"Wir müssen kapieren, was los ist"

Die Wupper, zwischen Bockmühle und Rauental in Wuppertal-Heckinghausen, Vormittag des 15. Juli. Foto: Alanya Seeburg/CC0

WDR-Moderatorin und Anwohnerin Bettina Böttinger über die Flut an Ahr und Erft - Talsperren-Management in NRW gerät in die Kritik

Die Bilder der Flut, mit denen wir seit Tagen konfrontiert werden, sind erschütternd, und denjenigen, die selbst vor Ort waren, fährt der Schrecken noch tiefer in die Knochen. Da stehen hilflose Menschen vor ihren Häusern oder dem, was davon übriggeblieben ist, irgendwelche Gerätschaften in der Hand; überall Trümmer und braune Lehmsauce.

Entlang der Sülz im Bergischen, woher der Autor aus eigener Anschauung berichten kann, ist noch Tage später die Landstraße gesperrt, Wohnungen, Geschäfte, Boutiquen ramponiert, die Räume sehen gespenstisch aus, die Wege mit Bergen von Matsch, Geröll, Hausrat, zerschlagenen Möbeln, Haufen von Stoffresten, Spielzeug, Plastikmüll und kaputten Elektrogeräten verstopft.

Das nahegelegene Gewerbegebiet, es gehört zu Rösrath, stellt sich als eine einzige Katastrophe dar. Keller, Büros und Gewerbehallen sind vollgelaufen; tagelang wird gegen die Wassermassen gepumpt, gesaugt, ein unvorstellbares Gemisch aus Wasser, Abfällen, dem Öl aus überfluteten Tanks leckt über jeden Quadratmeter, der Ölgeruch hängt kilometerweit über der Landstraße und dem Ort.

Das Café, an einem Knick in der Ortsmitte gelegen, mitsamt seiner gerade neu aufgemachten Außenterrasse, ist ebenso Opfer der Schlammwut geworden wie das Rathaus, ein schöner Fachwerkbau aus dem vorvorigen Jahrhundert: Das Amtsmobiliar steht auf der Straße, Bürocontainer, Aktenschänke, Schreibtische, Drehstühle - die Naturkraft verhöhnt die Regierungsgewalt. Die Schäden lassen sich überhaupt nicht annähernd beziffern.

Nun mag dies noch nach "halbwegs im Rahmen" klingen, Tote gab es hier nicht; nach Krieg und Luftangriff sah es vielleicht auch nicht gerade aus. Das ist auf der anderen Rheinseite, an Erft und Ahr, schon anders; man spricht beim Ausmaß hier von Verheerung, die an Krieg erinnert: Die apokalyptischen Bilder gleichen sich an.

Die WDR-Journalistin und Moderatorin Bettina Böttinger ("Kölner Treff") lebt in der Eifel; sie berichtet zuletzt, was sie gesehen und erlebt hat: aus Ahrweiler, Bad Münstereifel, Arloff an der Erft. Böttinger hat privat ihr zweites Standbein nahe der Steinbachtalsperre, ist mit Land und Leuten vertraut. Sie zeigt sich angesichts der Verwüstungen, die die Wassermassen hier angerichtet haben, entsetzt:

Wir leben in einer Hochindustrienation, aber es ist tatsächlich bislang unvorstellbar gewesen, dass tote Menschen aus den Bäumen geholt werden (...).

Bettina Böttinger

Ende der Romantik

Das "Bilderbuchstädtchen" Bad Münstereifel ist einer der am schlimmsten getroffenen Orte in Nordrhein-Westfalen (NRW).

Die zum reißenden Strom mutierte Erft hat Gassen, Brücken, Teile der historischen Stadtmauer und einen Friedhof verwüstet. Die historische Altstadt ist zerstört. Das "mittelalterliche Juwel" (Der Spiegel) wird wohl nie wieder so werden wie vor der Flut.

Bad Münstereifel wird nicht mehr so aussehen wie vorher.

Bettina Böttinger

In Altenahr, einer weiteren Touristenattraktion, werden noch viele vermisst. Böttinger sprach mit der Verbandsbürgermeisterin. Überall Ertrunkene, darunter Tote in Tiefgaragen, wo Autobesitzer in Panik versucht haben, ihren Wagen rauszuholen und dabei von den Wassermassen überwältigt wurden.

Eine der tödlichen Fallen, niemand war auf die konkreten Gefahren vorbereitet. Menschen sind in ihren Kellern ertrunken, wo das Wasser in völlig unterschätzter Wucht und Geschwindigkeit von außen gegen die Türen tobte - unmöglich, mit menschlicher Kraft daraus zu entkommen.

Wir wussten nicht, dass man auf keinen Fall in den Keller gehen darf. (...) Die Situation hat uns alle vollkommen überfordert und sehr viele Menschen getötet. (…) Der Respekt vor der Urgewalt Wasser ist uns verloren gegangen.

Bettina Böttinger

Schutt, Chaos, Verwesungsgeruch

"In Altenahr riecht es nach Tod", sagt Bundespolizist Andreas Ahaus, der selbst im Katastrophengebiet wohnt, vergangenen Mittwoch gegenüber n-tv. "Überall Schutt, Chaos und Verwesungsgestank." Bevor er ergänzt: "Ich finde es absurd, dass Armin Laschet und Malu Dreyer jetzt über Klimaschutz reden (...)."

Anwohner zeigen sich derweil im Gespräch frustriert, bezeichnen Hilfsmaßnahmen als schlecht und unkoordiniert.

Noch jetzt (Stand: Wochenende 24./25. Juli) sind Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. Feuerwehrleute suchen mit bloßen Händen in Trümmern nach Überlebenden. Die Frage wird aufgeworfen, ob das zu trauriger Berühmtheit gelangte Eifeldorf Schuld, das in einer Ahrschleife liegt (oder besser: lag), dort wieder aufgebaut werden sollte.

Aus heutiger Sicht eine längst überfällige Frage. Böttinger lakonisch im Interview: "Wir müssen kapieren, was los ist."

In NRW waren die Talsperren vor dem Starkregen zum Teil schon randvoll. Am Donnerstag (15. Juli) erschienen Warnungen, die Talsperren betreffend. Viel zu spät.

"Die Wupper-Talsperre und die Steinbach-Talsperren können kein Wasser mehr aufnehmen. Die Behörden warnen daher die Bevölkerung in Radevormwald, Hückeswagen, Wuppertal, Euskirchen, Swistal und Rheinbach - es besteht akute Lebensgefahr."

Eine hilflose Verlautbarung.