Merkel für "kurzen, einheitlichen Lockdown"

Archivbild (von 2019). Merkel und Söder bei einem Treffen in Brüssel. Foto: EPP/CC BY 2.0

Nach einem Jahr gibt es immer noch kaum Kenntnisse über Infektionsquellen – einer von mehreren Gründen, warum es erneut der "Holzhammer" richten soll

Über ihre Sprecherin Ulrike Demmer bestätigte Kanzlerin Merkel heute, dass weitere Einschränkungen zu erwarten sind: "Jede Forderung nach einem kurzen, einheitlichen Lockdown ist richtig."

Die Regierungschefin sei für ein "gemeinsames bundeseinheitliches Vorgehen". Die Vielfalt der beschlossenen Regeln trage im Moment nicht zur Sicherheit und zur Akzeptanz bei. Die "wachsende Zahl der belegten Intensivbetten" spreche eine klare Sprache.

"Wir brauchen eine stabile Inzidenz unter 100", lautet eine weitere Markierung, die die Vize-Regierungssprecherin weitergab. Als Entscheidungstermin für den Bund-Länder-Corona-Gipfel ist der kommende Montag geplant.

Zahlen: Grundlage für zielgerichtetes Vorgehen

Laut Angaben des RIK liegt die Sieben-Tage-Inzidenz heute bei 110,1. Allerdings sind die aktuellen Infektionszahlen nicht wirklich aussagekräftig, da es über die Ostertage zu einem Text- und Meldeverzug kam, so der Corona-Zahlen-Experte Olaf Gersemann. Er berichtet von 298 Todesfällen, die gestern gemeldet wurden, dem "höchsten Tageswert seit fast vier Wochen". Hauptgrund könnten hier schon Nachmeldungen nach Ostern sein, kommentierte er und schließt daran Überlegungen zum "Kontrollverlust" an.

Im Auge hat er dabei den Anspruch Merkels vom Mai 2020, wonach man jeden einzelnen Corona-Fall in Deutschland akribisch nachverfolgen müsse. Damit, so Gersemann, wäre man imstande, Infektionsketten zu unterbrechen, und man könnte herauszufinden, welche Orte, Infektionsumfelder (Settings) und Tätigkeiten am riskantesten sind. Das wäre eine Grundlage für zielgerichtetes Vorgehen.

Es sei aber augenblicklich offenbar nicht möglich, Genaueres über den Ursprung der Ansteckungen herauszufinden, weil Angaben laut RKI-Situationsbericht "in vielen Fällen fehlen", etwa zu Krankenhäusern, Heimen und Schulen

Auch Informationen zu Ansteckungen bei Auslandsreisen sind eher dürftig. So habe das RKI vor einem halben Jahr noch bei 69 Prozent der Fälle sagen können, in welchem Land sich die Zurückkommenden wahrscheinlich angesteckt haben, gestern sei dies nur mehr bei 54 Prozent möglich gewesen.

Die größte Wissenslücke macht der Welt-Zahlenexperte beim Infektionsumfeld, dem sogenannten Setting aus.1

Inzwischen ist der Anteil der neuen Fälle, die einem Ausbruch zugeordnet werden können, auf rund 8% gefallen. "Damit fehlen für eine Vielzahl der Fälle Informationen zur Infektionsquelle", schreibt das RKI dazu.

Olaf Gersemann

Dass es auch nach mehr als einem Jahr keine genauen Kenntnisse über die Infektionsquellen und immer noch keine klare Infektionskettennachverfolgung gibt, wird in einem FAZ-Artikel als Desaster beschrieben, "das auch durch Modellrechnungen nicht zu verbessern ist". Der Artikel stellt die politische Bewältigung der Corona-Pandemie als verfahren dar.

Die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung sowie der Ministerpräsidenten ist auf einem Tiefstand. Die Kakophonie der Bund-Länder-Treffen nährt die Politikverdrossenheit. Begonnen hat die Erosion des Vertrauens allerdings schon im Oktober, als die Kanzlerin Zweifel an den Beschlüssen der Ministerpräsidenten erkennen ließ, weil sie ihr nicht konsequent genug schienen.

Heike Schmoll, Faz

Wie sollte sich das mit dem nächsten Bund-Länder-Corona-Gipfel ändern?

Intensivmedizinische Behandlungen

Dass die Entwicklung bei den Intensivbetten nicht gut aussieht, wird wohl keiner der politischen Verantwortlichen bestreiten. Der Trend ist eindeutig:

"Die Zahl der Covid-19-Patienten in Deutschland, die intensivmedizinisch behandelt werden, steigt den 25. Tag in Folge - auf nun 4422. Der Zuwachs gegenüber der Vorwoche beträgt 20,8%." (Gersemann)

Aber es gibt regionale Unterschiede und nach wie vor unterschiedliche Ansätze in Bundesländern und Regionen.

Modellversuche am Bröckeln?

Boris Palmer, dessen Modellversuch in Tübingen mit ansteigender Sieben-Tage-Inzidenz stärkere Kritik erfährt (Die Fassade beginnt zu bröckeln), gibt sich gelassen. Seit Donnerstag habe man die Tagestickets auf Menschen beschränkt, die im Kreis Tübingen leben, zuvor seien zu viele Auswärtige dagewesen, seither habe man wieder alles unter Kontrolle.

Die Außengastronomie sei deswegen auch geschlossen worden. Der Einzelhandel bleibe offen. Er plädiert weiterhin für einen Weg, um kontrollierte Öffnungen beizubehalten. In einem Offenen Brief appelliert er und die Pandemiebeauftragte Lisa Federle an die Einwohner, die Corona-Regeln einzuhalten: "Mithelfen, damit Tübingen offen bleibt":

"Der Brücken-Lockdown, von dem jetzt die Rede ist, würde auch bedeuten, dass Einzelhandel und Kultur wieder schließen müssen und in Schulen und Kitas nur noch Notbetreuung angeboten wird. Wir wollen versuchen, das durch Testungen zu vermeiden."

Palmers Landeschef, Ministerpräsident Kretschmann, hatte sich zuletzt eindeutig nur für die konsequente Umsetzung der Notbremse in Hotspot-Gebieten geäußert. Generell stimmte er zwar Spahns Vorschlag, das gesellschaftliche Leben 10 bis 14 Tage richtig herunterzufahren, zu, aber ohne daraus eine verbindliche Aussage zu machen: "Aus pandemischer Sicht wäre das am besten".

Allerdings, so fügte er hinzu: Man müsse genau abwägen, ob es sinnvoll und machbar sei, alles zuzumachen.

Eindeutig sind die Aussagen des bayerischen Ministerpräsidenten, Markus Söder.

"Ich könnte mir einen kurzen konsequenten Lockdown gut vorstellen. Der macht aber nur dann Sinn, wenn alle mitmachen." Derzeit würden zu viele Länder nicht mitziehen. Er warnte vor einem "Öffnungsblindflug" und erklärte: "Je weniger konsequent wir sind, desto länger wird es dauern."

Tagesschau

Im Saarland startete gestern der Modellversuch mit Öffnungen der Außengastronomie, Kinos, Theater, Konzerthäuser, Fitnessstudios und Tennishallen. "Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen als nur zu schließen und zu beschränken", wird Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) zitiert: "Mit dem Saarland-Modell soll keine Corona-Infektion unentdeckt bleiben."