USA: Starker Anstieg der Todesfälle und der Krankheiten aus Verzweiflung

Bild: Alex Proimos/CC BY-2.0

Nach einer Studie hat sich die Zahl der Diagnosen der mit Alkohol, Substanzen und Suizid verbundenen "diseases of despair" zwischen 2009 und 2018 in allen Altersgruppen deutlich erhöht

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In den USA ist die Lebenserwartung zwischen 2015 und 2017 leicht gesunken, während nach Studien die Zahl der vorzeitigen Todesfälle bei weißen Frauen und Männern im mittleren Alter zwischen 1999 und 2015 angestiegen ist. Dabei handelt es sich vor allem um "Deaths of Despair" (Tod aus Verzweiflung), also Suizide, Tod durch Drogenmissbrauch oder Alkoholkonsum. Das wird von Wissenschaftlern verbunden mit wachsenden wirtschaftlichen Problem für ungelernte und wenig ausgebildete Arbeiter, mit stagnierenden oder sinkenden Löhnen und Familieneinkommen, mit abnehmender Zahl der Heiraten, mit der Zunahme von Single-Haushalten und der Ablösung vom Arbeitsmarkt. In Deutschland lässt sich dieser Trend nicht beobachten: Hier ist zwischen 1991 und 2015 die Zahl der "Deaths of Despair" bei Menschen mittleren Alters (50-54 Jahre) nach einem DIW-Bericht (2019) deutlich gesunken.

US-Wissenschaftler haben in einer in BMJ Open veröffentlichten Studie anhand von Diagnosen bei 12.144.252 Amerikanern zwischen 2009 und 2018 untersucht, wie sich der Anteil der "Krankheiten der Verzweiflung" über den Zeitraum verändert hat. Die Daten erhielten die Wissenschaftler von Krankenversicherung Highmark. Nicht festgestellt werden konnte hier die Mortalität. Mit Alkohol verbundene Diagnosen sind um 37 Prozent gestiegen, mit Substanzen verbundene um 94 Prozent und mit suizidalen Gedanken und Verhaltensweisen verbundene sogar um 170 Prozent. Bei den 55-74-Jährigen gab es den stärksten Anstieg von Diagnosen im Zusammenhang mit Alkohol (+59%) und Substanzen wie Drogen oder Opioide (+172%) , bei den Unter-18-Jährigen den stärksten Anstieg bei Diagnosen (+287%), die mit Suizid zusammenhängen. Auch bei den 18-34-Jährigen ist die Zunahme um 210 Prozent noch gewaltig.

Während des untersuchten Zeitraum erhielten 4 Prozent bzw. 515.830 Menschen aus der gesamten Zahl der Teilnehmer mindestens eine Diagnose einer Krankheit der Verzweiflung. Über 58 Prozent waren Männer, das Durchschnittsalter lag bei 36 Jahren. Am stärksten betroffen sind Männer zwischen 35 und 74 Jahren. Ganz vorne rangiert der Alkohol bei 54 Prozent der mit einer Krankheit der Verzweiflung Diagnostizierten, Substanzen folgen mit 44 Prozent, suizidale Gedanken oder Verhaltensweisen mit 16 Prozent. 13 Prozent wurden mit mehr als einer Krankheit diagnostiziert.

Die Ergebnisse beziehen sich nur auf einen Ausschnitt der Amerikaner, die eine Krankenversicherung haben. Fast 90 Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung oder unterversichert. Daher sei es schwierig, so die Wissenschaftler, das wirkliche Ausmaß der Krankheiten der Verzweiflung zu erfassen, die vermutlich unter denjenigen, die sich eine Krankenversicherung nicht leisten können, weiter verbreitet sind. Allerdings hat Highmark viele Versicherte in Pennsylvania, West Virginia und Delaware, wo es eine hohe Zahl an Krankheiten der Verzweiflung gibt.

Diagnosen von Krankheiten der Verzweiflung seien bei Männern und Frauen allen Alters mit erhöhtem Vorkommen von Komorbitäten, von Angst, Gemütsstörungen und Schizophrenie verbunden. Nachdem die vor allem bei Weißen sinkende Lebenserwartung vor allem auf die sogenannte Opioid-Epidemie zurückgeführte wurde, weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die Opioid-Krise weiter eine Priorität der Gesundheitsversorgung bleibe, aber dass der parallele Anstieg von mit Alkohol und Suizid verbundenen Diagnosen auch eine Reaktion erforderlich mache. Aus den demografischen Daten ließ sich allerdings nicht ermitteln, ob die Anstiege unterschiedlich waren bei Weißen, Latinos, Schwarzen, Asiaten oder Natives, wie das andere Studien bei den Toten aus Verzweiflung eruieren konnten, wo die Weißen mittleren Alters am stärksten betroffen waren.

Man könnte spekulieren, ob eine zunehmend in Verzweiflung versinkende Bevölkerung eine der Ursachen gewesen war, Donald Trump 2016 als Retter zu wählen und ihn auch 2020 noch einmal zu wählen. In der Präsidentschaft von Obama ist der Anstieg der Krankheiten der Verzweiflung nicht gebrochen worden. Auch unter Trump wurde dies nicht anders, die Corona-Krise wird die Situation noch verschlimmert haben. Ein Sozialstaat mit Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung scheint doch ein besseres soziales Netz aufzuspannen und damit Tote und Krankheiten der Verzweiflung zu verhindern, die sich in den USA verbreiten. Zu vermuten ist, dass auch unter Biden sich hier nichts wesentliches ändern wird.