Besser nicht schuften, bis der Arzt kommt

Bild: Gerd Altmann/Pixabay

Bei 55 Wochenstunden wird’s brenzlig: UN-Studie zufolge sterben Hunderttausende weltweit an Überarbeitung

Zu hohe Arbeitsbelastung geht an die Gesundheit, die Schäden können tödlich sein, die Auswirkungen zeigen sich oft erst Jahre später. Besonders gefährdet sind derzeit noch Männer, was sich künftig ändern kann, wenn weltweit mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein werden; eine Rolle spielt auch, dass Hausarbeit nach wie vor in Statistiken wenig oder gar nicht berücksichtigt werden. Verhandlungen über Arbeitsbedingungen, Regelungen von moderaten Arbeitszeiten sind unbedingt nötig.

Das sind im Kern Ergebnisse und Folgerungen einer Studie, die heute in den Medien weltweit kursiert. Veröffentlicht wird sie von zwei großen globalen Institutionen, der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Überarbeitung sei mittlerweile "der führende Risikofaktor für Berufskrankheiten", heißt es dazu von der WHO.

Laut der Studie soll die Zahl der Todesfälle durch Herzerkrankungen im Zusammenhang mit langen Arbeitszeiten zwischen 2000 und 2016 um 42 Prozent zugenommen haben. Die Zahl der tödlichen Schlaganfälle sei in diesem Zeitraum um 19 Prozent gestiegen.

In absoluten Zahlen: 2016 sollen weltweit rund 398.000 Menschen an Schlaganfällen und etwa 347.000 an koronarer Herzerkrankung gestorben sein, "weil sie 55 Wochenstunden oder mehr gearbeitet hatten". Dazu gibt es die Aussage des WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, wonach kein Job dieses Risiko wert sei. Er fordert, dass "Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich gemeinsam auf Limits zum Schutz der arbeitenden Menschen einigen müssen."

Wer wird das beherzigen, wenn es ernst und konkret wird? Wenn die Perspektive sich auf einen konkreten Arbeitskonflikt in einem Unternehmen verengt und die Verhandlungen echte Konsequenzen haben? Redet man mit Angestellten aus unterschiedlichen Branchen oder auch mit Selbstständigen, die ihre Arbeitszeiten in Rechnung stellen, so zeigen sich des Öfteren Gemeinsamkeiten: Überstunden werden offiziell nicht angegeben, bzw. es werden weniger Stunden in Rechnung gestellt, als tatsächlich für die jeweilige Arbeit aufgewendet wurden.

Doch sind die Arbeitsverhältnisse in Deutschland oder in Europa, so unterschiedlich sie sind, nicht das Skandalon, das die WHO und die ILO mit ihrem dramatischen Studien-Ergebnis anprangern. Eher im Gegenteil: Europa habe wegen der weitgehenden Regelung der Arbeitszeiten vergleichsweise weniger Probleme mit der Überarbeitung als andere Weltzonen.

Als kritische Regionen werden Ostasien, Südostasien, der indische Subkontinent, Afrika und Südamerika genannt, wo die Zahl der arbeitsbedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders aufgefallen ist. In diesen Regionen gebe es viele Menschen ohne geregelte Arbeitsverträge und -zeiten.

Risiko steigt ab 55 Wochenarbeitsstunden

Als Maßgabe stellen die Studienverfasser heraus, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ab 55 Stunden Wochenarbeitszeit stark ansteige. Neun Prozent der Weltbevölkerung sind diesem Risiko mit einer wöchentlichen Arbeitszeit mit dieser Stundenzahl und darüber hinaus ausgesetzt.

"Wir gehen davon aus, dass es ungefähr zehn Jahre dauert, bis man die Folgen von langen Arbeitszeiten spürt", wird Frank Pega von der WHO zitiert.

Sein Statement könnte manche(n) aufhorchen lassen, die oder der im Homeoffice arbeitet. So sieht der Epidemiologe und Gesundheits-Ökonom bereits ein erhöhtes Risiko für Menschen, die länger als 35 bis 40 Stunden pro Woche arbeiteten und er problematisiert eine Entgrenzung durch die Berufstätigkeit im Homeoffice.

Die Grenzen zwischen dem, was Arbeitszeit und was Zeit mit der Familie und auch Entspannungszeit sei, würden verschwimmen. (Die Verheißung künftigen Arbeitsglücks).