Sars-CoV-2: (K)ein Ding aus einer anderen Welt

Herkunft des Virus weiter strittig. Gefahrenpotenzial der Laborforschung ist längst nicht ausdiskutiert. Für schlüssige Erklärung fehlt der Zwischenwirt. Ein Lagebericht

Im Sommer des Coronajahres 2020 erhob der ehemalige Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, Sir Richard Dearlove in einem brisanten Interview gegenüber der Tageszeitung Telegraph schwere Vorwürfe in Richtung China: Das Coronavirus Sars-CoV-2 stamme nicht vom Wildtiermarkt in Wuhan.

Unter Bezug auf eine, so hieß es, geheim gehaltene britisch-norwegische Studie zum Coronavirus gehe er "zweifelsfrei" davon aus, dass das Virus von Menschenhand manipuliert wurde, also letztlich doch aus einem chinesischen Labor stammen müsse. Dearlove leitete den britischen Geheimdienst von 1999 bis 2004.

Coronavirus: "Bemerkenswert gut angepasst"

Zum Hintergrund: Professor Angus Dalgleish vom St. George's Hospital/Universität London und sein Kollege, der norwegische Virologe Birger Sorensen, hatten in einem Papier die Behauptung aufgestellt, "eingefügte Abschnitte auf der Oberfläche der Sars-CoV-2-Zacken" identifiziert zu haben.

Diese könnten, so die Autoren, eine Erklärung dafür liefern, wie das Virus sich an menschliche Zellen bindet.

Das ursprüngliche Papier dieser Forschungsgruppe war im April 2020 von führenden akademischen Zeitschriften wie Nature und dem Journal of Virology abgelehnt worden. Beobachter betonten die politische Bedeutung der Thesen, bei denen China schlecht wegkommt. Eine zeitnah aufgefrischte Studie der Autoren spricht etwas zurückhaltender davon, dass es sich bei dem neuartigen Coronavirus um ein "bemerkenswert gut an die menschliche Koexistenz angepasstes Virus" handele.

Der Umstrittene: Luc Antoine Montagnier

Dass es sich um ein künstlich hergestelltes Virus handelt, hatte auch Luc Antoine Montagnier behauptet

Der französische Virologe und Nobelpreisträger von 2008, der gemeinsam mit Françoise Barré-Sinoussi als Entdecker des Aids-erregenden HI-Virus gilt, bleibt allen Anfeindungen zum Trotz strikt bei seiner Ansicht, Covid-19 sei im Labor zusammen mit HIV-Anteilen gezüchtet worden.

In einem Gespräch, das der französische Kanal Cnews ausstrahlte, beruft er sich demonstrativ auf seine wissenschaftliche Unabhängigkeit.

Eine von Montagniers Hypothesen ist, dass die Forscher in Wuhan möglicherweise einen Aids-Impfstoff herstellen wollten. SARS-CoV-2 sei eben mit Sequenzen aus dem HIV angereichert.

Im Talk auf Cnews äußert der 89-jährige Grandseigneur:

Ich weiß nicht, wer das gemacht hat, oder warum.

Luc Antoine Montagnier, Cnews, 18.04.2020

Er ergänzt aber: Eine Gruppe von indischen Forschern habe diesen Ansatz auch publiziert. Deren Arbeit wurde bekanntermaßen zurückgezogen, aus welchen Gründen auch immer.

Etwa doch ein "zusammengeschraubtes Monster"?

Der Journalist Mathias Bröckers, der sich kritisch mit der Thematik befasste, schrieb im April 2020 in einem Beitrag für Telepolis mit Blick auf die Rolle Montagniers:

Für Montagniers Vermutung, dass in den "Wuhan Labs" an einem Impfstoff für Aids geforscht worden sei, gibt es bisher keinen Beleg - interessant in diesem Zusammenhang ist allerdings, was Ärzten und Forschern bei der Behandlung von Covid-19-Patienten aufgefallen ist: Dass SARS-CoV-2 ähnlich wie HIV die T-Zellen des Immunsystems angreift.

Mathias Bröckers

Ein Artikel aus Nature Medicine vom 9. November 2015, den Bröckers erwähnt, belegt, dass an den Viren aus südchinesischen Höhlen tatsächlich gentechnisch herumgeschraubt wurde, was nach Erscheinen prompt eine hitzige Debatte auslöste.

Wenige Tage nach Erscheinen des Artikels legt Nature nach (zitiert nach M. Bröckers, a.a.O.):

Die Forscher schufen ein chimäres Virus, das sich aus einem Oberflächenprotein von SHC014 und dem Rückgrat eines SARS-Virus zusammensetzt, das an das Wachstum in Mäusen und an die Nachahmung menschlicher Krankheiten angepasst war. Die Chimäre infizierte menschliche Atemwegszellen - ein Beweis dafür, dass das Oberflächenprotein von SHC014 die notwendige Struktur hat, um an einen Schlüsselrezeptor auf den Zellen zu binden und sie zu infizieren.

Nature Medicine, 12. November 2015

Also doch - ein zusammengeschraubtes Monster?

Bröckers schlussfolgert: "Sicher ist bis dato nur, dass in Wuhan an Exemplaren neu entdeckter Fledermaus-Coronaviren gentechnisch herumgebastelt wurde und sie dabei auch mit dem HI-Virus-Erbgut in Kontakt kamen.

Ob'nur' im Rahmen der Grundlagenforschung, ob auf der Suche nach einem Impfstoff für Aids oder für künftige Pandemien oder bei der Forschung nach einer offensiven Biowaffe, wie der Biowaffenexperte Prof. Francis Boyle meint, ist derzeit unklar".

Die Debatte um künstliche Pandemieviren dürfte abermals in eine neue Runde gehen - oder jedenfalls zumindest nicht aus der Welt sein.