Länger leben auf zwei Rädern

"Freie Fahrt für freie Bürger" hieß in Deutschland bisher in der Regel "nur für Autofahrer". Der ADFC will das ändern. Foto: Renate Granade auf Pixabay / Public Domain

Null Verkehrstote als Ziel: Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club will sich im Bundestagswahlkampf einmischen. In der Corona-Krise boomt der Radverkehr

Der Fahrrad-Boom wäre wohl hierzulande noch größer, wenn es schon ein lückenloses Radwegenetz gäbe, wie es der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e. V. (ADFC) in einem am Dienstag vorgelegten Aktionsplan fordert. Dafür, dass Radfahrende auf vielen Strecken noch mit einer bedrohlichen Blechlawine im Rücken auskommen müssen, ist dieses Fortbewegungsmittel aber schon erstaunlich beliebt.

Während die Automobilbranche mit Staatshilfen und Kaufprämien vor dem Bedeutungsverlust bewahrt wird, ist die Nachfrage nach Fahrrädern im Zuge der Corona-Krise in Deutschland und weltweit wie von selbst gestiegen - sei es durch die Infektionsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln oder durch den erzwungenen Verzicht auf Fitnessstudio und Kontaktsport. Wer sich in diesem Jahr noch ein Fahrrad anschaffen und vielleicht sogar noch im Sommer etwas davon haben will, muss sich beeilen, denn vielerorts werden die "Drahtesel" knapp.

Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) wurden im Jahr 2020 mit dem Verkauf von Fahrrädern und E-Bikes in Deutschland 60,9 Prozent mehr Umsatz erzielt als im Vorjahr. 6,44 Milliarden Euro. 5,04 Millionen Einheiten, davon 1,95 Millionen E-Bikes wurden demnach verkauft - und vermutlich auch etliche ältere Fahrräder aus dem Keller geholt und "renoviert", denn zusammen mit Verkäufen im Komponenten- und Zubehörbereich ergab sich über alle Vertriebswege sogar ein Umsatzvolumen von knapp zehn Milliarden Euro.

Fahrradfreundliche Großstädte

In Frankreich wurden für Fahrradreparaturen staatliche Zuschüsse in Höhe von 50 Euro gewährt. Die Bürgermeisterin der französischen Hauptstadt, Anne Hidalgo, beschleunigte zu Beginn der Pandemie die Umsetzung des Vorhabens, Paris zur Fahrradhauptstadt Europas zu machen. 50 Kilometer zusätzlicher Pop-up-Radwege, die dort zunächst geschaffen wurden, um zur Eindämmung des Infektionsgeschehens die Fahrgastzahlen in Bussen und Nahverkehrszügen zu senken, sind inzwischen dauerhaft für den Radverkehr umgewidmet worden. Trotz oder wegen ihrer Kampfansage an den Automobilverkehr und der Ankündigung, von mehr als 83.000 Parkplätzen im öffentlichen Straßenraum rund 60.000 ersatzlos zu streichen, wurde Hidalgo im Juni 2020 für sechs Jahre wiedergewählt.

Auch Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen zählt zu den "Top Ten" der fahrradfreundlichsten Städte Europas - und auf Grundlage dänischer Daten hat Professor Stefan Gössling von der schwedischen Universität Lund vorgerechnet, welche Vorteile das nicht "nur" für Umwelt und Klima hat. Auch positive Gesundheitseffekte und eine erhöhte Lebenserwartung durch regelmäßiges Fahrradfahren sind feststellbar - sofern nicht durch Autofahrer verursachte Risiken überhandnehmen.

"Neue Verfassung für die Straße"

Der ADFC fordert daher in seinem Aktionsplan "So geht #Fahrradland" auch eine "neue Verfassung für die Straße" - eine grundlegende Reform des Verkehrsrechts und der technischen Regelwerke zugunsten der "Vision Zero" - also eines "fehlerverzeihenden Verkehrssystems möglichst ohne Tote und Verletzte". Zur Verbesserung der Verkehrssicherheit soll demnach Tempo 30 innerorts zum Standard werden.

Die Schließung der Lücken im Radwegenetz soll in einem Bund-Länder-Vertrag festgeschrieben werden. Den von der Großen Koalition verabschiedeten Nationalen Radverkehrsplan 3.0 hält der ADFC für nicht ausreichend - denn Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung in ihrer heutigen Form blockierten die fahrradfreundliche Umgestaltung der Städte, so die Kritik.

Kommunen müssten die Möglichkeit bekommen, leichter Fahrradstraßen und geschützte Radfahrstreifen anzulegen und dafür Fahrstreifen und Parkplätze umzugestalten, ohne dies mit Verkehrszählungen und Unfalldaten begründen zu müssen, fordert der Fahrrad-Club. "Es kann nicht sein, dass Kommunen einen Rechtsstreit fürchten müssen, wenn sie Platz für den Radverkehr schaffen", erklärte am Dienstag ADFC-Vize Rebecca Peters.

"Wir klinken uns jetzt aktiv in den Bundestagswahlkampf mit ein", kündigte Peters am Abend in einer Podiumsdiskussion mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) an. Scheuer, für den Tempolimits ein Reizthema sind, erklärte aber mit Blick auf den Wahlkampf, er habe "ein reines Gewissen". Teilweise gab er sich einsichtig - und indirekt zu, dass er für den Radverkehr in dieser Legislaturperiode nicht das Maximum geleistet hat: "Wir müssen eine lückenlose Radwegeinfrastruktur in Deutschland aufstellen", räumte er ein. Ansonsten stimmte Scheuer dem Vorschlag der saarländischen Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD) zu, doch erst einmal damit anzufangen, "aufzuschreiben, wo wir uns einig sind".

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