Einsatz türkischer Phosphorbomben in Nordsyrien belegt

Symbolbild: Angriff auf Ras al-Ain, am 11 October. Bild: VOA/gemeinfrei

Eine Fachstelle in der Schweiz hat den Chemiewaffen-Einsatz beim völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien anhand von Hautproben nachgewiesen

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Im Oktober 2019 überfiel die Türkei mit dschihadistischen Söldnern die Städte Ras al-Ain (kurdisch: Sere Kaniye) und Tall Abyad (kurdisch: Gire Spi) in Nord-Ostsyrien. Dabei kam es in beiden Städten zum Chemiewaffeneinsatz durch das türkische Militär, so die Vorwürfe. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar dementierte, die Bundesregierung schwieg.

In den sozialen Medien hingegen kursierten Fotos und Videos von Kindern, die dem Chemiewaffeneinsatz zum Opfer fielen. Insgesamt gab es etwa 30 Zivilisten, überwiegend Frauen und Kinder, die am 13. Oktober von den Phosphorbomben getroffen und ins Krankenhaus von Hasaka eingeliefert wurden. Auch ins Krankenhaus der christlichen Stadt Tell Tamer (kurdisch: Til Temir) wurden Opfer des Chemiewaffeneinsatzes eingeliefert.

Eine Schweizer Fachstelle hat in Zusammenarbeit mit Laboren anhand von Hautproben eines bei dem Chemiewaffenangriff verletzten Kämpfers den Einsatz von weißem Phosphor nachgewiesen. Während die deutsche Presse weitgehend schwieg, berichtete die North Press Agency darüber und berief sich dabei auf einen Bericht der Zeitung Al-Nahar.

Demnach hatte die Autonome Verwaltung Nordost-Syriens am Montag in Paris die Auswertung der Fachstelle der Laboranalysen vorgelegt, die den Einsatz von Phosphor-Bomben durch das türkische Militär im Oktober vergangenen Jahres bestätigten. Der Bericht kam zu dem Schluss: "Die Art der Verletzung (chemische Verbrennungen), zusätzlich zu der sehr hohen Menge an Phosphor in der Probe, beweist, dass Phosphor (weiße Phosphormunition) verwendet wurde."

Der schwedisch-iranische Arzt Abbas Mansouran, der zum Zeitpunkt des türkischen Angriffs in Nordsyrien arbeitete und die Opfer des türkischen Bombenangriffs behandelte, bestätigte, dass einige der ungewöhnlichen Verbrennungen auf den Einsatz unkonventioneller Waffen zurückzuführen sind.

Der Arzt erklärte auf einer Pressekonferenz in Paris vergangenen Montag, an der auch der Sprecher der kurdischen Selbstverteidigungseinheit, Nuri Mahmoud, und der Vertreter der Autonomen Verwaltung Nordost-Syriens, Khaled Issa, teilnahmen, dass "die Verletzungen und Symptome, die bei den Opfern, die meisten von ihnen waren Zivilisten, auftraten, mit der Exposition gegenüber chemischen Waffen übereinstimmen".

Mansouran stellte schon Ende Oktober 2019 einen Bericht vor, in dem er die Fälle des Chemiewaffeneinsatzes dokumentierte. Hautproben wurden zur Analyse nach Europa gesandt.

Als Verantwortlicher und Gründer des Universitätsklinikums von Schiraz habe ich auf meine Erfahrungen im Iran-Irak-Krieg in den 80er Jahren zurückgegriffen und festgestellt, dass bei vielen Patienten anormale schwere Verbrennungen festzustellen sind. Die Verbrennungen, die ich in Rojava behandelt habe, unterscheiden sich in Form und Aussehen ganz offensichtlich von normalen Verbrennungen. Sie zeigen deutlich, dass Chemiewaffen eingesetzt worden sind.

Abbas Mansouran

Die Opfer berichteten von abgeworfener Munition aus bewaffneten Drohnen und weiter von mindestens zwei Angriffen an verschiedenen Orten und unterschiedlicher Zeit, bei denen eine Bombe auf die nächste folgte.

Die Verbrennungen sind tief und verschieden groß und befinden sich an verschiedenen Körperstellen. Die Opfer waren mit Staub bedeckt. Die Splitter der Bomben haben tropfenförmige Verletzungen verursacht. Manche der Verletzten haben Atemprobleme. An den Körpern waren Spuren von Kohlenstaub zu finden. Bei mindestens sechs der Verletzten liegen schwere Augenverbrennungen vor. Haare und Augenbrauen sind nicht verbrannt, es liegen aber tiefe verbrannte Flecken unterschiedlicher Größe vor. In den Verbrennungen befinden sich keine Spuren von Fremdkörpern.

Abbas Mansouran

Weißer Phosphor ist die gefährlichste Form des Phosphors. In Brandbomben wird die Substanz mit Kautschukgelatine versetzt. Die zähflüssige Masse haftet dadurch an der Person, die Kontakt mit dem Kampfstoff hatte und wird weiter verteilt. Sie durchdringt die Kleidung und brennt sich in den Körper bis in die Knochen ein und verursacht dort schwere, oft tödliche Verbrennungen.

Phosphor brennt auch weiter, wenn der gesamte Körper gereinigt wurde, sobald er Sauerstoff ausgesetzt ist. Die Dämpfe des weißen Phosphors sind hochgiftig, sie schädigen das Herz, die Leber und die Nieren. Beim Einatmen verursacht Phosphor tödliche Verletzungen der Atemwege.

Die durch die Brandwirkung entstandenen Verletzungen sind schwer heilbar. Der Einsatz von Phosphorbomben als Brandwaffen gegen Zivilpersonen ist in den Zusatzprotokollen zur Genfer Konvention verboten. Auch die Türkei hat sich der Genfer Konvention angeschlossen.

Vereinte Nationen und OPCW zum Handeln aufgefordert

Der Bericht von Dr. Abbas Mansouran wurde mit weiteren Dokumenten und Beweisen bei den Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vorgelegt. Nach einer Meldung der kurdischen Nachrichtenagentur ANF hatte die OPCW eine Untersuchung aus formalen Gründen - wegen eines fehlenden Mandats - abgelehnt.

Kritiker sehen jedoch einen Zusammenhang zwischen der Ablehnung einer Untersuchung und einer Spende der Türkei in Höhe von 30.000 Euro, die der türkische Botschafter Şaban Dişli der OPCW übergeben hatte. Und zwar kurz nachdem der Chemiewaffeneinsatz der Türkei in Nordsyrien bekannt wurde.

Aktivisten protestierten daher vor dem Sitz der Organisation in Den Haag und bezeichneten die Spende der Türkei als Bestechung. Nach dem mit wissenschaftlichen Methoden durchgeführten Beweis des Schweizer Labors wäre kaum nachvollziehbar, warum die OPCW eine Untersuchung des Chemiewaffeneinsatzes der Türkei noch ablehnen sollte, es sei denn, die OPCW ist nicht so unabhängig, wie sie postuliert.

Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Ulla Jeplke, kommentierte den Vorgang: "Der Einsatz von Phosphor als Waffe gegen Menschen ist ein Kriegsverbrechen. Was soll denn noch geschehen, damit endlich Schluss mit der Appeasementpolitik gegenüber dem türkischen Diktator mit seinen neoosmanischen Ambitionen ist?..."

Während der Verdacht des Einsatzes chemischer Kampfstoffe durch syrische Regierungstruppen stets einen internationalen Aufschrei hervorrief, würde die Bundesregierung die Kriegsverbrechen ihres NATO-Partners Türkei weiter unter den Teppich kehren, empörte sich die Politikerin.

Kam das Phosphor aus Großbritannien?

Großbritannien hat in den letzten 20 Jahren 70 Lizenzen für Rüstungsgüter an die Türkei erteilt, die weißen Phosphor enthalten haben könnten. Das berichtete die Sunday Times unter Berufung auf Hamish de Bretton-Gordon, einem britischen Experten für chemische Waffen. Bretton-Gorden erklärte gegenüber der Zeitung, wenn sie Proben der Chemikalien hätten, die in Nordsyrien zum Einsatz gekommen sind, wäre es möglich, herauszufinden, woher der Phosphor stamme.

Recherchen der Times-Journalistin Lucy Fisher haben ebenfalls ergeben, dass militärische Gegenstände, die Großbritannien an die Türkei verkauft habe, weißen Phosphor enthielten. Dabei soll es sich um Nebel- und pyrotechnische Munition, Täuschobjekte und Ausrüstung für Gegenmaßnahmen sowie Signalvorrichtungen und Beleuchtungen handeln.

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