Gesundheitsnotstand: "Jede geeignete Person" soll zur "Erbringung von Leistungen" herangezogen werden können

Bild: Partynia/CC BY-SA-4.0

Bayern will ein neues Infektionsschutzgesetz mit weitreichenden Befugnissen nächste Woche umsetzen, die Bundesregierung scheint dem zuvorkommen zu wollen

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Die bayerische Regierung prescht in Deutschland nicht nur vor, wenn es um neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie geht. Ministerpräsident Söder hat entdeckt, dass er in einem Katastrophenfall, den er erklärte, an Autorität und Rückhalt gewinnt. Jetzt muss entschieden und gehandelt werden. Und weil im Notstand sich jeder einreiht, auch jede Opposition, kann durchmarschiert werden. Die bayerische Regierung als erste nach dem Vorbild Österreichs Ausgangsbeschränkungen verfügt, andere Bundesländer zogen nach. Im Hintergrund wird schon an einem neuen Infektionsschutzgesetz gearbeitet, das dem Staat noch weitere Durchgriffsrechte im Falle eines Gesundheitsnotstands verschaffen würde.

Natürlich hat man es ganz eilig, im Rückenwind der Panik vor der Pandemie neue staatliche Befugnisse umzusetzen, weil sich auf die Schnelle keine öffentliche Diskussion entwickeln kann und die Opposition mehr oder weniger im gesundheitlichen Ausnahmezustand ausgeschaltet ist. Eigentlich sollte das Gesetz schon am Donnerstag vor der Verfügung der Ausgangsbeschränkungen und der Schließung der Restaurants durch das Parlament gepeitscht werden, aber SPD und Grüne wollten da doch nicht willfährig mitspielen. Jetzt wird es erst einmal im Gesundheits- und im Innenausschuss eiligst beraten, soll aber am Mittwoch verabschiedet werden. Angeblich wurde eine Befristung eingearbeitet und wird eben der Landtag an der Entscheidung beteiligt. Was heißt, dass man es erst einmal unbefristet und ohne parlamentarische Diskussion durchwinken wollte. So weit zum Demokratieverständnis der bayerischen Regierung im selbst erklärten Notstand.

Nach Informationen der FAZ drückt aber nun auch die Bundesregierung auf das Gaspedal und will nun ebenfalls das Infektionsschutzgesetz des Bundes auf die Schnelle verändern. Der vom Bundesgesundheitsministerium ausgearbeitete Gesetzesentwurf soll am Montag im Bundeskabinett beschlossen und schnellstmöglich dem Bundestag und dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Möglicherweise will man damit Bayern und anderen Bundesländern zuvorkommen, indem der Bund mehr Kompetenzen an sich zieht und den Infektionsschutz zentralisiert, also den Föderalismus hier ein Stück weit entmachtet.

Der FAZ gegenüber erklärte der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: "Hier bündeln wir Kompetenzen. Und noch wichtiger: Wir können künftig in einer Lage wie dieser binnen Stunden für Ärzte, Pflegekräfte, Apotheker und alle anderen, die weit über das normale Maß anpacken, Bürokratie wegnehmen, Regeln anpassen, Vergütungen erhöhen." So sollen "grenzüberschreitende Personentransporte" verboten, per Handyortung die Kontaktpersonen von Infizierten gesucht, die Versorgung mit Arzneien und Schutzausrüstung zentral gesteuert oder medizinisches Personal zwangsrekrutiert werden können. Ausgangssperren sollen aber nicht angeordnet werden können.

Kurzfristig die Handlungsfähigkeit des Gesundheitssystems erhöhen

Vermutlich will der Bund die Kompetenzen an sich ziehen, die die bayerische Regierung mit dem Entwurf des bayerischen Infektionsschutzgesetzes für sich beansprucht. Um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern, müsse der Staat die "Handlungsfähigkeit des Gesundheitssystems kurzfristig erhöhen" können. Dabei geht es um die Einziehung von Menschen "bei Ausfall oder Überlastung von medizinischem oder pflegerischem Personal" und um Beschaffung von medizinischem Material. Weil das bundesrechtlich nicht eindeutig geregelt sei, müsse dies Bayern "kurzfristig" landesrechtlich regeln. Hier scheint es nun einen Wettlauf zwischen Bayern und dem Bund zu geben.

Nach dem Entwurf (AZ 18/6945) soll "der Ministerpräsident oder der für Gesundheitsfragen zuständige Staatsminister" offenbar ohne Einbeziehung des Parlaments bei einer übertragbaren Krankheit, die die "Versorgungssicherheit durch das öffentliche Gesundheitswesen ernsthaft gefährdet", den Gesundheitsnotstand ausrufen können. Dieser soll anstatt oder zusätzlich "Katastrophenfall", den Söder bereits am 16. März ausgerufen hat, angeordnet werden können.

Wie das der Bund auch anstrebt, soll der Staat "bei jedermann medizinisches, pflegerisches oder sanitäres Material beschlagnahmen, soweit dies zur Aufrechterhaltung der notwendigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erforderlich ist". Es kann ein Verbot erlassen werden, bestimmte Materialien zu verkaufen, oder der Besitzer gezwungen werden, diese dem Staat zu einem behördlich festgelegten Betrag zu verkaufen. Überdies soll der Staat Betrieben anordnen können, benötigtes Material zu produzieren. Und wenn öffentlich gemacht wurde, dass der Staat bestimmtes Material benötigt, besteht eine Meldepflicht für diejenigen, die davon einen über den Eigenverbrauch hinausgehenden Bestand haben.

Einschneidender dürfte aber sein, dass Feuerwehren und freiwillige Hilfsorganisationen verpflichtet werden können, die Daten von Mitgliedern zu übergegen, die über "medizinische oder pflegerische Kenntnisse" verfügen. Das würde auch für die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns gelten, die die persönlichen Daten der aktiven und pensionierten Mitglieder übermitteln muss, die den ärztlichen Personalbedarf decken können.

Herangezogen werden sollen aber nicht nur Menschen mit medizinischen Kenntnissen, sondern könnte im Prinzip jeder zu Arbeiten verpflichtet werden:

Die zuständige Behörde kann von jeder geeigneten Person die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verlangen, soweit das zur Bewältigung des Gesundheitsnotstands erforderlich ist.Sie kann jede geeignete Person unter gleichen Voraussetzungen auch zur Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen an Einrichtungen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung zuweisen und verpflichten.

Das ist auch nach dem Katastrophenschutzgesetz bereits möglich, aber medizinisches Personal kann "direkt zur Leistung von Diensten bei medizinischen Einrichtungen verpflichtet werden. Das können Krankenhäuser, Pflegeheime oder auch Arztpraxen sein." Zwar können für alle Maßnahmen Entschädigungen verlangt werden, aber ein Einspruch hätte keine aufschiebende Wirkung.

Opposition?

Eingereicht wurde der eher kosmetische Änderungsantrag (18/6983) von CSU-Abgeordneten, den Grünen, den Freien Wählern, der AfD, SPD und FDP, dass der "Landtag oder die Staatsregierung" das Ende eines Gesundheitsnotstands feststellen soll. Betriebe sollen nur dann verpflichtet werden können, wenn sie dazu technisch und finanziell in der Lage sind. "Kassenärztliche Vereinigung Bayerns" wird durch "Bayerische Landesärztekammer" ersetzt, so dass auch Nicht-Kassenärzte herangezogen werden können. Und ergänzt wird, dass auch an Einrichtungen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung "ausbildungstypische Dienst-, Sach- und Werkleistungen" angeordnet werden können.

Immerhin soll auch eine Einschränkung gemacht werden. Eine Person darf dann nicht zum Dienst verpflichtet werden, wenn sie "hierdurch in ihrer Gesundheit oder körperlichen Unversehrtheit unverhältnismäßig gefährdet wird". Die AfD fordert die Löschung der erhobenen persönlichen Daten spätestens zwei Monate nach dem Ende des Gesundheitsnotstands (18/7041). Überdies müsse das medizinische Personal regelmäßig auf den Erreger getestet werden (18/7042).

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