Der Wind dreht sich

Nach einer Woche ist die Empörung über die Schauspieleraktion #allesdichtmachen verebbt, die öffentliche Debatte verändert sich. Ein Medienkommentar

Die neuesten Reaktionen auf die Schauspieleraktion #allesdichtmachen zeigen: Schneller Empörung folgen Verständnis und wachsende Zustimmung. Gerade immer mehr Filmschaffende solidarisieren sich mit den in sozialen Netzwerken oft überaus grob angegriffenen Schauspielern und verteidigen wenn nicht die Aktion selbst, so doch die Meinungsfreiheit und Integrität der Beteiligten, darunter Jan Josef Liefers, Meret Becker, Wotan Wilke Möhring, Heike Makatsch, Ulrich Tukur, Ulrike Folkerts und Hanns Zischler.

Besonders zwei Reaktionen der letzten Tage fallen auf: Zum einen war das ein Kommentar des überaus einflussreichen deutschen Produzenten Nico Hofmann in der Bild-Zeitung: "Absolut indiskutabel", so Hofmann, seien "Rundfunkräte, die jetzt Berufsverbote fordern oder Morddrohungen (...) eine Hass-Orgie (...) Die finde ich völlig daneben und ich lehne das auch ab." Diskursteilnehmer in dieser Art und Weise anzugreifen, "geht gar nicht. Und schon gar nicht im demokratischen Verbundsystem".

Die Künstler hätten auf den Notstand in ihrer Branche hinweisen wollen. "Das ist ein moralisch intakter Ansatz". Auch wenn Sprache, Form und Inhalt "in diesem Fall sehr ausnutzbar gewesen" seien, so Hofmann.

"Skandalös, furchtbar, schrecklich"

Noch bemerkenswerter ist der öffentliche Rückzieher von Ulrich Matthes, Schauspieler und Präsident der Deutschen Filmakademie. In dieser Funktion kann Matthers nie nur "als Privatperson" sprechen, vielmehr ist es seine Aufgabe, sowohl die Fans und Beteiligten von #allesdichtmachen als auch die vehementen Gegner dieser Aktion gleichermaßen zu repräsentieren. Vor allem aber den mit Abstand allergrößten Teil der Filmschaffenden, die irgendwo dazwischenstehen und vielleicht selbst mit sich um eine Position ringen.

Zu Beginn der Debatte hatte Matthes noch auf 3sat-Kulturzeit "wütend, enttäuscht, konsterniert" reagiert, und die Aktion mehrfach "komplett zynisch" und "geradezu ballaballa" genannt.

Vielleicht angeregt durch Kommentare wie den von Ulrike Folkerts – "man hätte uns auch in Schutz nehmen können, anstatt weiter drauf herumzuhacken" – ruderte Matthes ein paar Tage später zurück.

Im Deutschlandfunk fand er die Videoaktion selbst zwar immer noch "misslungen", sagte aber nun deutlich, dass aber selbst die misslungenste Aktion einen Teil der jetzigen Reaktionen nicht rechtfertigen kann. Forderungen nach Berufsverboten oder gar Todesdrohungen seien "skandalös" und "furchtbar", so Matthes. "Ich finde es schrecklich, wie meine Kolleginnen und Kollegen jetzt bedroht werden", sagt er weiter: "Die Rufe nach irgendwelchen Berufsverboten sind grotesk."

Man müsse zivilisiert miteinander reden, sich auch mal streiten, findet Matthes und plädiert dafür, aufeinander zuzugehen: "Ich kann wirklich nur geradezu flehentlich darum bitten, auf beiden Seiten abzurüsten, miteinander im Gespräch zu bleiben oder überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen."

Man könnte auch Kommentare von Journalisten nennen: Eine wichtige Stimme von ihnen ist die von Harald Martenstein im Tagesspiegel, Titel: "Wie Mäuler gestopft werden".

Dass viele Künstler mit vielem nicht einverstanden sind, war lange Standard, weltweit. Wer heute den Mut hat, sich gegen die Regierung und gegen den mit ihr verbündeten Teil der öffentlichen Meinung zu stellen, erlebt seit Jahren das Gleiche, täglich grüßt das Murmeltier. Solche Leute werden diffamiert, ...in diesem Fall mit Worten wie 'Schreihälse', 'Unrat', 'eklig' oder 'nicht mehr dicht', alle aus Medienkommentaren, nicht aus der Dreckschleuder Twitter. 'Kritik' klingt anders. Muss ich erwähnen, woher man diese Tonlage kennt?

Hier sollen Mäuler gestopft werden, es geht darum, einzuschüchtern. Eine Entscheidung, zu der es Alternativen gibt, wird als alternativlos dargestellt. Es wird so getan, als gehörten die Kritiker, die für viele sprechen, zu einer kleinen, radikalen Minderheit. Ihre Positionen werden, wenn überhaupt, nur verzerrt oder höhnisch dargestellt. ... Wo bin ich, welches Jahr, welches Land?

Harald Martenstein

"Wir säßen jetzt nicht hier"

Ebenfalls relativ viel Zuspruch bekam Jan Josef Liefers als einer der Beteiligten Schauspieler in der Sendung "Maybrit Illner". Er säße jetzt nicht hier, wenn er freundlich kritisiert hätte, so Liefers. "Und bei relativ undifferenzierten Maßnahmen dann eine sehr differenzierte Kritik zu fordern, das geht nicht zusammen. Es geht darum was unsere Kunstaktion anstößt."

FDP-POlitiker Wolfgang Kubicki kommentierte das mit den Worten: "Nicht jeder, der Ausgangssperren kritisiert, ist ein Querdenker".

Als der Hamburger OBberbürgermeister Peter Tschentscher dann argumentierte: "Was ist die Botschaft? Die Botschaft lässt die Pflegekräfte außer Acht" – da widersprach Liefers vehement:

"Wenn man das schon so sieht, wie sie sagen: Wäre es nicht cool zu sagen, für die Zeit der Pandemie verdoppeln wir einfach das Gehalt der Pflegekräfte? Das wäre doch eine schöne Sache."

Liefers machte eine gute Figur. Ruhig, zivilisiert im Ton, kompromisslos in der Sache betonte er: Was wäre denn die Alternative zu der Schauspieleraktion gewesen?

Ein Gedankenexperiment: #alleskaltmachen

Ein Gedankenexperiment: Wenn sich ein Haufen deutscher Schauspieler in den vergangenen Monaten öffentlich hingestellt und Kurzvideos zu einer Aktion namens #alleskaltmachen aufgenommen hätte, in denen eine Schauspielerin zum Beispiel unter Tränen schluchzt: "Ich habe Angst vor dem Klimawandel!"

Und eine Zweite ohne eingestreute Ironiesignale verkündet: "Wir müssen per Gesetz jetzt sofort alle Veganer werden!". Und einen Dritten, in dem ein Kölner Tatort-Kommisssar mit entschlossenem Gesichtsausdruck eine angebissene Currywurst in die Biotonne wirft und sagt: "Ich möchte den Veggie-Day jeden Tag! Die Regierung muss alle Schnellrestaurants und alle Autos und alle Kohlekraftwerke sofort verbieten." Und ein Vierter mit süffisanter Geste sagt: "Ich finde es toll, dass es jetzt in Hamburg auch so warm ist wie auf Malle!" – was wäre dann passiert?

Vermutlich hätte es breite öffentlich Zustimmung gegeben. Luisa Neubauer hätte die Videos geteilt und per Tweets unterstützt. Katrin Göring-Eckardt hätte sie geliked und hätte gesagt: "Es ist gut, dass sich Schauspieler in dieser wichtigen Frage engagieren."

Filmorganisationen hätten den Hashtag #gleichausschalten ins Leben gerufen, in dem man öffentlich überlegt, wie Filmproduktion ohne Emissionen möglich ist – zum Beispiel wieder per Kamerahandkurbel wie in den Zwanzigerjahren und durch die Rückkehr zum Stummfilm, weil dadurch stromsparend aufs Ton-Department verzichtet werden kann. Und durch die Zentralisierung der gesamten deutschen Filmproduktion in Berlin, was natürlich lästige Reisekosten spart. Filmstudios in anderen Teilen der Republik könnten rückgebaut und in Ateliers für Start-ups umgewandelt werden, die sich mit nachhaltiger Klimaneutralität beschäftigt.

Niemand hätte sich mit Kleinigkeiten aufgehalten, also der Frage, ob man statt von Klimawandel vielleicht nicht besser von "Erderwärmung" oder "Erderhitzung" sprechen sollte, denn ein Klimawandel war ja auch schon die Eiszeit. Und ob nicht politisch korrekterweise die Vokabel "menschengemacht" hinzugefügt werden müsste, um die Schuldfrage klarzustellen. Niemand hätte sich darüber aufgeregt, ob der Vergleich zwischen Hamburg und Mallorca vielleicht zynisch ist gegenüber den Menschen in der Sahelzone, für die Erderwärmung noch etwas anderes bedeutet als für deutsche Schauspieler.

Und niemand hätte über missverständliche Ironie philosophiert oder den Schauspielern vorgeworfen, dass sie Argumente für eine Öko-Diktatur zitieren, oder dass ihre Videos Bio-Terroristen ermutigen könnten.

Die wöchentliche Maybrit-Illner-Sendung hätte die Aktion allerdings links liegengelassen und wichtigeres verhandelt: "Neue Mutti braucht das Land: Was bringt eine Kanzlerin Annalena Baerbock?!" Oder: "Vom Team Lockerung zum Team Dauerstreit: Spaltet Laschet die CDU?"

Dummerweise haben sich die 52 deutschen Schauspieler in #allesdichtmachen aber zur Corona-Pandemie geäußert. In diesem Fall ist mal wieder alles ganz anders. Einmal mehr wird die Pandemie zum Lackmustest – diesmal für die Verfassung der deutschen Öffentlichkeit.

Ohne Reflexion und Nachdenklichkeit: Grundsätzliche Mechanismen der neueren Öffentlichkeit

Eine Diskussion für sich ist dabei die Frage, warum – in diesem Fall geschehen – alteingesessene Zeitungen und Radiosender, die den selbst gesetzten Anspruch haben, Qualitätsmedium zu sein, zunächst einmal nur aus Twitter-Tweets und Facebook-Postings zitieren und eine Debatte über die entsprechenden Schauspiel-Videos konstruiert haben, in der sie die Videos selber aber kaum – und wenn dann nur in Übernahme der Negativ-Wertungen ihre Kritiker – vorkommen lassen.

Eine Ursache, aber kein zureichender Grund liegt sicher im Wunsch, schnellstmöglich zu reagieren. Auf der Strecke bleiben hier aber Reflexion und Nachdenklichkeit. Auf der Strecke bleiben auch eigene Standpunkte. De facto fungieren ausgerechnet die ihrer Natur nach langsameren Qualitätsmedien in diesem Fall nur als Echokammern der sozialen Netzwerke.

Sie geben damit gerade ihr Alleinstellungsmerkmal auf. Alles das hat direkt mit #allesdichtmachen nichts zu tun; es geht hier um grundsätzliche Mechanismen (und Defekte?) der neueren Öffentlichkeit und um deren Wandel, der ohne Frage auch grundsätzlich und jenseits von der Pandemie-Berichterstattung zu analysieren ist.

Vielleicht werden jedenfalls Heike Makatsch, Meret Becker und andere noch bereuen, dass sie sich bereits wenige Stunden nach Veröffentlichung von #allesdichtmachen wieder vorschnell aus der Gruppe der Beteiligten zurückgezogen haben.

In jedem Fall waren sie sehr schlecht beraten, das zu tun – auch wenn man gut verstehen kann, dass man den entsprechenden Shitstorm erst einmal aushalten muss, die moralische Verächtlichmachung in den sozialen Netzwerken und die Tatsache, dass man dort sehr leicht in die Nähe von Neonazis und Verschwörungstheoretikern gerückt wird, obwohl man in der eigenen Wahrnehmung bloß vom Recht zur eigenen Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat, und wie die parlamentarische Opposition die Pandemie-Maßnahmen der Regierung kritisiert.