Corona-Proteste: Polizei verhindert Umzug, muss Kundgebung aber zulassen

Kundgebung auf der Straße des 17. Juni: Ungefähr in der Mitte Richtung Brandenburger Tor um 16 Uhr.

In Berlin gingen noch mehr Menschen gegen die autoritären Maßnahmen auf die Straße als vor vier Wochen - Ein Kommentar

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Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Corona-Maßnahmen geraten zum Machtkampf unter Missachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Regeln. Obwohl ein Gericht das zunächst verhängte Demonstrationsverbot der Initiative Querdenker kassierte und die nächst höhere Instanz, immerhin das Oberverwaltungsgericht Berlin, dessen Entscheidung bestätigte, verhinderte die Polizeiführung der Hauptstadt mit einem mutwilligen Manöver, dass der Umzug durch die Stadt stattfinden konnte. Die Kundgebung am großen Stern und auf der Straße des 17. Juni konnte dagegen durchgeführt werden.

Die Teilnehmerzahl am geplanten Umzug war größer als vor vier Wochen. Damals starteten - nach Einschätzung des Autors - etwa 50.000 bis 60.000 Personen von der Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße (die Polizei sprach von 17.000, Zählungen anderer Beobachter reichten von 13.000 bis 40.000). Der Startbereich begann auch diesmal am Brandenburger Tor, die Spitze lag aber gegenüber dem 1. August mehr als einen Kilometer weiter vorne an der Kreuzung Friedrichstraße/Torstraße. Doch genau wie vor vier Wochen ließ die Polizei den Zug nicht wie geplant um elf Uhr losgehen, sondern blockierte ihn. Von hinten drängten immer mehr Menschen nach, so dass die Abstände zwischen den Teilnehmenden immer enger wurden.

11:40 Uhr: Durchsage der Polizei, die Abstände von 1 Meter 50 seien einzuhalten. Sei dies nicht möglich, gelte ab sofort die Verpflichtung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.

Die Verwaltungsgerichte hatten das Tragen von Masken nicht zur Auflage gemacht, lediglich die Einhaltung des Abstandes von 1.50 Meter zwischen den Teilnehmern. Dass die den Mindestabstand nicht einhalten konnten, lag vor allem am Eingreifen der Polizei. Dadurch, dass sie den Zug nicht losgehen ließ, schob sich die Menge immer mehr zusammen. Die Polizei führte also selber die Situation herbei, die sie nun benutzte, um eine Maskenpflicht anzuordnen. Zugleich wird angedroht, der Aufzug könne nicht weitergehen, wenn nicht alle Teilnehmer eine Maske trügen. Viele legen daraufhin Masken an, auf jeden Fall die Mehrheit.

Dennoch blockiert die Polizei den Abmarsch weiterhin. Es ist wie eine Zwickmühle ohne Chance: Durch ihre Blockade des Demozuges führen die Träger des staatlichen Gewaltmonopols eine Situation herbei, die ihnen die Möglichkeit gibt, den Zug weiter zu blockieren.

Damit missachtet sie auch die Bescheide des Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichtes Berlin. Darauf angesprochen erklärte später die Pressesprecherin der Polizei: Weil sich die Demonstrationsteilnehmer nicht an die Auflage des Gerichtes gehalten hätten, den Mindestabstand einzuhalten, habe die Einsatzführung das Recht gehabt, diese neue zusätzliche Auflage des Maskentragens zu verhängen. Und weil diese Auflage ebenfalls nicht eingehalten wurde, die Versammlung nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu beenden.

Damit hat die Polizei nicht nur ihrerseits eigenmächtig den Beschluss des Verwaltungsgerichtes kassiert, sie hat auch das IfSG wie eine Jokerkarte eingesetzt, um mutwillig eine politische Demonstration zu unterbinden. Das ist eines der Merkmale des gefährlichen Corona-Rechtes.

In der Menge macht sich Nervosität breit, ebenso bei den Demoverantwortlichen. Sie fordern die Menge auf, sich hinzusetzen. Ihr Anwalt sei eingeschaltet. Die Polizei hat sich mit Sperrgittern und behelmten Einsatzkräften vor ihnen aufgebaut.

Auf telefonische Nachfrage, wer die Auflage des Maskentragens verhängt habe, antwortet die Polizei-Pressestelle, das sei die Entscheidung der Einsatzleitung vor Ort gewesen. Persönlich taucht kein Vertreter der Pressestelle an dem Brennpunkt auf.

12:20 Uhr: Ein Anwalt der Querdenker kritisiert gegenüber zahlreichen Presseleuten die Maßnahme. Es gebe in Deutschland keine Maskenpflicht, sagt er. Das Nichttragen sei höchstens eine Ordnungswidrigkeit. Er fordert die Polizei auf, den Demozug endlich losgehen zu lassen. Von Innensenator Andreas Geisel verlangt er den Rücktritt. Zu dem Zeitpunkt haben die Veranstalter keinen Kontakt zur Einsatzleitung der Polizei.

Die Menge ruft an die Beamten gerichtet: "Schließt euch an!" Ganz in der Nähe stehen vier Wasserwerfer bereit.

12:35 Uhr: Die Polizeipräsidentin Barbara Slowik erscheint mit ihrem Stab vor Ort. Sie halten sich etwa 100 Meter entfernt vom Tatort auf. Die Demonstranten und Journalisten bekommen den Besuch nicht mit. Auf die zugerufene Frage, warum sei da sei, sagt Slowik: "Weil ich mir einen eigenen Eindruck verschaffen möchte." Auf die Frage, wie ihr Eindruck sei, geht sie nicht mehr ein. Auch weitere Fragen will sie nicht beantworten.

Meist steht sie isoliert und telefoniert oder unterhält sie sich mit einem Mann, der auf einem Fahrrad ankam. An den Beratungen der Einsatzleiter nimmt sie nicht teil.

12:40 Uhr: Drei Vertreter der Querdenker kommen aufgeregt zu den Führungsbeamten. Man müsse die Absperrung dringend öffnen, sonst entstehe Panik meinen sie. Ein Polizeiverantwortlicher macht das Angebot, die Demonstranten könnten "einzeln" oder in "ganz kleinen Gruppen" den Ort verlassen, allerdings nicht nach vorne. Auf die Nachfrage, warum nicht nach vorne, sagt der Beamte: "Um einen Aufzug zu verhindern." Die Polizeipräsidentin bekommt das Anliegen der Veranstalter mit. Als sich die Einsatzleitung bespricht, steht sie abseits und nimmt daran nicht teil. Warum ist sie da? Will sie mit ihrer Anwesenheit demonstrieren, dass die oberste Polizeiführung das Handeln der Einsatzleitung akzeptiert und mitträgt?

13:05 Uhr: Slowik verlässt mit ihrem Stab wieder die Torstraße. Die Polizei beginnt mit wiederholten Durchsagen, die Versammlung sei aufgelöst. Der Versammlungsleitung gelinge es nicht, so die Polizei, auf die Teilnehmer einzuwirken. Die würden gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen, die Abstände würden flächendeckend nicht eingehalten, was nebenbei gar nicht mehr stimmt.

Polizisten erklären, die Menge hätte vorher ja in Seitenstraßen ausweichen können. Das war allerdings nicht überall erlaubt. Andere Zuwege waren mit Absperrgitter abgeriegelt, so dass man den Zug zwar hätte verlassen, aber nicht mehr zu ihm zurückkehren können.

Einige Demonstrationswillige gehen weg, die Mehrheit bleibt zunächst. Es gibt vereinzelt Festnahmen. Ein Truppführer der Polizei herrscht seine Kollegen an, die in der Unübersichtlichkeit der Lage, die Straße freigemacht haben: "Ihr habt hier immer noch eine Polizeikette und eine Absperrung. Absperrung bedeutet, dass ihr keinen durchlasst!"

Ein Vertreter der Veranstalter teilt mit, ihre Anwälte hätten einen Eilantrag an das Gericht gestellt, dass der Demonstrationszug wie geplant stattfinden könne. Bei der Polizeipressestelle weiß man dazu auch über eine Stunde später noch nichts. Die Appelle schwanken zwischen dableiben und zur Siegessäule aufbrechen, wo um 15:30 Uhr die große Kundgebung beginnen soll.

Noch bis nach 15 Uhr stehen Demonstrationswillige auf der Friedrichstraße und Unter den Linden, zwei Stunden nach der offiziellen Auflösung der Versammlung. Viele machen sich nun auf den Weg zur Straße des 17. Juni.

Kundgebung auf der Straße des 17. Juni: Ungefähr in der Mitte Richtung Siegessäule, wo sich die Bühne befand, um 16 Uhr.

Die Hauptkundgebung kann wie geplant stattfinden. Der Platz um den großen Stern, die gesamte Straße des 17. Juni vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule und dahinter ist mit Menschen besetzt. Man versucht Abstand zu wahren. Tausende haben sich auch im Tiergarten niedergelassen.

Schon in ihrem Versammlungsverbot drei Tage vor dem Aktionstag vom 29. August hat das Berliner Polizeipräsidium politisch argumentiert. Wörtlich heißt es in der Verfügung: "Sie richten sich mit Ihrer Versammlung gegen die Maßnahmen der Regierung bzw. der einzelnen Landesregierungen zur Eindämmung des SARS-CoV-2 Virus, die Sie für überzogen halten. Sie sehen Ihre Freiheitsrechte dadurch unverhältnismäßig eingeschränkt, was mit einer Fehleinschätzung der eigentlichen Gesundheitsgefahren, die von dem SARS-CoV-2-Virus ausgehen, einhergeht."

Demonstrieren darf offensichtlich nur der, der die Einschätzungen der Regierungen mitträgt. Dass Regierungen selber falsche Einschätzungen vornehmen könnten, oder dass auch gegen richtige Einschätzungen protestiert werden dürfe, verneint die Berliner Polizei. Sie erklärt sich zur Hauptverwaltung Ewige Wahrheiten, gewissermaßen zu einer politischen Polizei, die nicht Verfassungsgrundsätzen verpflichtet ist, sondern einer von Parteien getragenen Exekutive dient.

Dass das ursprüngliche Demonstrationsverbot auch von der Bundeskanzlerin begrüßt wurde, belegt das.

Sinnigerweise erließ die Berliner Polizeibehörde nicht etwa ein generelles Demonstrationsverbot für den 29. August, es sollte lediglich Veranstaltungen der Kritiker der Corona-Politik betreffen. Gegendemonstrationen waren erlaubt. Selbst wenn die, gegen die demonstriert werden wollte, mangels Erlaubnis gar nicht da gewesen wären. So was nennt man Dialektik.

Der autoritäre politische Umgang mit der potentiellen Gefahr des Coronavirus, wie mit Kritikern der Corona-Maßnahmen hat das Land tief gespalten und in einen fundamentalen gesellschaftlichen Streit gestürzt. Wer jeden und jede vor die Alternative zwischen Anpassung oder Diffamierung stellt, zerstört den sozialen Frieden nachhaltig. Wenn Bundeskanzlerin Merkel im August 2020 sagt, es werde solange keine Normalisierung geben, solange kein Impfstoff oder Medikament gegen Corona gefunden ist, kann man durchaus als Drohung verstehen. Die Regierenden sind bereit, das Corona-Recht vorerst unbegrenzt zu verlängern und mit Verordnungen weiter zu regieren.

Eine politische Opposition in den Parlamenten findet seit einem halben Jahr nicht mehr statt. Den Parteien fällt zu der Krise nichts Intelligentes ein. Sie wirken wie paralysiert. Dass sie gleichzeitig die Corona-Proteste wie verbissen bekämpfen, verwundert allerdings. Es wirkt, als dürfe nicht an einem Tabu gerüttelt werden. Tatsächlich schaffen sie fortwährend ein politisches Vakuum, in das alle möglichen Kräfte strömen können.

Jeder im Land ist sowohl vom Gesundheitsrisiko Corona betroffen wie von der autoritären Corona-Politik. Deshalb hat jeder das Recht, sich dazu zu äußern und Kritik zu artikulieren, ohne verdammt oder ausgegrenzt zu werden. Inzwischen sind das viele. Die Großdemonstrationen am 1. und 29. August geben davon Zeugnis.

Man stelle sich nur mal vor, Lockdown-Befürworter und Träger der Corona-Maßnahmen würden für diese Politik demonstrieren, dann käme vermutlich eine ähnliche Mischung zusammen wie unter den Gegnern. Auch mit Deutschlandfahnen oder Hutträgern der diversen Ämter.

Der 29. August ist eine Reaktion auf den politischen wie medialen Umgang mit dem 1. August. Ein Kommentator des Rundfunks Berlin-Brandenburg, der das anfängliche Demonstrationsverbot begrüßte, schrieb: Die Initiative "Querdenken" habe die "Gutmütigkeit des Staates" ausgenutzt. Papa Staat und die undankbaren Kinder. Ein Satz und eine Denke, wie man sie einst im Neuen Deutschland hätte lesen können. So schreiben und denken also heute diejenigen, die die Corona-Politik rechtfertigen.

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