Brexit 2. Teil: Australische Lösung?

Grafik: TP

Boris Johnson bringt zu Beginn der achten Gesprächsrunde eine neue Möglichkeit ins Spiel

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Morgen reist Michel Barnier, der Brexit-Chefunterhändler der EU, persönlich nach London, um in der achten Runde über eine neue Partnerschaft nach dem Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU zu verhandeln (vgl. Brexit: Zweierlei Unfaires). "Die [Corona-]Pandemie", so der Franzose dazu, "hält die Brexit-Uhr [nämlich] nicht vom Ticken ab."

Letzte Woche hatte er verlautbart, dass es "bis Ende Oktober ein endgültiges Abkommen" geben müsse, "wenn wir eine neue Partnerschaft ab 1. Januar 2021 beginnen wollen." Andernfalls reiche für das EU-Parlament und die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer die Zeit nicht, um sie "an dem Prozess zu beteiligen".

Nordirland-Konkretisierung

Sein Zeitplan sieht deshalb vor, dass es nach den Verhandlungen in dieser Woche nur noch eine weitere neunte Verhandlungsrunde Ende des Monats gibt, deren Ergebnisse die Staats- und Regierungschefs der verbliebenen EU-Mitgliedsländer anschließend auf einem "Zustimmungsgipfel" genehmigen.

Der britische Premierminister Boris Johnson will britischen Medienberichten nach nicht länger als bis zum 15. Oktober über ein neues Partnerschaftsabkommen mit der EU verhandeln. Sollte man sich bis dahin nicht grundlegend geeinigt haben, werde er stattdessen eine australische Lösung verfolgen: Ein Abkommen zu technischen Standards und Normen im Rahmen der Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Am Freitag hatte er bezüglich der Verhandlungen betont, das Vereinigte Königreich sei, "für jeden Fall gerüstet". Ähnlich äußerte sich sein Chefunterhändler David Frost gestern gegenüber der Mail on Sunday.

Die Financial Times hatte letzte Woche außerdem berichtet, dass die britische Regierung den Nordirland betreffenden Teil ihrer Ausstiegsvereinbarung mit der EU sehr bald in einer Weise konkretisieren werde, die Brüssel als sinnwidrig ablehnen könnte. Details dazu ließ die Zeitung offen. Simon Coveney, der irische Außenminister, warnte die britische Regierung nach diesem Bericht via Twitter vor einem "sehr unklugen" Vorstoß, die oppositionelle Labour Party, sprach von einem "arglistigen Manöver", mit dem Johnson "die rechtlichen Verpflichtungen des Landes brechen" wolle.

Einigungswahrscheinlichkeit bei 1:2 oder bei 2:1?

Dass die britische Regierung keine Angst hat, die am 31. Dezember verstreichende Übergangsperiode im Falle fehlender Zugeständnisse aus Brüssel ohne ein Partnerschaftsabkommen enden zu lassen, soll möglicherweise auch die die Äußerung einer nicht namentlich genannten Person aus Regierungsgreisen gegenüber der Londoner Times verdeutlichen. Ihr zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit einer Einigung auf ein Partnerschaftsabkommen nur bei "30 bis 40 Prozent". Die Analysten der amerikanischen Investmentbank JP Morgan gehen dagegen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ablaufs der Übergangsfrist mit Partnerschaftsabkommen etwa zwei Mal so hoch ist wie die eines Ablaufs ohne ein Abkommen.

Ein weiterer Analyst, der unter anderem für den Telegraph tätige Pieter Cleppe, hält die Möglichkeit einer Nichteinigung für eine eher theoretische. Seinen Worten nach wäre nämlich "der Preis dafür so hoch", dass der "Druck durch die Wirtschaft so groß wird, dass Politiker beider Seiten wieder an den Verhandlungstisch gezwungen werden". Ähnlicher Ansicht zeigt sich Fabian Zuleeg vom Brüsseler Think Tank European Policy Center (EPC).

Er verweist darüber hinaus auf die separatistischen Bestrebungen in Schottland, die durch so ein Ergebnis gestärkt werden könnten. Ein mit dem Ablauf der Übergangsfrist begründetes neues Unabhängigkeitsreferendum, das die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon angekündigt hat, wäre jedoch nur dann gültig, wenn es der britische Premierminister genehmigt. Boris Johnson hat jedoch bereits deutlich gemacht, dass das so bald nicht passieren wird.

Der Brüsseler Analyst zeigt sich zudem der Ansicht, dass das Vereinigte Königreich bei einem Übergangsfristablauf ohne anschließendes Partnerschaftsabkommen schlechter wegkäme als die anderer europäischer Länder. Dabei verweist er unter anderem auf das Schrumpfen der britischen Wirtschaft um 20,4 Prozent im zweiten Quartal 2020. Auf der anderen Seite der Coronafolgenwaage steht allerdings ein Brüsseler Billionenpaket, das vor allem nach Spanien und Italien fließt, und an dem sich der sonst mutmaßlich zweitgrößte Nettozahler Großbritannien durch seinen Ausstieg aus der EU nicht mehr beteiligen muss (vgl. Von der Leyen legt Plan für EU-Länderfinanzausgleich vor).

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