20 Jahre Indymedia - oder wer hat das Internet so ruiniert?

WTO-Protest in Seattle 1999. Polizei setzt Pfefferspray ein. Bild: Steve Kaiser/CC-BY-SA-2.0

Vor 20 Jahren gab es eine globale globalisierungskritische Bewegung, heute gibt es eine starke rechte Bewegung, die das Internet längst für sich entdeckt hat

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Heute vergeht kaum eine Mediensendung, in der nicht über Hass und Hetze im Netz gewarnt wird. Meistens fehlt auch nicht die defätistische Vorstellung, dass das Internet mit verantwortlich ist für den Aufstieg der Rechten in aller Welt. Da lohnt es sich noch einmal einen Text zu lesen, der vor 20 Jahren viele Linke in aller Welt mobilisierte. Am 24. November 1999 ist anlässlich der Tagung gegen die Welthandelsorganisation WTO in Seattle Indymedia mit dieser Erklärung an den Start gegangen:

Das Web verändert die Balance zwischen multinationalen und aktivistischen Medien dramatisch. Mit ein bisschen Code und etwas billigem Equipment können wir eine automatisierte Live-Website aufsetzen, die den Unternehmen Konkurrenz macht. Bereitet Euch darauf vor, überschwemmt zu werden von der Welle aktivistischer Medienmachender*innen vor Ort in Seattle und überall auf der Welt, die die wirkliche Geschichte hinter der Welthandelsvereinbarung erzählen.

Aus der ersten Indymedia-Erklärung am 24.November 1999

War ein anderes Internet möglich?

Diese optimistische Sprache zeigte, hier waren Autorinnen und Autoren am Werk, die überzeugt waren, mit dem neuen Medium einen Beitrag zur emanzipatorischen Veränderung der Welt leisten zu können. Nur wenige erinnern an dieses 20te Jubiläum, das schließlich auch zusammen fällt mit einem Zyklus von transnationalen Protesten, die als Gipfelsturm bekannt wurden. Anne Roth, die damals in Deutschland Teil des Indymedia-Netzwerks war und heute Referentin für Netzpolitik in der Linksfraktion ist, erinnerte an die Zeit vor 20 Jahren, als ein anderes Internet möglich schien.

Was bleibt vom Aufbruch der Linken im Internet? Das war auch die Frage eines Bündnisses von außerparlamentarischen Linken kürzlich in Berlin. Eingeladen waren Frauen und Männer, die in den letzten 20 Jahren Teil dieses linken Medienaktivismus an unterschiedlichen Stellen waren. Ein Diskussionsteilnehmer wurde vom Moderator mit den Worten begrüßt, das sei der Mann, der den Linken das Internet gebracht hatte. Gezeigt wurde ein großer Wagen, ausgerüstet mit den technischen Gerätschaften, die notwendig waren, um Protestcamps ans Netz zu bringen. Das war natürlich ein Essential bei Indymedia. Es galt ja, Berichte von Protesten und Aktionen, aber auch Polizeirepression aus aller Welt möglichst schnell online zu stellen. Dazu war ein funktionierendes Internet notwendig.

Auf der Veranstaltung ging es auch um die Frage, ob das Internet zum schnellen Wachsen der globalisierungskritischen Bewegungen zwischen 1999 und 2001 wesentlich beigetragen hat. Eine eindeutige Antwort gab es dazu nicht. Das Problem ist, dass das Internet selber den Mythos produziert, dass es die entscheidende Ressource der Bewegung war. Und tatsächlich wird man politische Aktionen, bei denen das Internet keine oder keine entscheidende Rolle spielte, nicht im Internet finden.

Jüngere Menschen kennen oft auch damalige Aktionen nicht. Ein Beispiel ist der Marsch von ca. 500 indischen Bäuerinnen und Bauern, die im Frühsommer 1999 durch Europa zogen, um gegen die Welthandelspolitik zu protestieren. Ein Ziel ihrer Karawane war der EU-Gipfel in Köln im Juni 1999. Nur wenige Monate vor Seattle und dem Start von Indymedia ist heute über diese Karawane wenig zu lesen und zu erfahren. Selbst in einer gut aufgearbeiteten Geschichte der radikalen Linken in Deutschland nach 1989, die Ulrich Peters unter dem Titel "Unbeugsam & widerständig" im Unrast-Verlag herausgegeben hat, ist die Karawane der indischen Bauern nicht erwähnt. Dabei beschäftigten die Vorbereitungen über Monate zahlreiche Menschen, es entstanden Initiativen und es wurden Debatten geführt, die heute unter dem Stichwort imperiale Lebensweise stehen würden. So war die Thematik sehr aktuell, aber weil die Karawane vor dem Aufbruch im Internet stattfand, ist sie heute fast vergessen. So wie viele der zahlreichen Aktionen des transnationalen globalisierungskritischen Netzwerkes Peoples Globale Action.

Der Mythos von den Internet-Protesten

Viele der Aktionen spielten sich eben nicht über das Internet ab. Heute wird vergessen, dass das PGA eine wesentliche Rolle bei der Organisation der Proteste gegen das WTO-Treffen in Seattle spielte. Eine globale PGA-Konferenz im Sommer 1999 im indischen Bangalore widmete sich der Verbreitung der Proteste in Seattle. Daneben gab es in den späten 1990er Jahren auch zahlreiche europäische PGA-Konferenzen. Dort spielten persönliche Gespräche eine große Rolle und nicht das Internet.

Erst bei den als Battle in Seattle in die Geschichte eingegangen Protesten gegen die WTO-Konferenz vor nun mehr 20 Jahren spielte dann das Internet eine entscheidende Rolle (Proteste in Seattle, London und im Internet). Die Bilder der Aktionen gingen fast in Echtzeit um die Welt und auch diejenigen, die nicht vor Ort waren, konnten dann eigene Solidaritätsaktionen organisieren. Hier wird aber auch deutlich, wie der Mythos von den Internetprotesten entstand. Indem die gesamte Mobilisierung zu und nach Seattle vergessen wird, weil sie eben nicht im Internet erfolgte, bleiben nur die Bilder und Szenen, die über das Internet verbreitet wurden.

Wer weiß heute noch von der breiten und durchaus inhaltlich kritischen Kampagne gegen das Multilaterale Abkommen für Investitionen? Das war Überzeugungsarbeit Face to Face. Aber genau diese Mystifizierung des Internets führt dann immer wieder zu den Fragen, wieso denn vor 20 Jahren Indymedia einen linken Aufbruch versprach und jetzt so viele rechte Inhalte im Netz zu finden sind.

Vor 20 Jahren gab es eine globale globalisierungskritische Bewegung, die auch das Internet zunehmend nutzte. Heute gibt es in vielen Ländern eine starke rechte Bewegung, die das Internet auch schon längst für sich entdeckt hat. Aber auch hier wird gerne vergessen, dass die Rechte auch noch immer Face-to-Face kommuniziert. Die fast immer ausverkauften Veranstaltungen mit Thilo Sarrazin in den Jahren 2011 und 2012 haben mehr zur Organisierung der Rechten beigetragen als das Internet. Auch die Linke sollte erkennen, dass das Internet in vielen Fällen ein gutes Hilfsmittel ist, um Inhalte global zu verbreiten oder um über Kontinente hinweg zu kommunizieren. Dazu wurden viele Beispiele genannt. Aber für die Krise ist es nicht verantwortlich, weil die in der realen Welt stattfindet.

Internet kein Ort für Demonstrationen

Wie wenig das Internet zur Politisierung taugt, wurde auf der Veranstaltung auch an Hand einer fast vergessenen Internetdemonstration vor 18 Jahren deutlich (Legitimer Protest oder Cyberterror?). Am 20. Juni 2001 sollte so gegen die Abschiebepolitik der Lufthansa protestiert) werden (Flügel stutzen beim Online-Kranich?). Die Organisatoren argumentierten, dass nicht nur Straßen und Plätze, sondern auch das Internet ein Protestort sein müsse, wenn immer mehr Konzerne ihre Geldgeschäfte dort abwickeln. Nach mehreren Jahren schloss sich auch die Justiz dieser Ansicht an und sprach einige als Organisatoren der Internetdemonstration Angeklagte frei.

Nun könnte man denken, dass hier der Weg zu den Onlinedemonstrationen offen war. Doch es blieb bei der Aktion am 20. Juni 2001. Es gab schlicht keine Interessenten, die das- Recht im Netz zu demonstrieren nutzen wollten. Das sollte denen zu denken geben, die dem Internet so viel Mobilisierungskraft zumessen.

Etwas zu kurz kam bei der Veranstaltung der Aspekt der staatlichen Repression gegen Indymedia Linksunten, das seit mittlerweile über 2 Jahren mittels Vereinsrecht abgeschaltet wurde. Obwohl es eine Solidaritätsgruppe mit eigener Homepage gibt, hört man wenig davon.

Am 29. Januar ist jetzt der Termin der Klage gegen die Abschaltung von Indymedia Linksunten vor dem Verwaltungsgericht in Leipzig terminiert. Am Samstag davor, am 25. Januar 2020 soll es den Tag (((i))) geben. An dem Tag wird zu einer bundesweiten Demonstration nach Leipzig mobilisiert. Es wird sich zeigen, ob sich die Menschen mobilisieren lassen oder ob sie im Internet bleiben. Im Oktober 2019 gab es von Unionspolitikern auch schon mal Verbotsdrohungen gegen Indymedia Deutschland, das von der Abschaltung nicht betroffen ist.

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