesetz und dem Vichy-Regime, das einst mit den Nazi-Besatzern kollaborierte. Für die Verteidiger ist das Verfahren ein Skandal. Sie verurteilten die "Repression" gegen ihre Mandanten, die auch mit dem Berufungsverfahren nicht beendet worden sei.

Zu den Absurditäten in dem neuen Gesetz gehört auch, dass die Eltern danach nicht einmal mit ihren Kindern telefonieren oder sie treffen durften, weil Berufung eingelegt wurde. Als kleine Geste ließ es das Gericht wenigstens zu, dass sie ihre Kinder kurz nach Abschluss der Verhandlung umarmen durften.

Schockiert zeigten sich Beobachter und Angehörige darüber, dass innerhalb einer achtstündigen Verhandlung nicht einmal geklärt werden konnte, ob die Berufung zulässig war, geschweige denn, dass über die Annullierung des Eilverfahrens und auch nicht über den Antrag der Verteidigung auf Haftprüfung entschieden wurde.

All das soll erst am 17. Oktober passieren. Derweil bleiben drei jungen Leute inhaftiert. Dass Beobachter genervt über diesen Ausgang im Gerichtsgebäude Sprechchöre angestimmt haben, nahmen die Sicherheitskräfte zum Anlass, das Gebäude gewaltsam unter Einsatz von Gewalt und Pfefferspray zu räumen. Die Angehörigen der Angeklagten sprachen von einem "Alptraum" und davon, dass dies als Rechtfertigung instrumentalisiert würde, um das martialische Polizeiaufgebot zu legitimieren.