Viren aus dem Putenstall

Massentierhaltung von Puten in den USA. Bild: US-Department of Agriculture/Scott Bauer/gemeinfrei

Wo sich Geflügel und Schweine mit Viren infizieren, ist nicht auszuschließen, dass sie auch Menschen anstecken

Mitte Oktober wurden im Kreis Nordfriesland bei einer Pfeifente der Erreger H5N1 festgestellt. Weitere tote Vögel wurden gefunden, denen Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) Proben zwecks Laboruntersuchungen entnahmen. In zehn kleineren und größeren Hausgeflügelhaltungen kam es zu weiteren Ausbrüchen.

Seit den ersten Ausbrüchen Ende Oktober 2020 bis Mitte Juni 2021 wurde das Virus bei rund 700 Wildvögeln bestätigt. In dem genannten Zeitraum hat in Deutschland wie in ganz Europa die bisher schwerste Geflügelpest überhaupt gewütet - mit Schwerpunkt im Vogeldurchzugsgebiet Schleswig-Holstein.

Im Sommer war bereits bei drei Seehunden der Subtyp H5N8 festgestellt worden. Gleichzeitig wurde vor allem in den skandinavischen Ländern HPAIV H5 bei brütenden Wasser- und Greifvögeln nachgewiesen.

Laut Ursula Gerdes waren hierzulande im letzten Winter weit mehr als zwei Millionen Tiere in Folge der Geflügelpest getötet worden. Zunächst habe man ungewöhnlich viele infizierte Wildvögel an den Küsten gefunden, erklärt die Mitarbeiterin der Tierseuchenkasse Niedersachsen. Später sei auch Hausgeflügel erkrankt. Stets waren diejenigen Regionen mit hoher Putenbestandessdichte besonders stark betroffen.

Wie zum Beispiel die niedersächsischen Gemeinden Bösel und Garrel, wo mehr als 6000 Puten auf einen Quadratkilometer kommen. Das Virus gelangt über Menschen, landwirtschaftliche Geräte, Einstreu oder einfach über den Wind in die Ställe, erklärt Timm Harder, Leiter des Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza beim FLI. Häufig sind Putenställe an den Seiten hin offen, was den Eintrag der Viren erleichtert.

Beim Kauf von Tieren sei Vorsicht geboten, mahnt das Landwirtschaftsministerium. Es empfiehlt eine Reduzierung der Stalldichte in stark betroffenen Gebieten. Zudem sollten die Ställe möglichst als geschlossene Hähnchenställe genutzt werden. Dem wiederum stehen allerdings baurechtliche Anforderungen entgegen.

Wie lassen sich gefährliche Erreger rechtzeitig entdecken?

Zwar gab es im letzten Winter habe es Fälle, bei denen sich auch Menschen infizierten. Gestorben ist aber niemand - anders bei Subtypen der Vogelgrippe, die in Asien und Nordafrika auftreten. Diese können Menschen tödlich infizieren. Laut Gesundheitsministerium müssen Ärzte einen Verdacht einer Infektion mit zoonotischer Influenza melden. Tierhalter hingegen sind nicht verpflichtet, sich bei Grippesymptomen ärztlich untersuchen zu lassen.

Was, wenn ein Schweinehalter mit Grippesymptomen nicht zum Arzt geht? Könnte sich ein neuartiges Virus auf diese Weise ausbreiten?

Einer Meldung des Robert Koch-Institut (RKI) zufolge hat sich ein Siebzehnjähriger im Frühjahr mit A(H1N1)v infiziert, nach dem er in Kontakt mit Schweinen gekommen war. Offenbar war die Krankheit mild verlaufen, andere Menschen seien in diesem Fall nicht betroffen gewesen. Damit eine Pandemie entstehen könne, brauche es genau einen solchen initialen Sprung, glaubt Timm Harder. Der Veterinärmediziner ist davon überzeugt, dass es weitere Pandemien geben wird, auch wenn unklar sei, durch welche Erreger sie verursacht werden und wann oder wo diese auftreten.

Viele der in Frage kommenden Viren lagern übrigens bei minus 80 Grad in einer Tiefkühltruhe im Labortrakt des Friedrich-Loeffler-Instituts. Grundsätzlich hält das RKI Aviäre Influenzaviren für den Menschen für gefährlicher als die Schweinegrippe. Um Doppelinfektionen mit zirkulierenden Grippeviren zu vermeiden, empfiehlt das RKI eine Grippeimpfung all jenen Menschen, die Kontakt zu Geflügel haben.

Auch die Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler-Instituts stufen die Gefahr für hochpathogene aviäre Influenzaviren (HPAIV) in diesem Herbst für Europa als "hoch"ein. Sie raten Geflügelhaltern, die Biosicherheitsmaßnahmen in ihren Betrieben zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.

Viren kennen keine Grenzen

Influenza-Viren zirkulieren schon lange unter Zugvögeln. Sie haben sich im Laufe der Jahrhunderte dem modernen Lebensstil der Menschen immer besser angepasst. In asiatischen Massengeflügelhaltungen konnten sich die Vogelgrippe-Viren vermehren und von hier aus die Welt erobern, wobei eine Art evolutionäre Rückkopplung entstand.

Ende 2006 identifizierten Forscher um den chinesischen Virologen Yi Guan von der University of Hongkong einen unbekannten H5N1-Stamm, den sie nach der mutmaßlichen Herkunftsprovinz Fujian benannten. Gleichzeitig nahmen Wissenschaftler in Südchina wiederholt Proben von Geflügel, das auf lokalen Märkten verkauft wurde.

Die Entstehung des Stammes werteten die Wissenschaftler als "evolutionäre Reaktion" auf die behördlichen Impfkampagnen in den Geflügelställen. Ähnlich wie andere Influenza-Typen scheint sich das Virus trotz flächendeckender Impfungen entwickelt zu haben.

Die damaligen Forschungsergebnisse wies die chinesischen Regierung empört zurück mit dem Hinweis, es sei nicht nach wissenschaftlichen Methoden vorgegangen worden. Als Vertreter der WHO der Regierung vorwarfen, entweder den neuen Stamm nicht zu kennen oder diesen vor der internationalen Gemeinschaft zu verschweigen, ließ sich der neue Virenstamm nicht länger verleugnen.

Auch wenn Virenstämme geografisch zugeordnet werden können, werde das Problem nicht gelöst, wenn einzelnen Ländern die Schuld zugeschoben wird, erklärt Rob Wallace in seinem Buch "Was Covid 19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur zu tun hat." (vgl. dazu Vogelgrippe - wie ein Virus die Welt erobert). Zwar gingen von China aus etliche Viren um die Welt. Aber auch die USA und Europa brachten Influenza-Stämme hervor, zuletzt H5N2 und H5Nx.