20 Jahre Zerstörung der gesetzlichen Rente

Früher gab es soziale Absicherung. Dann kam die SPD. Bild: Alexas_Fotos, Pixabay

2001 wurde mit der Abschaffung der Berufsunfähigkeitsrente und der Einführung der neuen Erwerbsminderungsrenten die Axt an die Wurzeln des Sozialstaats gelegt

Auch in Corona-Zeiten sollte man wichtige Jahrestage nicht vergessen. Dazu gehört auch die Erinnerung daran, dass am 1. Januar 2001 – also vor gut 20 Jahren – mit der Inkraftsetzung des "Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" die Zerstörung der gesetzlichen Rente begann und damit der Abbau des Sozialstaats in Deutschland beschleunigt wurde.Bei meiner Literatur-Recherche zu diesem Thema bin ich auf einen Artikel auf der Seite gewerkschaftsforum.de gestoßen, in dem es heißt:

Von den Nichtbetroffenen kaum bemerkt, ist im Rahmen der damaligen rot-grünen sozialen Kahlschlagpolitik schon seit 20 Jahren die Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung verschwunden und das, obwohl jeder vierte Beschäftigte im Laufe seines Arbeitslebens berufsunfähig wird.

Gewerkschaftsforum.de, 29.01.2021

Mit diesem für viele Menschen wichtigen Thema, das in den Medien in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast wie ein Tabu behandelt wurde und deshalb in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben ist, werde ich mich im Folgenden näher beschäftigen. Meinen Ausführungen liegen Erfahrungen zugrunde, die ich während meiner langjährigen Tätigkeit als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein gewonnen habe.

Es geht um die damals von der rot-grünen Koalition neu eingeführten Erwerbsminderungsrenten. Darüber habe ich 2017 in einer medizinischen Fachzeitschrift einen längeren Artikel veröffentlicht, der auf der Website seniorenaufstand.de ins Netz gestellt worden ist. Der Seniorenaufstand ist ein Arbeitskreis von gewerkschaftlichen Seniorinnen und Senioren aus dem norddeutschen Raum, der sich für eine solidarische Rente und ein grundlegendes Umsteuern in der Rentenpolitik einsetzt.

Einführung der Erwerbsminderungsrenten mit Enteignung verglichen

Bis Ende 2000 gab es für erwerbsgeminderte Angehörige der Gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von zwei Drittel der Vollrente stand denen zu, die ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben konnten, wenn eine Verweisung auf eine andere zumutbare Tätigkeit nicht mehr in Betracht kam.

Mit dem oben schon genannten "Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" aus dem Jahre 2001 erfolgte eine großangelegte Enteignung der Versicherten. Die Begriffe Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit wurden gestrichen. Weggefallen ist auch der bisherige Berufsschutz. An deren Stelle sind eine Rente wegen teilweiser und/oder vollständiger Erwerbsminderung und eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit getreten.

Eine teilweise Erwerbsminderung liegt vor, wenn der Antragsteller auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch leichte Arbeiten von drei bis unter sechs Stunden täglich, das heißt halbschichtig, verrichten kann. Da gemäß einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 1976 der Teilzeit-Arbeitsmarkt als verschlossen angesehen wird, erhalten so beurteilte Antragsteller derzeit in Schleswig-Holstein nicht nur eine halbe, sondern die volle Erwerbsminderungsrente. Das gilt für Bundesländer nicht, in denen der Teilzeit-Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist.

Eine vollständige Erwerbsminderung liegt vor, wenn der Antragssteller auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch leichte Arbeiten weniger als drei Stunden täglich, also in geringfügigem Umfang, verrichten kann.

So gibt es seit 2001 volle Erwerbsminderungsrenten bei verschlossenem bzw. ohne verschlossenem Teilzeit-Arbeitsmarkt.

Unabhängig von diesen in zeitlicher Hinsicht quantitativen Grenzen für die Gewährung von Erwerbsminderungsrenten können aber auch bestimmte qualitative Einschränkungen zur vollen Erwerbsminderungsrente führen, selbst dann, wenn bei Beachtung der Einschränkungen noch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich vorliegt.

Zu diesen Einschränkungen gehören die sogenannte aufgehobene Wegefähigkeit, einen Arbeitsplatz überhaupt erreichen zu können, und auch die Summe vieler ungewöhnlicher Einschränkungen, wie auch die Notwendigkeit betriebsunüblicher Pausen. Auch wenn eine Erwerbstätigkeit nicht mehr regelmäßig ausgeübt werden kann, liegt ebenfalls eine volle Erwerbsminderung vor.

Ein Sonderfall ist die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Diese gilt nur noch für die vor dem 2. Januar 1961 Geborenen, für jene also, die heute mindestens 60 Jahre alt sind. Diese genießen weiterhin auf der Grundlage ihrer beruflichen Qualifikation Berufsschutz.

Aber auch für diesen Personenkreis ist die alte Berufsunfähigkeitsrente, deren Höhe zwei Drittel der Vollrente betrug, entfallen. Wer gemäß dieser Sonderregelung als berufsunfähig beurteilt wird, erhält nur die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit in Höhe einer halben Vollrente.

Für die nach dem 2. Januar 1961 Geborenen, also für diejenigen, die heute jünger als 60 Jahre alt sind, ist der Berufsschutz vollständig entfallen. In sieben Jahren, 2028, wird das für alle abhängig Beschäftigten gelten, weil dann auch die vor 1961 Geborenen 67 Jahre alt und älter sind.

Höhere Anforderungen bei der Gewährung von Erwerbsminderungsrenten

Im Gegensatz zu den bis Ende 2000 gültigen gesetzlichen Bestimmungen stellen die seit 2001 geltenden neuen Bestimmungen höhere Anforderungen an die erforderliche Minderung des beruflichen Leistungsvermögens für die Gewährung von Erwerbsminderungsrenten.

Die Anforderung an die tägliche Arbeitszeit bei voller Leistungsfähigkeit lag früher bei mindestens acht Stunden täglich und wurde auf sechs Stunden herabgestuft, so dass ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen schwieriger von den begutachtenden Ärztinnen und Ärzten zu konstatieren ist.

Die wichtigste Verschlechterung, die die neue Gesetzgebung für die Versicherten mit sich gebracht hat, betrifft diejenigen mit einem erlernten Beruf. Bis dahin konnte ein Versicherter, der in seinem erlernten Beruf nicht mehr leistungsfähig war, eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von zwei Drittel der Vollrente erhalten. Eine Berufsunfähigkeit lag dann vor, wenn der Versicherte nicht mehr im Stande war, die erlernte Berufstätigkeit oder eine zumutbare Verweisungstätigkeit auszuführen.

Seit 2001 kann dagegen ein Antragsteller auf jede Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, wobei ein sozialer Abstieg im Gegensatz zu der früheren Regelung irrelevant ist und in Kauf genommen werden muss.

Wenn zum Beispiel ein Büroangestellter (ab dem Geburtsjahr 1961) in gesundheitlicher Hinsicht so einzuschätzen ist, dass er noch als Verpacker für mindestens sechs Stunden leichte Arbeit in überwiegend sitzender Position verrichten kann, ist er nach den jetzt gültigen Regeln in keiner Weise erwerbsgemindert.

Weiterhin muss im Normalfall vom Rentenversicherungsträger keine konkrete Verweisungstätigkeit mehr benannt werden. Es reicht aus, wenn dargestellt wird, unter welchen Voraussetzungen eine Beschäftigung möglich wäre, z. B. leichte Arbeiten in sitzender Position. Eine konkrete Verweisungstätigkeit muss nur benannt werden, wenn ungewöhnliche Einschränkungen bestehen.

Außerdem wird bei einer positiven Entscheidung im Normalfall nur eine Zeitrente gewährt, die bis zu drei Jahre befristet sein kann. Renten wegen verschlossenem Teilzeit-Arbeitsmarkt sind immer Zeitrenten.

Durchschnittliche Erwerbsminderungsrente in Höhe der Grundsicherung

Die Höhe Erwerbsminderungsrente hängt wie bei der Altersrente davon ab, welche Rentenansprüche im bisherigen Berufsleben durch die monatlichen Beitragszahlungen erworben wurden. 2017 betrug die volle durchschnittliche Erwerbsminderungsrente netto 716 Euro im Monat. Davon sind ca. 1,8 Millionen Menschen betroffen. Ein Teil der krankheitsbedingten Frührentner erhält jedoch nur eine halbe Erwerbsminderungsrente.

Circa 25 Prozent der Rentenneuzugänge sind derzeit Erwerbsminderungsrenten. Der durchschnittliche Zahlbetrag der rund 160.000 im Jahre 2019 zugegangenen Renten wegen Erwerbsminderung betrug im Westen 802 und im Osten 821 Euro. Diese Beträge liegen im Bereich der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung im Alter, so dass Altersarmut vorprogrammiert ist.

Bei Erwerbsminderungsrenten vor dem 63. Lebensjahr werden seit 2001 Abschläge bis 10,8 Prozent abgezogen, obwohl dadurch keine steuernde Wirkung zu erzielen ist, denn die Betroffenen können sich ja weder Ihre Erkrankung noch den Zeitpunkt aussuchen, an dem diese beginnt.

Negativ auf die Höhe des Zahlbetrags der Erwerbsminderungsrente hat sich darüber hinaus ebenso wie auf die Höhe der Altersrente die Absenkung des Rentenniveaus (2000: 53 Prozent des letzten durchschnittlichen Nettoverdienstes) auf mittlerweile 48 Prozent (2020) ausgewirkt. Bekanntlich ist geplant, das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent noch weiter abzusenken.

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