Die Taliban: Marginalisierte und hegemoniale Männlichkeit

Afghanen beim Gebet (2009). Bild: U.S. Army / Public Domain

Wie Frauen von den Taliban unterjocht und in den Islamschulen mit sozialer Destruktivität gleichgesetzt wurden. Ein Rückblick (Teil 3)

Der idealtypische Entwurf von Männlichkeit der Taliban ist ein Gegenentwurf zu den Mudschahedin und auch zu den Warlords der 1990er. Mit der Durchsetzung neuer Rollenideale erlangten die Taliban einen immensen Machtzuwachs und verfehlten gleichzeitig ihr erklärtes Ziel, die afghanische Kultur wiederzustellen.

Männer unter dem Joch der Taliban: Städter, Nicht-Paschtunen, Familienväter

Vielen Männern erging es unter den Taliban nicht besser als den Frauen. Die Straßenpatrouillen erzwangen nicht nur die Einhaltung ihrer Vorschriften von Frauen, sondern kontrollierten auch Kleidung und Bartlänge der Männer: Bärte sollten gemäß den Überlieferungen dem Erscheinungsbild des Propheten entsprechen und eine Handlänge aufweisen.

Auch war es Männern untersagt, sich westlich zu frisieren. An der Straße stand die Religionspolizei mit Scheren, um langes Haar abzuschneiden und "Ungläubige" zu verprügeln. Männer mussten Tuniken und weite Hosen bis über den Knöchel tragen. Auch ihre Körper wurden zu Arenen des Konflikts zwischen globalisierter Konsumkultur und der lokalen Gegenkultur der Taliban.1

Die Taliban erstellten eine Liste muslimischer Namen, nach denen Neugeborene ungeachtet der Konfession oder der lokalen Zugehörigkeit der Eltern benannt werden mussten.2 Nicht nur Frauen, auch Männern war jeder Kontakt zu Ausländern verboten, denn in ihrer Weltanschauung trugen alle Beziehungen mit Außenstehenden, insbesondere mit Nicht-Muslimen, den Makel des Zügellosen und Verbotenen.3

Angehörige anderer ethnischer und konfessioneller Gruppen wurden diskreditiert: Die Taliban befeuerten den Konflikt zwischen sunnitischen Paschtunen und schiitischen Hazara, indem sie alle Schiiten als Heuchler (munafaqeen) bezeichneten.4

In Kabuler Ministerien wurden alle dienstälteren Tadjiken, Usbeken und Hazara ungeachtet ihrer Qualifikation durch Paschtunen ersetzt. Das Ergebnis dieses Kompetenzverlustes war, dass die Behörden kaum mehr funktionierten.

In der Flüchtlingswelle, die Ende der 1990er-Jahre Afghanistan verließ, waren hauptsächlich Nicht-Paschtunen, nicht-muslimische Minderheiten, (liberalere) Städter und Schiiten vertreten – ähnlich wie heute.

Doch die Taliban bevorzugten auch nicht alle Paschtunen gleichermaßen. Angehörige des Ghilzai-Stammes, die nicht aus der Gegend um Kandahar stammten, wo Durrani-Paschtunen lebten, äußerten Verbitterung darüber, dass sie aus Entscheidungsprozessen ausgeschlossen wurden. Sie erhielten zwar Posten als Gouverneure, wurden aber so häufig versetzt, dass sie keinen Einfluss hatten. Tatsächlich repräsentierten die Taliban diesbezüglich nur eine Minderheit aller Afghanen.5

Anhänger des von den Mudschaheddin besiegten kommunistischen Regimes konnten entweder zu den Taliban übertreten oder fliehen. Ihre Haltung gegenüber Apostaten machten die Taliban durch den Mord am früheren Präsidenten Mohamed Nadschibullah und dessen Bruder klar.

Sie wurden 1996 entführt, kastriert – Kastration taucht im Strafkatalog der Scharia nicht auf; die Entmannung mag als performativer Ausdruck für sich sprechen –, an einen Jeep gebunden mehrmals um den Palast geschleift, anschließend erschossen und dann an einem Zementpfosten zur Verkehrskontrolle aufgeknüpft, wo sie für drei Tage hingen. Zwischen den Fingern der Leichen steckten Zigaretten und ihre Taschen waren vollgestopft mit Geldscheinen - deutliche Hinweise der Taliban auf Ausschweifung und Korruption.6

Auch Intellektuelle wurden als Produkte der westlichen oder sowjetischen Bildungssysteme verachtet. Viele Taliban aus südafghanischen Dörfern stammten, nahmen die städtische Bevölkerung als gottlos, lasterhaft und sittlich verkommen wahr.7 In den paschtunischen Stammesgebieten übten die Taliban ihre Kontrolle über die Menschen nicht so umfassend aus wie in den urbanen Zentren, wo sie rigoros gegen die Bevölkerung vorgingen.

Die Taliban erachteten auch die früheren Mudschahedin-Führer als korrupt und schädlich für die Gesellschaft. Ihren früheren Mentoren, den Religionsgelehrten (Ulama), überließen die Taliban keine politische Verantwortung.

Auch erfahrene Feldkommandanten, die sich ihnen ergeben hatten, wurden innerhalb der Militärhierarchie der Taliban nicht befördert. Die Abhängigkeit der Zivilbevölkerung von Warlords – viele schlossen sich nach dem Staatskollaps notgedrungen den Gefolgschaften von Warlords an –, wurde von den Taliban als rückgratlose Unterordnung in ein Leben in Sklaverei verachtet.8 Ihre Konzeption der Figur des bescheidenen Gläubigen stand im krassen Gegensatz zum charismatischen Heldentum der plündernden Warlords.

Männliche Homosexualität, die zuvor toleriert bzw. nicht bestraft wurde, sahen die Taliban als Verbrechen an. Der "Sodomie" angeklagte Männer mussten mit zuvor unbekannten "islamischen" Strafen rechnen:

Unsere religiösen Gelehrten sind sich in der Art der Bestrafung für Homosexualität nicht ganz einig [...] Einige sagen, wir sollen diese Sünder auf ein hohes Dach stellen und hinunterstoßen, während andere meinen, wir sollen ein Loch neben einer Mauer graben, sie hineinstoßen und sie dann von einer Mauer begraben lassen

Mullah Mohammed Hassan; In: Rashid 2001: 201

Angesichts der katastrophalen Situation der Landbevölkerung, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und unzureichend Nahrung hatte, ist es bemerkenswert, mit welchen Debatten und Feinheiten sich die Taliban beschäftigten.

Eine gewaltige Verschiebung der Geschlechterrelationen gab es auch dahingehend, dass die Taliban die Autorität der Männer einer Familie über ihre Frauen, die zwar bereits zuvor durch die Patron-Klient-Beziehungen zu Warlords geschwächt war, offen missachteten, indem sie das Verhalten fremder Frauen körperlich sanktionierten.

Ältere Afghanen befremdete das Schauspiel, dass junge Männer ältere Frauen, die nicht zu ihrer Familie gehören, wegen unangemessener Kleidung verprügeln; die traditionelle paschtunische Gesellschaft betrachtete die Ehre der Frauen als Familien- und Clanangelegenheit.

Während ein paschtunischer Mann ein in der Öffentlichkeit unverschleiertes weibliches Familienmitglied mit ziemlicher Sicherheit schelten würde, war es noch weitaus inakzeptabler, wenn ein Mann, der nicht zur Familie gehört, eine Frau berühren würde, und sei es nur, um sie zu bestrafen.9

Die Taliban erteilten mit ihrem Verhalten dem tradierten paschtunischen Ehrenkodex paschtunwali eine deutliche Absage. Damit wurden auch ältere Männer, die zuvor den Respekt der Jüngeren genossen und vor dem Krieg als Haushaltsvorstände (mashar) die Identität der Großfamilie definierten, entehrt.10

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