Nordsyrien: IS in neuen Uniformen

Bild: ANF

IS-Dschihadisten in Reihen der Milizen-Allianz Syrische Nationale Armee, die mit der Türkei verbunden ist, und bei ihren Angriffen Feuerschutz von Panzern aus deutscher Herstellung bekommt

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Unter der Regie der Türkei erwacht der Islamische Staat (IS) zu neuem Leben. Ehemalige IS-Mitglieder tauschten ihre "Uniformen" gegen Uniformen der von der Türkei ausgebildeten, finanzierten und mit ihr assoziierten Milizenallianz Syrische Nationale Armee (SNA) ein. Ihre Methoden des Terrors änderten sie nicht. Mit ihrer Unterstützung treibt die Türkei die ethnischen Säuberungen in Nordsyrien voran. Täglich berichten die Medien weltweit über die Kriegsverbrechen der Türkei. Doch unsere Politiker ignorieren, schweigen, wiegeln ab, lügen und machen sich zum Gehilfen von Erdogan?

Die von der Türkei finanzierte und ausgerüstete sogenannte SNA untersteht offiziell der "Syrischen Nationalen Koalition" (ETILAF), die auch mit einem Büro in Berlin von der Bundesrepublik finanziert wird und eng mit der türkischen Regierung zusammenarbeitet. ETILAF ist ein von Muslimbrüdern dominiertes Bündnis der sogenannten "Istanbuler Opposition" gegen Assad.

In diesem Bündnis tummeln sich Vertreter verschiedenster dschihadistischer Gruppen, wie z.B. Liwa al-Tawhid oder Jaish al-Islam, die schon in Afrin Kriegsverbrechen begangen haben und nun in Nordostsyrien im Namen der Türkei erneut Kriegsverbrechen begehen. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, bezeichnete daher die ETILAF treffend als "eine politische Vertretung dschihadistischer Kopfabschneiderbanden von Gnaden Erdogans".

"Strahlende, wiederauferstandene Mudschahedin"

Erdogan nannte die SNA kürzlich die "strahlende, wiederauferstandene Mudschahedin". Das sollte unseren Erdogan-treuen Politikern zu denken geben. Die kurdische Nachrichtenagentur ANHA hat anhand von Fotos, Videos und Aussagen inhaftierter Dschihadisten in Nordsyrien bisher mindestens 76 IS-Dschihadisten identifiziert, die nur ihre Uniform gewechselt haben und nun gemeinsam mit der türkischen Armee und mit Leopard-Panzern - geliefert aus Deutschland - die Zivilbevölkerung in Nordostsyrien angreifen sollen, so die Vorwürfe, die auch die Bundesregierung zu beantworten hat.

Ein Video der Jaish-al-Islam zeigt, wie die Panzer aus deutscher Herstellung den Islamisten Feuerschutz bei einem Angriff geben.

Die kurdische Nachrichtenagentur ANF hat eine erste Liste mit 39 IS-Terroristen, die im Auftrag der Türkei morden, veröffentlicht. Hier sind nur die ersten drei Personen aufgeführt - ein Blick in die Liste zeigt, dass die meisten IS-Terroristen aus Homs, Deir ez-Zor oder Rakka kommen und heute auf der türkischen Gehaltsliste stehen und in Nordsyrien an den Menschenrechtsverbrechen beteiligt sind:

1. Basil Mohammed al-Ali: Codename Talha, 23 Jahre alt, geboren in Homs, 2013 dem IS beigetreten, seit 2017 bei der protürkischen Miliz Furqat al-Hamza. Jetzt in Siluk in Nordsyrien.


2. Basil Hassan al-Asura: Codename Abu Osama al-Shami, 1993 in Damaskus geboren, schloss sich 2012 al-Nusra an, 2014 ging er nach Suweyda und schloss sich dem IS an. Er gründete 2016 das Emin-Kharici-Bataillon des IS und wurde dessen Kommandant. 2017 ging er in die Türkei. Er nahm bei Furqat al-Hamza am Angriff auf Efrîn teil. Jetzt befindet er sich zusammen mit der türkischen Armee in Girê Spî.


3. Bashar Simid: Codename Abu Islam al-Qalamuni, 1994 in al-Nabiq bei Damaskus geboren. Er schloss sich 2014 dem IS an. Er kämpfte in Damaskus, Tadmur und Tanf. 2017 ging er zusammen mit Abd Ayman al-Iraqi in die Türkei. Er wurde Bataillonskommandant von Ahrar al-Sharqiya und nahm als solcher am Angriff auf Efrîn teil. Nun befindet er sich in Serêkaniyê.

Kurdische Nachrichtenagentur ANF

Alle genannten Personen wurden über Fotos identifiziert. Täglich gibt es neue Berichte über bekannte IS-Mitglieder in den türkischen Reihen. Diese Liste zeigt: Der IS ist nicht besiegt, sondern agiert nun im Namen der Türkei unter dem Namen SNA. Dass die Türkei den IS gewähren lässt und nicht bekämpft, ist schon seit vielen Jahren ein Thema.

Die kurdische Selbstverwaltung veröffentlichte am 11.11.2019 ein umfangreiches Dossier, das die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und dem IS mit Fotos und Aussagen von IS - Mitgliedern dokumentiert. All diese Menschen begehen tagtäglich Verbrechen an der Zivilbevölkerung Nordsyriens. Regeln und Gesetze scheinen weder für das türkische Militär noch die Terrorbanden der SNA zu gelten.

Permanente Verstöße gegen die Genfer Konventionen

Wie kann es sein, dass die sogenannte Syrische Nationale Armee (SNA) ungestraft täglich Menschenrechtsverletzungen im Verbund mit dem NATO-Mitglied Türkei begeht und niemand fordert die Einhaltung der Genfer Konventionen, die Achtung der Menschenrechte im Konfliktgebiet, obwohl diese für alle NATO-Staaten verpflichtend sind?

Im Folgenden ein Auszug der Genfer Konventionen, gegen die die Türkei und die mit ihr verbündete sogenannte Nationale Syrische Armee tagtäglich verstoßen:

Artikel 3 der Genfer Konventionen besagt:


1. Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die infolge Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeiner anderen Ursache außer Kampf gesetzt wurden, sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden, ohne jede Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der Farbe, der Religion oder des Glaubens, des Geschlechts, der Geburt oder des Vermögens oder aus irgendeinem ähnlichen Grunde. Zu diesem Zwecke sind und bleiben in Bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten:


a. Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;
b. Gefangennahme von Geiseln;
c. Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;
d. Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmäßig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.


2. Die Verwundeten und Kranken sollen geborgen und gepflegt werden.


Des Weiteren sind "Angriffe auf sanitätsdienstliche Einrichtungen wie Lazarette und Krankenhäuser, die unter dem Schutz eines der Schutzzeichen der Konvention stehen, streng verboten (Artikel 19 bis 23). Zivile Krankenhäuser dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden (Artikel 18).


Kriegsgefangene sind unter allen Umständen menschlich zu behandeln (Artikel 13). Streng verboten sind insbesondere ihre Tötung, jede Gefährdung ihrer Gesundheit, Gewaltanwendung, Folter, Verstümmelung, medizinische Experimente, Bedrohung, Beleidigungen, Erniedrigungen und das öffentliche Zurschaustellen, ebenso Repressalien und Vergeltungsmaßnahmen. Das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Ehre von Kriegsgefangenen sind unter allen Umständen zu schützen (Artikel 14).


Die nach dem Genfer Abkommen IV geschützten Personen haben unter allen Umständen Anspruch auf Respekt ihrer Person, Ehre, familiären Bindungen, ihrer religiösen Überzeugungen und Gebräuche und ihrer sonstigen Gewohnheiten (Artikel 27). Sie sind ohne jeden Unterschied unter allen Umständen menschlich zu behandeln und vor Gewalt, Bedrohung, Beleidigung, Erniedrigung und öffentlicher Neugier zu schützen. Frauen ist besonderer Schutz vor Vergewaltigung, erzwungener Prostitution und sonstigen unzüchtigen Angriffen gegen ihre Person zu gewähren… (Artikel 28). Folter und Erpressung von geschützten Personen zum Zweck der Erlangung von Informationen ist unzulässig (Artikel 31). Plünderungen, Vergeltungsmaßnahmen und Geiselnahme sind verboten (Artikel 33 und 34).


In Artikel 48 wird dazu als Grundsatz festgelegt, dass jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten zu unterscheiden ist und dass sich Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten dürfen.
Angriffe gegen Anlagen oder Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten (Staudämme, Deiche und Kernkraftwerke) sind verboten, sofern ein solcher Angriff schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung verursachen kann (Artikel 56).

Genfer Konventionen

Es gäbe viele Beispiele, die beweisen, dass sich die Türkei weder im In- noch im Ausland an Gesetze und Regeln hält. Ganz zu schweigen von den Terroristenmilizen der sogenannten Syrische Nationalen Armee.

Ein grausames Beispiel aus Afrin soll stellvertretend für die vielen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hier erwähnt werden: BBC berichtet auf seinem arabischen Service, dass ein junger Mann aus einem Dorf der Region Afrin, der vor einigen Monaten von den Proxytruppen der Türkei entführt wurde, von diesen auf einen "Khazouk" gesetzt, also gepfählt wurde. Er wurde noch lebend gefunden, hat aber durch diese grausame Folter so nachhaltige Schäden an seinem Anus erlitten, dass er nicht mehr sitzen kann.

Die marodierenden Islamisten, die in Afrin ihr Unwesen treiben, sind auch im neuen Annexionsgebiet der Türkei unterwegs. Und sie sind längst über die russisch-türkisch vereinbarte 5-Kilometer-Zone und auch über Erdogans geforderte 30-Kilometer-Zone hinaus in Nordsyrien aktiv und stellen besonders für die christliche und ezidische Bevölkerung eine akute Gefahr dar.

Die Journalistin Andrea Backhaus ist gerade für die Zeitung Die Zeit vor Ort in den christlichen Gebieten:

In Tell Tamer kann man sehen, was gemeint ist, wenn die Menschen sagen: Die Welt hat uns im Stich gelassen. Denn hier kämpfen sie um ihr Leben - und niemand hilft ihnen. (…) Die türkische Armee und ihre Milizen kämpfen nicht nur entlang der syrisch-türkischen Grenze, sondern rücken auch ins Land vor, vertreiben Menschen aus ihren Dörfern und bombardieren Zivilisten, Hilfskonvois und Ärzteteams.Die Zeit

Noch seien die Türken wenige Kilometer von Tell Tamer entfernt, berichtet Shamaon Kako, der Leiter des örtlichen Büros der Assyrischen Demokratischen Partei, aber es seien nun schon neun christliche Dörfer in der Khabur-Region verlassen. Im Artikel von Backhaus heißt es: "Der Diakon der örtlichen Kirche wirft den türkischen Milizen vor, den Christen das Land wegzunehmen und fragt: 'Recep Tayyip Erdoğan nennt seinen Einmarsch Operation Friedensquelle…wo bitte ist jetzt der Frieden?'"

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Nun machen Medien der Türkei zum Vorwurf, dass sie verbündeten Islamisten in Nordsyrien deutsche Panzer zur Verfügung gestellt habe. Wie die Zeitung Merkur berichtet, gebe es Belege, "dass die Türkei die schweren Waffen aus deutscher Produktion an ihre Verbündeten der Syrischen Nationalen Armee (SNA) weitergegeben habe..." Dabei handele es sich um Mannschaftstransporter wie auch um Panzer.

Damit würde die Türkei gegen einen Vertrag mit Deutschland, der sogenannten "allgemeinen Endverbleibsklausel" verstoßen. Nach dieser Klausel darf die türkische Seite das Material Dritten nicht ohne vorherige Zustimmung der Bundesregierung zur Nutzung überlassen.

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand liegt eine solche Zustimmung nicht vor. Eine Erklärung der türkischen Regierung zu diesen Vorwürfen, die mit Videos u.a. bei Merkur belegt sind, steht noch aus.

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