Atomland Bangladesch - es wird ernst

Dhaka - Solange die Wachstumszahlen stimmen, können Kleinigkeiten übersprungen werden, ab ins Atomzeitalter; Foto: Gilbert Kolonko

Letzte Woche ist der erste Reaktor-Druckbehälter in das Atomkraftwerk in Ruppur eingebaut worden. 2023 soll Bangladeschs erstes Kernkraftwerk seinen Betrieb aufnehmen. Ein Blick in die Details lässt auch ohne Supergau Schlimmes erwarten

"Der Hauptgrund für die Wahl Ruppurs ist die Lage am Fluss Padma, der das Kühlwasser für das geplante Kraftwerk liefern soll", ist auf der Webseite von Thyssenkrupp zu lesen, die beim Bau des Fundaments des Kraftwerks beteiligt waren. Dabei ist seit langem bekannt, dass das Wasser des Padma so sandig ist, dass es als Kühlwasser für zwei russische Reaktoren des Typs WWER-1200 nur bedingt geeignet ist.

Dazu nimmt die Wassermenge des Padmas im Frühjahr bis um das 7-fache ab, was es dann unmöglich machen wird, das Flusswasser zur Kühlung zu verwenden.

So werden die mehr als eine Million Liter, die pro Minute innerhalb des Kühlungssystem zirkulieren, aus dem Grundwasser entnommen werden müssen.

KM Mahbubur Rahman, der die Menge des Kühlwassers berechnet hat, weist in einem Artikel in The Daily Star noch auf andere Schwierigkeiten hin.

Das Flusswasser muss aufwendig von Salzen und Sand gefiltert werden. Dazu braucht es Chemikalien gegen Kalk und zum Korrosionsschutz. Dann müssen Biozide ins Wasser gemischt werden, um das Wachsen von Algen und Bakterien in den Kühltürmen zu vermeiden. In denen entstehen dazu Legionellen, die durch winzige Wassertropfen nach außen gelangen und Lungenentzündung und akute Atemwegserkrankungen verursachen können - 3,5 Millionen Menschen leben im Radius von 30 Kilometern um das Kraftwerk.

Laut den Sicherheitsstandards der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) müssen diese 3,5 Millionen Menschen im Falle eines Reaktorunglücks innerhalb einer Stunde evakuiert werden können - schon an einem normalen Wochentag herrscht in jeder Ortschaft im Umkreis Mega-Stau.

Baustelle des Atomkraftwerks in Ruppur; Foto: Gilbert Kolonko

Da wären noch die feuchten Temperaturen bis 40 Grad Celsius in Ruppur, die größere Kühlwassertürme erfordern, damit die Feuchtkugel-Temperatur nicht zu stark ansteigt - jedes Grad mehr, würde die Leistung des Kraftwerks um ein Prozent verringern. Auch die Reaktoren in Ruppur können nur ein Drittel der erzeugten Hitze in Strom umwandeln, der Rest der Hitze wird in die Umgebung entlassen.

So kann sich das Atomkraftwerk Ruppur noch als "Fass ohne Boden erweisen": Die veranschlagten Kosten sind schon vor der feierlichen "Grundsteinlegung" am 30. November 2017, von ursprünglich geschätzten vier Milliarden US-Dollar auf knapp 12,65 Milliarden US-Dollar gestiegen. Sie werden zu 90 Prozenten durch Kredite der russischen Regierung finanziert. Eine Kostenobergrenze wurde nicht vereinbart.

Atomkraftwerk steht auf Schwemmland

"Da es sich bei dem Flussland um eine Schwemmebene handelt, musste ein Unternehmen gefunden werden, dass umfassende Erfahrung darin hat, im Sand zu bohren und die entsprechenden Vibratoren zur Verfügung stellen konnte", heißt es dann weiter im Text auf der Webseite von Thyssenkrupp. Dank deutscher Ingenieur-Technik war das Unternehmen natürlich dazu in der Lage. Aber was bedeutet eigentlich Schwemmland?

Eine Ebene, die vom benachbarten Fluss (dem Padma) ein bis zwei Mal im Jahr überschwemmt wird. Natürlich auch wieder im letzten Jahr, als schwere Fluten die Baustelle des Kraftwerks bedrohten.

Auch in diesem Fall geht es nicht explizit um das Gespenst einer Kernschmelze, sondern einfach um die Sorge, dass der Betrieb unter Beachtung aller Umweltvorschriften aufrechterhalten wird. 1993 kam es in Indien am Ganges zu einem Kabelbrand im Atomkraftwerk Narora.

Da so etwas nicht sein kann, ließen die Verantwortlichen Vermutungen über Sabotage oder einem versuchten Terroranschlag los. Erst als sich die öffentliche Aufregung gelegt hatte, wurde zugegeben, dass es ein Unfall war. In Indiens Atomkraftwerken kam es bis jetzt zu sechs schwere Unfälle bei denen auch Radioaktivität austrat - Indien ist am Bau des Kraftwerks in Ruppur beteiligt.

Abwasser einer Textilfabrik in Dhaka die auch für C&A prodzuziert. Das eigene Flussdelta wird noch dreckiger, also gehts jetzt ins Atomzeitalter. Foto: Gilbert Kolonko

Problematisch sieht es auch mit dem Austausch der Brennstäbe aus. Das soll per Schiffe über die Flüsse Padma und Meghan bis zum Hafen in Chittagong passieren. Dabei hat der Padma fast das ganze Jahr über Hochwasser oder Niedrigwasser, unter anderem deshalb, weil Indien seinem östlichen Nachbarn mit der Farakka-Staustufe das Wasser vorenthält und die Schleusen öffnet, wenn Bangladesch im Monsun schon mehr Wasser hat, als es bewältigen kann.

Auch die alternative Transportroute hat ihre Tücken, wenn die die Brennstäbe 300 Kilometer über teils enge Deich-Straßen transportiert werden müssen, die von überschwemmten Feldern gesäumt sind. Die ersten "Brennstäbe wird Russland 10 Jahre nach Inbetriebnahme der Reaktoren in Ruppur zurücknehmen, die Verbrannten werden erst noch etwa drei Jahre in Bangladesch zwischenlagern", wie Verantwortliche des Rooppur Project Management 2018 in Dhaka mitteilten. Ansonsten sind alle Vereinbarungen des Austauschs über die Brennstäbe für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, dasselbe gilt für die Kosten.

Eine weitere Gefahr wird einem erst bewusst, wenn man direkt vor der Baustelle des Atomkraftwerks steht: Zehn Meter neben dem Gelände verläuft der Highway N-704. Dreihundert Meter entfernt eine erhöhte Eisenbahnlinie, von der man auf das gesamte Areal schauen kann, oder gezielt mit einer Panzerfaust reinschiessen.

Auch das mehrheitlich muslimische Bangladesch hat ein starkes Problem mit Islamisten; ganz aktuell nehmen Angriffe auf die Minderheit der Hindus im Land wieder zu.Ein Hauptgrund ist der gleiche wie in Sri Lanka, Deutschland und anderswo: Saudi-Arabien. In Bangladesch kommen viele Arbeiter nach mehreren Jahren der Arbeit in Saudi-Arabien nicht nur mit dem verdienten Lohn nach Hause, sondern auch mit der extrem intoleranten Islamauslegung der Saudis, dem Wahhabismus.

Normaler Verkehr in Pabna und dann sollen im Ernstfall 3,5 Millionen Menschen in einer Stunde evakuiert werden. Foto: Gilbert Kolonko

Dass die Autokratin und Premierministerin Hasina den Kampf gegen die Islamisten dazu benutzt, die politische Opposition, Aktivisten und andere Kritiker ihrer Regierung zu verfolgen ist so selbstverständlich wie anderswo. Zudem hat Hasina das wichtigste Argument dieser Zeit auf ihrer Seite: Das Wirtschaftswachstum (um jeden Preis) ist stabil und das Land ein verlässlicher Partner für die westlichen Einkäufer.

Demokratieabbau bis zur Autokratie, verhaftete Gewerkschaftler, erschossene Demonstranten und schwere Umweltschäden sind so gesehen kein Grund zur Aufregung. Welche Möglichkeiten hätte denn Bangladesch ansonsten: Die intelligente Nutzung des größten Flussdeltas der Erde im eigenen Land? Nicht so lange Indiens verdreckte Flüsse ins Delta fließen - der schwer verseuchte Ganges fließt zum Beispiel in den Padma.

Nun ist die Autokratin Hasina Wajed jedoch schon 74 Jahre alt. Seit 1981 bestimmt sie das Wohl und Weh der Regierungspart Awami Liga und seit 2009 ist sie Premierministerin. Niemand gewinnt in Bangladesch Wahlen ohne eine Armee an Parteischlägern - über 100 Tote gab es um jede Parlamentswahl seit 2014. Doch bekämpfen sich diese Parteischläger auch untereinander.

Wer soll die eigenen Partei-Tiger unter Kontrolle halten, wenn Hasina mal nicht mehr da ist? Und wer das ganze Land, das dann ein Atomland sein wird? Die politische Opposition wurde so brutal unterdrückt, ist aber noch am Leben, das Chaos befürchtet werden muss, wenn die Opposition ein Comeback feiern sollte. Richtig: Die Demokratie in Bangladesch ist so beschädigt, dass ein Rückfall in demokratische Zustände erst einmal Chaos bedeuten würde.

So hat die alternde Premierministerin Hasina Wajed noch schnell den Bau des nächsten Atomkraftwerkes beschlossen und mit dem "Bangladesh Nuclear Power Plant Act 2015" das Parlament und die russischen und indischen Partner von jeglicher Haftung in Falle eines atomaren Unfalls befreit.