Polen: Rechts- und Linksruck

Bild: Mateusz Opasiński/CC BY-SA-4.0

Wie zu erwarten hat in Polen die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) erneut die Wahlen gewonnen und wird so weiterhin "Recht und Gerechtigkeit" nach eigener Interpretation definieren

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Als offizielles Ergebnis erhielten die Nationalkonservativen 43,6 Prozent, das größte Oppositionsbündnis, die konservativ-liberale "Bürger-Koalition" (KO), bekam 27,4 Prozent, das Bündnis "die Linke" erhielt 12,6 Prozent, die "Koalition Polen" mit der Bauernpartei PSL 8,6 Prozent sowie die rechtsradikale "Konföderation" 6,4 Prozent. Im Senat musste die PiS ihre bisherige Mehrheit über die Opposition abgeben.

Als Grund für den Erfolg der Nationalkonservativen unter Parteichef Jaroslaw Kaczynskii und Premierminister Mateusz Morawiecki (2015 erreichten sie 37 Prozent) gilt das Hoch der Wirtschaft - das Bruttoinlandsprodukt soll dieses Jahr um 4,3 Prozent liegen - und die erbrachten Sozialleistungen sowie die Sozialversprechungen für die kommenden vier Jahre.

Zudem kreierte das Regierungslager ein erfolgreiches Wir-Gefühl und vermittelte, dass der politische Gegner ein "Feind" sei, das größte Oppositionsbündnis "Bürger-Koalition" (KO) wurde als arrogante Elite geschmäht mittels eines untergeordneten Staatsfunks.

Dass die konservativ-liberale Vorgänger-Regierung innerhalb von acht Jahren durch eine kluge Wirtschafts- und Finanzpolitik Anteil an dem polnischen Wirtschaftswunder hat, dass Polen der größte Netto-Empfänger der EU ist, vermochte die PiS erfolgreich zu überspielen.

Die Bürger-Koalition" (KO), in der die ehemalige Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) dominiert, schien konzeptlos. Malgorzata Kidawa-Blonska, die Kandidatin für das Amt des Regierungschefs, wurde vom Chef des Bündnisses, Grzegorz Schetyna, erst ein Monat vor der Wahl präsentiert, ihr fehlte jedoch die Energie, das Elektorat wirklich zu mobilisieren (Polnische Opposition ausssichtslos gegen PiS).

Linke im Aufwind

Nach vier Jahren Abwesenheit ist die Linke wieder stark repräsentiert. Das Bündnis "Lewica" (Linke) besteht aus drei Parteien und wird von jungen, wahlentschlossenen Polen getragen, die die PiS und ihren Systemwandel in Justiz und anderen öffentlichen Institutionen bekämpfen wollen.

Der Vorteil der Linke - sie war lange nicht in der Regierungsverantwortung, die SLD (Allianz der Demokratischen Linken), die Nachfolgerin der einstigen kommunistischen Staatspartei, regierte von 2001 bis 2005 und wurde damals von der PiS abgelöst - geschadet hat ihr die Rywin-Affäre, eine bislang nicht gänzlich aufgeklärte Bestechungsgeschichte über Einfluss auf das Fernsehen, in der der heutige Parteichef Wlodzimierz Czarasty als damaliger Rundfunkrat eine Rolle spielte.

Die SLD vertritt so im Bündnis die alte Linke, die übrigens auch die NATO-Mitgliedschaft befürwortete und vorbereitete, während "Zusammen" (Razem) und "Frühling" (Wiosna) jüngere Vertreter hat, denen nicht vorgeworfen werden kann, als ehemalige Kader vor 1989 oder als "postkommunistische Wendegewinner" gewirkt zu haben. "Zusammen", gegründet 2015 nach Vorbild der spanischen Podemos-Bewegung, gilt als Partei der urbanen akademischen Geringverdiener; "Frühling" ist stark auf den charismatischen Parteichef und Aktivisten für sexuelle Minderheiten Robert Biedron zugeschnitten - die Partei will nach Vorbild westlicher Gesellschaften den Einfluss der Kirche zurückdrängen und setzt auch auf das Thema Klima und Ökologie.

Lange schoss sich Kaczynski vor allem auf die KO ein, doch am Schluss des Wahlkampfes sah er auch die Bedrohung durch die Linken, die theoretisch ein Bündnis mit der "Staatsbürgerlichen Koalition" bilden kann und seiner Meinung nach "eine Gefahr für die Freiheit" darstellten. Interessanterweise sprach er ihnen ab, "Linke" zu sein, er sprach von "Lewactwo", was frei übersetzt "Rote Socken" oder "Radikalinskis" bedeutet.

Die Nähe der PiS zur linken Politik

Warum schützt nun Jaroslaw Kaczynski, eine der Leuchtgestalten der Rechten Mittelosteuropas, ausgerechnet das Wort "Linke"? Dazu gibt es wohl mehrere Antworten, eine erteilte Kaczynski zugleich in seiner Rede, in der er Bezug auf die "Polnische Sozialistische Partei - Revolutionsfraktion" nahm, der Staatsgründer Jozef Pilsudski angehörte, das große Vorbild des PiS-Chefs.

Die alte Frage, wie rechts und links zu definieren sei, soll hier nicht erörtert werden. Aber den vielen Medienberichten in Deutschland, die den Rechtsruck in Polen beschwören, kann man durchaus entgegen halten, dass auch ein Linksruck stattgefunden hat. Denn die PiS hat einiges aus den Zeiten der Volksrepublik Polen übernommen - und nicht nur sie.

Zwar ist die PiS durchaus eine Organisation, die sich für das Bewahren des Alten wie das Familienbild, die Stärkung der Kirche und des Nationalen einsetzt, was generell mit "rechts" oder "konservativ" verbunden wird. Aber auf der anderen Seite hat die Partei einen egalitären Anspruch: Niemand soll die "gewöhnlichen Polen" in ihrer Würde mit zu viel demonstrativen Ehrgeiz kränken, das Wort "Elite", eigentlich eine höhere gesellschaftliche Schicht, ein klassischer Topos der Rechten, ist eine schlimme Beschimpfung.

Jaroslaw Kaczynski, der in seiner kleinen Wohnung im Norden von Warschau wohnt, gilt als klassischer Repräsentant eines bescheidenen Polens, auch wenn er inoffiziell das Sagen in einer Immobilienfirma hat und ein dubioses Wolkenkratzer-Projekt starten wollte.

Das polnische Kollektiv aus Sicht des Regierungslagers verträgt keine Unternehmertypen, erreicht wird der wirtschaftliche Erfolg in gemeinsamer Arbeit. So soll bald ein Elektroauto in Polen in Rekordzeit produziert werden. Die vollmundigen Ankündigungen zu dem sicherlich anspruchsvollen Projekt erinnern ein wenig an den Jargon der zukunftsoptimistischen Wirtschaftsprophezeiungen im Sozialismus.

Die vielen Sozialversprechen führten dazu, dass jede Partei ähnliche Offerten in ihrem Parteiprogramm aufnahm, vor allem da ihnen mittels der regierungsnahen Medien unterstellt wurde, sie würden Etabliertes, wie etwa das Kindergeld, wieder streichen wollen. Auch der Wahlspruch der "KO"-Kandidatin Kidawa-Blonska "Zusammenarbeit und nicht Streiterei", der Appell an die kollektive Kooperation also, hat seinen klassisch sozialistischen Sound. . Selbst die Partei "Modernes Polen", Teil des KO-Bündnisses und 2015 von einem ungeduldigen Banker und Erz-Liberalen namens Ryszard Petru gegründet, ein Zögling des ehemaligen "Eisernen Finanzministers" Leszek Balcerowicz, unterlag jüngst einem Wandel. Die Chefin für die Wojewodschaft Schlesien, Monika Rosa, meinte zu mir, dass sie linker sei als so manche andere linken Parteien. Auch ihre Wahlhelfer sahen sich zum Teil als "Linke".

Somit gibt es derzeit, egal, wie man dies bewerten mag, keine wirklich wirtschaftsliberale Partei in der polnischen Republik. Und die Idee, dass der Staat nun vieles dem Einzelnen abnimmt, hat in Polen mit seiner individualistischen und anarchistischen Tradition eine Konjunktur wie seit langem nicht.

Die Frage wird sein, ob die PiS Wahlversprechen, wie zwei extra Monatsrenten, das Verdoppeln des Mindesteinkommens, ein wirklicher sozialer Wohnungsbau und die Sanierung des maroden Gesundheitswesens angesichts einer drohenden Wirtschaftsflaute wirklich umsetzen kann.

Mit einem "modernen" linken Programm, das sich für sexuelle Minderheiten, die Aufnahme für Migranten aus Nahost, veganes Essen und Kirchenkritik stark macht, hat die PiS natürlich nichts am Hut; die Chancen für ein solches Programm sind in der polnischen Gesellschaft auch stark limitiert. Dies zeigt sich schon daran, dass die PiS aktuell mit der Gesetzesidee einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren bei "Sexualerziehung von Kindern und bei Wissenstransfer über Verhütungsmittel" vorprescht.

Das ist eine Geste dem Klerus gegenüber, gleichzeitig soll so auch den Rechtsradikalen mit ihren markigen Forderungen der Wind aus den Segeln genommen werden. Doch vor allem ist dies eine Kampfansage an die selbstbewusste Linke, die sich anschickt, eine lautstarke Opposition in Polen zu werden.

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