Der "erste echte Drohnenkrieg", Europas Anteil und deutsche Aufrüstung

"Heron 1 operators". Archivbild (2003): US-Luftwaffe/gemeinfrei

Die Lektion aus dem mörderischen Krieg in Bergkarabach: Es geht relativ schnell und ist auch verhältnismäßig günstig, Verbündete für einen Angriffskrieg mit Drohnen auszustatten

Seit Jahren diskutiert die deutsche Politik über die Anschaffung bewaffneter bzw. die Bewaffnung bestehender Drohnen. Als Argument für die Einführung bewaffneter Drohnen - die längst abseits der Kontroversen im Bundestag vorbereitet wird - wird immer wieder deren vermeintlich höhere Präzision und v.a. der "Schutz deutscher Soldat:innen" ins Feld geführt.

Kritiker:innen argumentieren hingegen, dass die Bewaffnung unbemannter Luftfahrzeuge der Einstieg in eine neue Form der Kriegführung sei, in der die menschliche Kontrolle auch über den Einsatz von Waffen zunehmend an "Maschinen" - genauer genommen: informationstechnische Systeme - abgegeben werde (US-Experten warnen vor deutscher Beteiligung an Eurodrohne).

Im Dezember 2020 hatte die SPD für viele überraschend angekündigt, der Bewaffnung der Drohnen vom Typ Heron TP doch nicht zuzustimmen. Die Heron TP sollen die bereits in Afghanistan und Mali im Einsatz befindlichen Drohnen der Bundeswehr vom Typ Heron 1 ablösen.

Grund für den Kurswechsel der SPD war sicher auch Druck von Seiten der Mitglieder und der Friedensbewegung, allerdings verwiesen Spitzenpolitiker:innen der Partei auch auf die Erfahrungen aus dem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst des vergangenen Jahres.

Obsolete Annahmen

"Eine Grundannahme [in der bisherigen Debatte] habe gelautet, dass Drohnen nur in asymmetrischen Konflikten eingesetzt werden könnten" so der Tagesspiegel über die Position der SPD, deren Vizefraktionschefin Gabriela Heinrich er mit den Worten zitiert:

"Diese Annahmen sind seit dem jüngsten Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach jedoch obsolet."

Dass diese Argumentation schlüssig ist, beweist u.a. ein "Arbeitspapier" der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks) zum Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan und dessen "Implikationen für Streitkräftestruktur und Fähigkeiten der Bundeswehr".

Bereits im ersten Satz wird darin von einem "kurze[n] und sehr verlustreiche[n] Krieg" gesprochen. Demnach hätten beide Konfliktparteien innerhalb von 44 Tagen "jeweils über 3.000 Gefallene zu beklagen" gehabt. Von den mindestens 146 zivilen Opfern und geschätzten 150.000 Menschen, die aus dem umkämpften Gebiet fliehen mussten, ist dabei noch gar keine Rede.

Erster Drohnenkrieg

Zitiert wird hingegen die Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die den Konflikt angesichts des massiven Einsatzes unbemannter Systeme als "'ersten echten Drohnenkrieg' der Geschichte" bezeichnet habe. Dass sie mit dieser Bewertung nicht alleine steht, dokumentiert u.a. eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages "[z]um Drohneneinsatz im Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020", in der internationale Einschätzungen zum Gefechtsverlauf und der Rolle von Drohnen hierbei wiedergegeben werden.

Hier wird u.a. Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) zitiert: "Mithilfe [seines] Drohnenarsenals konnte Aserbaidschan armenische Positionen aufklären; die Stellungen wurden dann mit Artillerie beschossen, während bewaffnete Drohnen nachgelagerte Reserven angriffen und Unterstützungswege abschnitten".

Auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks) zeigt sich beeindruckt von der so entwickelten Schlagkraft:

"Mit dieser Kombination verschiedener Drohnen gelang es Aserbaidschans Streitkräften, armenische Flugabwehrsysteme, Kommandostrukturen, gepanzerte Fahrzeuge, darunter insbesondere Kampfpanzer, und ungedeckte Artillerie gezielt zu zerstören. Gleichzeitig wurden die unbemannten Luftfahrzeuge eingesetzt, um Nachschubwege zu unterbrechen, Versorgungspunkte zu bombardieren, sowie armenische Gegenstöße, teils noch während sich die Truppen in den jeweiligen Verfügungsräumen hinter der Frontlinie sammelten, mit Präzisionsangriffen zu zerschlagen."

Etwas drastischer beschreibt letzteres Oberstleutnant Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie in einer wirklich lesenswerten Reportage der Zeitschrift Zenith:

"Am Ende ging man in Ermangelung von Zielen dazu über, einzelne Soldatengruppen [mit Drohnen] zu attackieren."

Hilflos am Boden

Im gleichen Beitrag wird auch die Ohnmacht der Betroffenen beschrieben, die z.B. von den Kamikaze-Drohnen vom Typ Harop angegriffen wurden:

"Die Soldaten ahnen, was auf sie zurast, können die kleine Drohne mit dem tödlichen Sprengsatz aber nicht ausfindig machen - und werfen sich am Ende hilflos auf den Boden".

Zenith zitiert auch einen Psychotherapeuten, der mit Überlebenden arbeitet:

"'In einem offenen Gefecht ist der Gegner erkennbar und in Menschen entsteht der Drang zu handeln. Wir nennen das interne Kontrollüberzeugung. Wer aber keinen Gegner sieht, dessen Kontrollüberzeugung externalisiert sich.' Die Soldaten glauben dann nicht mehr, Einfluss auf ihr Schicksal zu haben. Sie werden zu passiven Zuschauern ihres eigenen Lebens."

Rasche Aufrüstung

Es mag überraschen, dass es mit Aserbaidschan und Armenien nicht eben zwei Weltmächte waren, welche den ersten zwischenstaatlichen Krieg führten, der Möglichkeiten und Grenzen unbemannter Systeme unter Beweis stellte. Zahlreiche Analysen verweisen darauf, dass die eingesetzten Drohnen relativ kostengünstig und in recht kurzer Zeit angeschafft wurden.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages gibt auch einen Überblick über die verfügbaren und eingesetzten Mittel:

Insgesamt betrug das Verteidigungsetat Armeniens für 2020 etwa 0,6 Milliarden US-Dollar und hat sich seit 2015 kaum erhöht. Hinzu kamen in der Vergangenheit kostenlose oder vergünstigte Waffenlieferungen aus Russland in einer unbekannten Höhe. […] Aserbaidschan verfügt über bedeutende Rohölreserven und ist der 19. größte Ölexporteur der Welt. Etwa 10 Prozent der Ölförderung geht nach Israel und decken damit circa 40 Prozent des Ölbedarfs des Landes ab. Laut SIPRI hat Israel im Gegenzug Aserbaidschan zwischen 2006 und 2019 Waffen im Wert von 825 Millionen Dollar verkauft, darunter etliche Kampfdrohnen und "herumlungernde Munition", im allgemeinen Sprachgebrauch auch unter dem Begriff "Kamikaze-Drohnen" bekannt.

Presseberichten zufolge waren die Kaufverträge sogar noch höher: 2012 sollen die Aserbaidschaner Drohnen, Flugabwehr- und Raketensysteme für 1,6 Milliarden US-Dollar aus Israel gekauft haben. 2016 haben die Aserbaidschaner nach offiziellen Angaben für 4,5 Milliarden US-Dollar Militärausrüstung aus Israel gekauft.

Wissenschaftliche Dienste des Bundestages

Neben Israel war die Türkei wichtigster Lieferant von Drohnen nach Aserbaidschan. Hervorgehoben wird hierbei immer wieder die Rolle der bewaffneten Kampfdrohne Bayraktar TB2 aus türkischer Produktion. Dabei handelt es sich um eine Drohne, die grundsätzlich zur selben Klasse gehört wie die US-amerikanischen Predator- und israelischen Heron-Drohnen, aber einen deutlich günstigeren Stückpreis (die Angaben schwanken zwischen 3,5 und 5 Millionen US-Dollar) hat.

So ist es Aserbaidschan innerhalb von gut zehn Jahren gelungen, sich ein großes Arsenal von Drohnen anzuschaffen, dessen Einsatzfähigkeit und Schlagkraft es nun unter Beweis gestellt hat. Zwar sind die Summen, die das Land hierfür aufbrachte, durchaus beträchtlich - sie würden allerdings auch zahlreichen anderen Staaten zur Verfügung stehen.

Das sorgt nun für Nervosität auch in der Bundeswehr - und für die Rüstung öffnet sich ein Möglichkeitsfenster. So wurde bereits im Arbeitspapier der Baks hervorgehoben, "die militärische Niederlage Armeniens [hat] die fatalen Konsequenzen fehlender Fähigkeiten im Bereich der Drohnenabwehr [unterstrichen]. Zusätzlichen Mitteln für die Einführung von Abwehrsystemen sollte daher eine hohe Priorität eingeräumt werden".

Bereits kurz darauf erschien in der FAZ ein Beitrag unter dem alarmierenden Titel "Auf Augenhöhe mit Armenien?", der feststellt, "dass die Bundeswehr nahezu wehrlos gegen Drohnenangriffe" sei und anschließend verschiedene Optionen auflistet, die Abhilfe schaffen könnten. Die dafür veranschlagten Kosten werden auf zwei bis 13 Milliarden Euro beziffert, wobei die Präferenz klar auf der teureren, "ambitionierte[n] Eigenlösung" liegt. Hier müsse sich "trotz heraufziehenden Wahlkampfs" nun auch die SPD bewegen:

"Falls das nicht gelingt, sinkt der Kampfwert des deutschen Heeres alsbald in die Nähe von Armenien."

Wettrüsten eingeläutet

Dass die klare Niederlage Armeniens Überlegungen zu Luftverteidigung und Drohnenabwehr beflügelt, ist nachvollziehbar. Bemerkenswert ist allerdings, wie vehement diese mit einer verstärkten Forderung nach der Anschaffung eigener bewaffneter Drohnen verknüpft wird. So heißt es auch im bereits mehrfach zitierten Baks-Papier:

"Will die Bundeswehr eine einsatzfähige Streitkraft bleiben, die im Ernstfall auch gegen einen gut gerüsteten konventionellen Gegner bestehen kann, ist die Beschaffung von Aufklärungs- und Kampfdrohnen aus militärischer Perspektive [...] unabdingbar."

Unmittelbar vor der Entscheidung über die Finanzierung der Eurodrohne und den Beratungen über das Future Combat Air System (FCAS) im deutschen Bundestag erschien eine ganze Flut von Presseartikeln, welche auf ähnliche Weise die nachvollziehbare Forderung nach verbesserter Drohnenabwehr mit der Forderung nach der Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr verknüpft.

Stimmungsmache

Beispielhaft kann man diese perfide Argumentationskette in einem Beitrag von Matthias Koch für das Redaktionsnetzwerk Deutschland nachvollziehen: Aus der zunächst geradezu einfühlsam beginnende Darstellung der Schrecken des Drohnenkrieges um Bergkarabach wird gegen Ende Stimmung gemacht für die Einführung ebensolcher Waffen für die Bundeswehr ("Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer wird bis auf Weiteres, ihre bescheidenen Pläne verschieben müssen, unter vier vom Bund geleaste israelische Drohnen vom Typ Heron TP die eine oder andere Rakete schrauben zu lassen").

Als "zentrales Argument" wird auch hier der "Schutz deutscher Soldaten" genannt - in einem Artikel, der eigentlich damit begann, die Hilflosigkeit von Soldaten gegenüber ebensolchen Waffen darzustellen.

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Aserbaidschan zwar eindeutig überlegen war, aber ebenfalls mit etwa 3.000 eine große Zahl an Verlusten aufwies. Die Toten auf beiden Seiten wären zu vermeiden gewesen, wenn der Krieg gar nicht erst begonnen worden wäre. Ohne die rasche und verhältnismäßig günstige Aufrüstung mit Drohnen wäre er selbst aus rein militärischer Sicht für Aserbaidschan weniger aussichtsreich gewesen.

Damit besteht auch eine beträchtliche Gefahr in den strategischen Schlussfolgerungen, die in einem spannungsgeladenen internationalen System aus dem Krieg um Bergkarabach gezogen werden können: Es geht relativ schnell und ist auch verhältnismäßig günstig, Verbündete für einen Angriffskrieg mit Drohnen auszustatten.

Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass sowohl die Nato-Staaten als auch Russland und Iran in ihren zahlreichen Stellvertreter-Konflikten - oft an den Grenzen zu Russland - zunehmend diese Strategie verfolgen. Das Eskalationspotential steigt damit natürlich enorm.