Der OPCW-Abschlussbericht und der angebliche Giftgasangriff in Duma

Bild: OPCW

Die Glaubwürdigkeit der OPCW will man durch Diffamierung der Whistleblower retten, die keine seien, kein ausreichendes Wissen hatten und vor allem die Vertraulichkeitsregeln verletzten

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Die Aufklärung darüber, was am 7. April in Duma (Ost-Ghouta) während einer Offensive der syrischen Truppen vorgefallen war (Das lässt aufhorchen: Angeblicher Chemiewaffenangriff in Ost-Ghouta), ist mittlerweile schon eine alte Geschichte, die aber weitergeht, bis sie irgendwann ganz aus dem Gedächtnis verschwinden wird.

Schon jetzt interessieren die Medien, die bis zum Abschlussbericht mit dem "richtigen" Ergebnis die Entwicklungen verfolgten, nicht mehr die mittlerweile geleakten Dokumente und Aussagen von Whistleblowern und ehemaligen OPCW-Inspekteuren, die Zweifel an den präsentierten Ergebnissen begründen. Die werden ansonsten wie auch in anderen umstrittenen Fällen wie des Nowitschock-Anschlags auf Skripals als Ergebnis russischer Desinformationskampagnen betrachtet, mit denen man sich nicht auseinandersetzen muss und höchstens inoffiziell Bellingcat losschickt, um "investigativ" das zu belegen, was man als Regierung lieber nicht machen will.

Eigentlich sollte die Fact Finding Mission (FFM) der OPCW mit dem im März 2019 veröffentlichten Abschlussbericht zumindest geklärt haben, ob und wie der von den Weißhelmen behauptete und mit Videos dokumentierte Giftgasangriff stattgefunden hat. Aufgabe der OPCW war zu der Zeit nicht zu ermitteln, wer der Täter ist. Der Bericht kam allerdings zu dem Schluss, dass es höchstwahrscheinlich einen Chlorgasangriff gegeben hatte und dass die beiden Zylinder mit dem Gas von der Luft abgeworfen wurden, was bedeutet, dass es nicht die noch in Ost-Ghouta verbliebenen Dschihadisten von Jaysh al-Islam gewesen sein konnten, die einen Tag doch später abzogen, sondern Hubschrauber der syrischen Armee (OPCW-Bericht: In Duma war wahrscheinlich Chlorgas als Waffe eingesetzt worden). Auch beim angeblichen Sarin-Angriff von Khan Shaykhun 2017, war die OPCW, damals ohne Inspektion vor Ort, zu dem Schluss gekommen, "dass die syrisch-arabische Republik für das Ausströmen von Sarin in Khan Shaykhun verantwortlich ist".

Nach Leaks, angeordneter Löschung eines Berichts und Aussagen von Whistleblowern vertieft sich der Verdacht, dass der Abschlussbericht, der nur von OPCW-Mitarbeitern geschrieben wurde, die nicht Teil der FFM waren, frisiert ist. Zuletzt hatte der ehemalige OPCW-Inspekteur Ian Henderson, der Teil der FFM in Duma war und in einem nicht in den Abschlussbericht aufgenommenen technischen Bericht argumentiert hatte, dass die Zylinder vermutlich nicht abgeworfen wurden, kritisiert, "Befunde, Fakten, Informationen oder Analysen" seien nicht berücksichtigt worden.

Hand in Hand mit Bellingcat?

Der OPCW-Generaldirektor Fernandon Arias hatte Ende November 2019 schon einmal Zweifel an der Unparteilichkeit der Organisation zurückgewiesen, ohne auf die Vorwürfe näher einzugehen. Man ließ Bellingcat hingegen versuchen, die Kritik durch einen kurz zuvor veröffentlichten Bericht zu entkräften (Bellingcat verteidigt OPCW-Abschlussbericht).

Nach den Ausführungen von Henderson sah sich die OPCW genötigt, doch noch auf die Kritik einzugehen. Zuerst einmal aber kam wieder ein Bericht von Bellingcat am 23. Januar, der wieder nicht die Absicht verfolgt, die Wahrheit, soweit sie aus der räumlichen und zeitlichen Ferne zugänglich ist und von vorliegenden Informationen erschlossen werden kann, herauszustellen, sondern nur den Zweck hat, das im Abschlussbericht formulierte Ergebnis zu stärken, dass die Zylinder von Hubschraubern abgeworfen wurden. Zugrunde gelegt wird die Behauptung, die Russland vertreten soll, nämlich dass es überhaupt keinen Giftgasaustritt gegeben habe und alles nur inszeniert sei.

Ähnlich wie dies Verschwörungstheorien auch machen, wird mit Plausibilität argumentiert. Beispielsweise müssten, so das Hauptargument, die Menschen, die nach den Videos der Weißhelme durch das Giftgas getötet worden sein sollen, bei einer puren Inszenierung irgendwie anders getötet und zu den Tatorten gebracht worden sein. Tatsächlich ist dies eine Schwachstelle der Inszenierungshypothese mit oder ohne Giftgasaustritt, andererseits wurde in Duma heftig gekämpft, syrische und russische hatten massiv bombardiert. Dschihadistische Kämpfer sind überdies nicht sonderlich am Schutz von Menschen interessiert, Jaysh al-Islam soll auch Zivilisten gehindert und beschossen haben, die versuchen wollten, auf den Fluchtwegen der syrischen Regierung aus Duma herauszukommen.

Hauptvorwurf: Veröffentlichung vertraulicher Informationen

Am 6. Februar veröffentlichte der OPCW-Generaldirektor den Bericht einer "unabhängigen Untersuchung" nicht der Ergebnisse des Abschlussberichts, sondern über den Bruch der Vertraulichkeit nach dem Leak des technischen Berichts im Mai 2019, der nicht in den Abschlussbericht aufgenommen wurde. Zwei früheren OPCW-Mitarbeitern wird vorgeworfen, "ihre Verpflichtung zum Schutz vertraulicher Informationen, die mit der FFM-Duma-Untersuchung, verbunden sind", verletzt zu haben. Das seien "stark geschützte Informationen", die Menschen ungenehmigt vorgelegt wurden, "für die es nicht notwendig ist, solche Informationen zu kennen". Das ist für eine internationale Organisation, die auch auf Transparenz setzt und Vertrauen beansprucht, schon eine seltsame Formulierung, wenn gesagt wird, die Öffentlichkeit brauche solche Informationen nicht. Zumal auch nicht gesagt wird, warum diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen, da nur formal auf die Geheimhaltungsregel verwiesen wird.

Ein Inspektor (A), ein langjähriger OPCW-Mitarbeiter und vermutlich "Alex", sei nicht Mitglied des FFM-Teams gewesen und habe keinen Zugang zu allen Informationen gehabt. Seine Beurteilung der Lage vom Februar 2019 sei kein offizielles, sondern ein persönliches Dokument mit unvollständigen Informationen. Unautorisiert habe er mit Professoren zusammengearbeitet.

Auch dem anderen Inspektor (B) werden wirkliche Einblicke abgesprochen. Er sei zwar - "zum ersten Mal", was ein Nachteil zu sein scheint - FFM-Mitglied gewesen (dabei hat er viele Jahre für die OPCW gearbeitet: 1998-2011, auch als Teamchef, und 2015 bis August 2018), aber er sei nur in Damaskus gewesen und habe Ende August die OPCW verlassen. Zuständig sei er für den Zwischenbericht gewesen. Er habe dann versucht, weiter in Kontakt mit OPCW-Mitarbeitern zu bleiben und die Untersuchung zu beeinflussen. Der Großteil der analytischen "Arbeit" sei nach seiner Zeit bei der OPCW entstanden.

Der Generaldirektor kann so sagen, dass die beiden keine Whistleblower seien, sondern Störenfriede, "die nicht akzeptieren konnten, dass ihre Ansichten nicht durch Beweise gedeckt waren". Das alles sieht wie eine Diffamierungskampagne aus. Die Ex-Inspektoren hätten nur "unvollständige Informationen" gehabt: "Daher sind, wie man erwarten kann, ihre Schlussfolgerungen irrtümlich, unwissend und falsch."

B dürfte Henderson sein, der allerdings behauptet, in Duma gewesen zu sein. Er hatte auch moniert, dass alle FFM-Inspektoren, die vor Ort waren, von der Abfassung des Abschlussberichts ausgeschlossen wurden, der also von OPCW-Mitarbeitern verfasst worden sein, die nicht in Duma waren, was man den Inspektoren eben auch vorwirft. Die OPCW sagt überdies, dass es nach dem Zwischenbericht vom Juli 2018 weitere sieben Monate dauerte, um den Vorfall zu untersuchen: "Während dieser Zeit hatte Inspektor A keine unterstützende Rolle für die FFM mehr, Inspektor B war seit Ende August nicht mehr von der OPCW angestellt." Das ist offenbar der Beleg dafür, dass beide Inspektoren nichts oder nur Falsches sagen können, während der Generaldirektor versichern kann, dass er Vertrauen in den Abschlussbericht hat: "Ich stehe hinter den Ergebnissen des Abschlussberichts", lässt er sich zitieren.

Der angeblich unabhängige Bericht geht in keiner Weise darauf ein, ob die Argumente der beiden Inspektoren stimmen könnten, sondern behauptet nur, sie hätten nicht das erforderliche Wissen gehabt, wobei suggeriert wird, die Autoren des Abschlussberichts, die auch nicht der FFM vor Ort waren, hätten die richtigen und ausreichenden Informationen gehabt. Moniert wird, dass sie die Geheimhaltungspflicht verletzt hätten und mit den offiziell veröffentlichten Berichten nicht einverstanden gewesen seien.

Dass sie als langjährige OPCW-Mitarbeiter auch besorgt gewesen könnten, dass die Berichte nicht alle Befunde und Informationen aufgenommen und bewertet und einseitig nur eine Hypothese verfolgt haben, wird nicht einmal erwogen. Möglicherweise sind sie ja wirklich nur Querulanten, wie die OPCW sie letztlich darstellen will, und keine Whisleblower. Doch die Art, wie die OPCW die Kritik zum Schweigen bringen will und zur inhaltlichen Widerlegung nur Bellingcat vorschickt, kann den Verdacht eigentlich nur bestärken, dass wahrscheinlich die Ergebnisse doch politisch frisiert worden sein könnten.