Freiheit durch Immunität? Der dänische Weg steht vor dem Härtetest

Im internationalen Vergleich war Dänemark im Umgang mit der Corona-Pandemie relativ erfolgreich

Kann eine Gesellschaft Covid-19 mit Impfen besiegen - und zurückkehren zu einem Leben ohne Masken und "G"? Ein vielversprechendes Beispiel hierfür ist bisher Dänemark, wo deutsche Herbsturlauber sich gerade wie in einer Parallelwelt fühlen. Doch der Härtetest steht noch bevor: Was tun, wenn die Zahlen doch wieder steigen? Die kleine Kommune Ishøj bei Kopenhagen ist die erste, die das neue Modell auf die Probe stellt.

Pandemieforscherin Lone Simonsen, "Corona-Lone", ist in den vergangenen zwei Jahren zu einem bekannten Gesicht in Dänemark geworden. Die Professorin der Universität Roskilde berät auch die Regierung und hatte bereits 2018 vorhergesagt, dass die nächste Pandemie von einem Coronavirus verursacht wird.

Sie erklärt den dänischen Weg auch gegenüber ausländischen Medien: Die Impfungen hätten dem Virus den Zahn gezogen, "was übrig ist, ist nicht viel schlimmer als die Krankheiten, an die wir gewöhnt sind und wegen denen wir keine Schulen schließen", sagte sie beispielsweise zu Science.

Seit dem 10. September gilt Covid-19 in Dänemark offiziell nicht mehr als "samfundskritisk sygdom" eine die Gesellschaft gefährdende Krankheit - eine Einstufung ähnlich der "Epidemischen Lage nationaler Tragweite", über die nun in Deutschland diskutiert wird.

Etwa einen Monat lang war Corona in Dänemark danach kaum noch ein Thema. Weil inzwischen mehr als 75 Prozent der Einwohner schon geimpft sind, darunter mehr als 95 Prozent der über 65-Jährigen, schlossen immer mehr Testzentren. Vergangene Woche schlich sich Corona zurück ins Bewusstsein: Plötzlich wurden wieder mehr als 1.000 Neuinfizierte täglich gemeldet, so viele wie schon lange nicht mehr in dem Land mit 5,8 Millionen Einwohnern.

Gesundheitsminister Magnus Heunicke verwies dazu auf das Herbstwetter und dass dank der Impfungen wesentlich weniger im Krankenhaus landeten als bisher. "Dänemark ist offen, und wir haben die Epidemie unter Kontrolle. Und wir wissen was wir tun müssen, wenn wir diesen Herbst einen beginnenden Anstieg sehen: Impfen, Testen, Kontaktverfolgung, Isolation", schrieb der Gesundheitsminister auf Facebook. Die Lage ist aber regional sehr unterschiedlich. Die Inzidenz liegt jetzt bei 160,9 pro 100 000 in der Woche.

Die dänischen Gesundheitsbehörden sind von dem Anstieg nicht überrascht. Vergangene Woche veröffentlichte die Expertengruppe für mathematische Modellierung das erwartete Szenario bis Mitte November mit täglich 600 bis zu 3200 Neuinfizierten und täglich 25 bis 110 neuen Einweisungen ins Krankenhaus.

Die Gruppe hält es allerdings für wahrscheinlich, dass das Ergebnis eher im unteren Bereich liegt. Die großen Unbekannten bei der Berechnung sind zum einen das Verhalten der Menschen, zum anderen die Frage, wie viele sich trotz Impfung infizieren und erkranken (angenommen werden 60 bis 80 Prozent) und wie stark die Impfung davor schützt, das Virus weiterzugeben (angenommen wird eine Reduktion von 50 bis 80 Prozent).

Dänemarks Öffnung war das Ergebnis eines schon im März 2021 beschlossenen Plans (siehe auch Corona-Maßnahmen-Exit in drei Ländern: Vorbilder für Deutschland?). Der "Coronapas", vergleichbar 3G, war darin ein befristet eingesetztes Mittel, der jetzt im Inland nicht mehr gebraucht wird.

Mit dem Ausstieg aus den Maßnahmen wurde auch festgelegt, wann wie wieder eingegriffen werden muss. Der Schwellenwert für lokale Maßnahmen liegt bei 500 Neuinfizierten in einer Woche pro 100.000 Einwohner. Die möglichen Maßnahmen betreffen vor allem Schulen und Kinderbetreuung, da Ausbrüche vor allem unter den ungeimpften Kindern und Jugendlichen erwartet werden.

Das Beispiel Ishøj

Die Kommune Ishøj bei Kopenhagen hat zwar nur 23 000 Einwohner. Mit 141 Infizierten in einer Woche macht das trotzdem leider eine Inzidenz von mehr als 600. Das kleine Ishøj ist die erste Kommune, die den festgelegten Schwellenwert überschritten hat, und es sind wie erwartet vor allem die Jüngeren, die betroffen sind.

Der Schulleiter würde einzelne Klassen am liebsten nach Hause schicken, berichtet Danmarks Radio. Ob er das darf, wird nun mit der Behörde für Patientensicherheit beraten. Außerdem werden die Bürger zum Test aufgefordert - und zum Impfen. Ishøj ist nämlich mit nur 62 Prozent Dänemarks Schlusslicht.

Ishøjs Bürgermeister fordert nun die Rückkehr von kostenlosen Schnelltests und wird darin unterstützt von Kollegen aus anderen Kommunen der Region, bei denen die Infiziertenzahlen ebenfalls steigen. Kostenlose Schnelltests gibt es zurzeit nur noch zu besonderen Anlässen, ansonsten müssen Schnelltests bezahlt werden.

Bei Verdacht auf eine Infektion werden aber weiterhin kostenlose PCR-Tests angeboten. Da viele Testzentren mangels Nachfrage geschlossen hatten, haben einige nun einen weiten Weg - Experten rufen deshalb nun auch nach einer Wiedereröffnung der Testzentren , und teilweise geschieht dies bereits.

Vor den Testzentren stehen nun auch Geimpfte mit leichten Symptomen, die wissen wollen, ob sie sich nicht doch das Virus eingefangen haben. Diese Fälle sind inzwischen auch im Impfdurchbruch-Dashbord des staatlichen Serum-Instituts zu finden.

Bei der Interpretation der Zahlen ist zu berücksichtigen, dass inzwischen 75 Prozent der Einwohner voll geimpft sind. Deshalb sind die absoluten Zahlen bei den Ungeimpften zwar niedriger, aber die Inzidenz und die Gefahr, im Krankenhaus zu landen, ist für Ungeimpfte trotzdem höher. Nicht daraus abzulesen ist, wer wie schwer krank wird.

"Wer geimpft ist, kann sich zwar anstecken, wird aber leichtere Symptome haben und weniger Behandlung benötigen", erklärt Virologe Allan Randrup Thomsen die vielen Durchbrüche für den dänischen Rundfunk. Zurzeit befinden sich 195 Personen mit Covid-19 im Krankenhaus, elf davon werden beatmet. Todesfälle im Zusammenhang mit der Krankheit werden nur noch im unteren einstelligen Bereich pro Tag vermeldet.

Dänemark legt auch weiter Wert darauf, Covid-19 im Blick zu behalten. So bewertet eine Arbeitsgruppe jede Woche das nationale und regionale Risiko. Vergangene Woche wurde es noch durchgehend mit "2" eingeschätzt, auf einer Skala von 1 (gering) bis 5 (hohes Risiko).

Die untoten Nerze verfolgen die Regierung

Im internationalen Vergleich war Dänemark in seiner Pandemiebehandlung relativ erfolgreich: Mit 464 registrierten Todesfällen pro eine Million Einwohner gab es deutlich weniger Opfer als in Deutschland oder Schweden. Dazu kommt nun nach strengen Einschränkungen und Coronapass diese Rückkehr zur "Normalität" wie versprochen.

Doch nicht alle Kapitel der dänischen Coronapolitik waren so ruhmreich. Man erinnere sich an die Furcht vor dem "dänischen Wuhan", die massenhaften Nerztötungen und die mangelhaft entsorgten Zombie-Nerze, die das Grundwasser gefährdeten. Die Nerztötungen, so zeigte sich wenig später, hatten keine gesetzliche Grundlage.

Ein Minister musste deshalb bereits gehen. Wer noch in welchem Umfang dafür Verantwortung trägt, wird nun in der "Minkkommission" aufgearbeitet aufgearbeitet. Premierministerin Mette Frederiksen soll am 7. Dezember dazu verhört werden.

Diese Geschichte, so die Einschätzung beispielsweise von Information, könnte Frederiksen durchaus gefährlich werden. Dazu kommt nun die noch unbekannte Fortsetzung der dänischen Freiheit durch Impfung. Nicht Aufgabe der Nerzkommission ist übrigens die Beantwortung der Frage, ob die bei den Nerzen entdeckte Mutation tatsächlich so extrem gefährlich gewesen wäre.

Es lohnt sich in jedem Fall, die Entwicklung in Dänemark weiter zu verfolgen, das möglicherweise ein besseres Vorbild für Schritte in Deutschland abgeben könnte als Großbritannien nach dem Freedom Day.

Auch Norwegen und Schweden setzen auf "Freiheit durch Immunität" und haben ihre Maßnahmen am 25. bzw. 29. September beendet. In Norwegen scheint es einen Trend zu mehr Infektionen zu geben, Schweden liegt seit Wochen auf demselben niedrigen Niveau - obwohl die Impfquote nicht viel höher ist als die Deutschlands.

Wie komplex die Sache mit der Immunität ist, zeigt der aktuelle Siegeszug des RS-Virus bei Kindern, das vorher kaum jemand kannte und das für Kinder gefährlicher sein soll als Corona. Ärzte mache dafür einhellig die Abschirmung der Kinder in der Coronazeit verantwortlich.