"Verwaltungsversagen" und Lockerungsdebatte

Beim stationären Einzelhandel kommen Corona-Hilfen nur schleppend an. Symbolbild: Alterio Felines / Pixabay

Politisch Verantwortliche geben zu, dass der Einzelhandel im Corona-Lockdown bisher schlecht behandelt wurde. An den Wegen aus der Misere scheiden sich die Geister

Selbst Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der für eine Verlängerung der aktuellen Corona-Beschränkungen über den 14. Februar hinaus ist, gibt zu, dass es Betroffenen in Branchen wie Einzelhandel und Gastronomie nicht leicht gemacht wird, den Lockdown geduldig durchzustehen: "Die Wirtschaftshilfen des Bundes kommen in der Tat zu schlecht und zu spät", sagte Söder am Sonntag im ARD-Bericht aus Berlin. Der Unionsfraktionsvize im Bundestag, Carsten Linnemann (CDU) hatte am Freitag von "Verwaltungsversagen" gesprochen, denn einige Einzelhandelsbetriebe hätten "bis heute nicht einen Cent gesehen", obwohl sie seit Mitte Dezember geschlossen seien.

Mit Blick auf die Bund-Länder-Beratungen zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie am kommenden Mittwoch fordert der Handelsverband Deutschland (HDE) eine "Öffnungsperspektive" für Geschäfte, die nicht auf "systemrelevante" Waren wie Lebensmittel oder Hygieneartikel spezialisiert sind. "Es ist viel zu kurz gesprungen, wenn bei einem Inzidenzwert über 50 grundsätzlich weiter alle Geschäfte geschlossen bleiben", kritisierte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth gegenüber der Bild vom Samstag. Denkbar seien bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auch strengere Hygienemaßnahmen oder Beschränkungen für die Zahl der Kunden, schlug Genth vor.

Laut Studie kein erhöhtes Risiko für Beschäftigte

Eine gemeinsame Studie der Berufsgenossenschaft für Handel und Warenlogistik (BGHW) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) scheint auf den ersten Blick starke Argumente für eine Öffnung zu liefern. Bei der Arbeit im Einzelhandel kommt es demnach nicht zu einer erhöhten Infektionsgefahr, wie die Berufsgenossenschaft am Freitag mitteilte. Für die Studie seien unter anderem Daten aus elf Einzelhandels-Unternehmen mit rund 331.000 Beschäftigten ausgewertet worden. Außerdem seien epidemiologische Daten ausgewertet und Daten der BARMER-Krankenkasse zur Häufigkeit von Covid-19 in verschiedenen Berufsgruppen analysiert worden, teilte die BGHW mit.

Zwischen Mitte März und Ende Oktober 2020 haben sich demnach etwa 0,6 Prozent der Einzelhandelsbeschäftigten und 0,8 Prozent der Allgemeinbevölkerung mit dem Coronavirus infiziert. Somit seien Beschäftigte im Einzelhandel sogar seltener betroffen, so die Berufsgenossenschaft. Als wahrscheinlichen Grund nannte Dr. Stefan Mayer von der Präventionsabteilung der BGHW Schutzmaßnahmen wie "die Abtrennungen an den Kassen und Bedientheken, Abstandsregeln, die Regelungen zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen, die verstärkte Lüftung und die verstärkte Reinigung".

Allerdings sind durch Plexiglasbarrieren an der Kasse oder Theke nur Beschäftigte geschützt - die Kundschaft ist immer noch darauf angewiesen, dass in der Schlange diszipliniert Abstand gehalten wird und die Lüftung funktioniert. Verlässliche Daten über das Infektionsrisiko von Kundinnen und Kunden in Einzelhandelsgeschäften gibt es nicht, da viele Infektionen nicht zurückverfolgt werden können. Allerdings gelten 15 Minuten im Abstand von weniger als zwei Metern als Grenzwert für Hochrisikokontakte.

Doppelte Standards, gespaltenes Meinungsbild

Für eine Verlängerung des Lockdowns, die laut einer aktuellen Umfrage etwa die Hälfte der Bevölkerung befürwortet, wird auch nicht in erster Linie mit dem Schutz von Beschäftigten einzelner Branchen argumentiert. Unterstützer des Aufrufs "Zero Covid" kritisieren gerade, dass der Lockdown für große Teile der Arbeitswelt nicht gilt.

Während die Autoindustrie weiter produziert und Menschen aus zahlreichen Haushalten in Werkshallen aufeinander treffen, sind beispielsweise Kinderschuhgeschäfte geschlossen - Wachstumsschübe können seit einigen Wochen schmerzhaft sein.

Am Sonntag hat Thüringen als drittes Bundesland einen stufenweisen Ausstieg aus dem Lockdown vorgeschlagen. Laut einem Bericht der tagesschau schickte die Landesregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) ihr Konzept an die anderen Bundesländer und forderte darin "möglichst bundesweit einheitlich festzulegende Kriterien für einen Stufenplan".

Neben der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sollten demnach bei der Öffnung von Schulen und Kitas, Friseursalons, Einzelhandel oder Gaststätten auch Kriterien wie die Dynamik des Infektionsgeschehens, die erreichte Impfquote oder die Auslastung von Intensivbetten eine Rolle spielen. Zuvor hatten bereits Niedersachsen und Schleswig Holstein eigene Vorschläge vorgelegt.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wollte diesbezüglich aber wenig Hoffnung verbreiten: "Wir dürfen uns nicht öffentlich mit Lockerungs-Fahrplänen überbieten", sagte er der Bild am Sonntag.